Kommunist, Demokrat, Autokrat
Die drei Leben des Boris Jelzin
Es war der 22. April, an dem einst der Geburtstag von Vladimir Lenin gefeiert wurde. Am 22. April 2007 starb im 76. Lebensjahr der Mann, der die gewaltige Schöpfung Lenins, die Sowjetunion, auf der „Müllhalde der Geschichte“ entsorgte: Boris Nikolajewitsch Jelzin.
Er war in seinem Volk zunächst respektiert, dann verehrt, schließlich verhasst und verachtet. Diese drei Phasen verliefen parallel zu den drei politischen Leben des ersten Präsidenten der Russischen Föderation.
Der Kommunist. Boris Jelzins eigentlicher Beruf ist Bauingenieur. Rund 13 Jahre lang zieht der spätere Kremlchef, geboren 1931, im westsibirischen Jekaterinburg, das damals noch Sverdlovsk hieß, Häuser hoch. Dann macht er, seit 1961 KPdSU-Mitglied, 1968 einen Karrieresprung. Er wird in das Gebietskomitee der Partei berufen. Seit 1976 ist er als Erster KP-Sekretär von Sverdlovsk der starke Mann der Region.
Es ist Michail Gorbatschov, der den Ex-Ingenieur bald nach der eigenen Wahl zum Generalsekretär 1985 in das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei nach Moskau holt. Dort avanciert Jelzin bereits gegen Ende des Jahres zum Ersten Parteisekretär des wichtigen Stadtkomitees. Kurz darauf erfolgt seine Berufung in das KP-Politbüro, den Olymp der UdSSR.
Der Demokrat. Seit 1987 gerät Jelzin zunehmend in Widerspruch zur Parteispitze. Er kritisiert die Privilegien der Nomenklatura und fordert ein höheres Tempo in Sachen Perestrojka und Demokratisierung. Die Folge ist seine Entlassung aus den Spitzenämtern. Jelzins Bitte um politische Rehabilitierung auf der 19. KP-Konferenz im Juni 1988 wird nicht entsprochen.
Damit ist das Band zwischen dem Geschassten und seinem einstigen Förderer Gorbatschov zerschnitten. Bei den Wahlen zum Kongress der UdSSR-Volksdeputierten, einem vergleichsweise frei gewählten erweiterten Parlament, gewinnt Jelzin mit überzeugender Mehrheit einen Sitz. Er übernimmt die Leitung der Interregionalen Deputiertengruppe, der auch so renommierte Reformer wie der Menschenrechtler Andrej Sacharov angehören.
Seit 1990 setzt Jelzin immer stärker auf die „russische Karte“. Er fordert die Souveränität der größten Sowjetrepublik RSFSR von der Sowjetunion. Im Jahr 1990 wird er Vorsitzender des russischen Obersten Sowjets (Parlaments), im Juni 1991 erster Präsident Russlands.
Boris Jelzin gewinnt in Russland und weltweit Ansehen, als er im August 1991 die Bevölkerung zum Widerstand gegen eine Gruppe hochrangiger Putschisten aufruft. Sie wollten Gorbatschov absetzen und die Demokratiebewegung zerschlagen. Das Bild vom kämpferischen russischen Präsidenten geht über die Bildschirme. Dem sowjetischen Staatschef Gorbatschov führt Jelzin anschließend auf demütigende Weise dessen Versagen und Machtlosigkeit vor. Bis zum Ende des Jahres verabschieden sich die UdSSR und Gorbatschov von der Weltbühne.
Der Autokrat. Die kommenden Jahre sind vom Dauerkonflikt zwischen Jelzin und dem kommunistisch dominierten Parlament, der Staatsduma geprägt. Im Herbst 1993 lässt der Präsident das Weiße Haus in Moskau in Brand schießen, wo sich seine Gegner verschanzt haben. Gleichzeitig setzt der Kremlherr eine Privatisierungskampagne in Gang, von der alte Seilschaften mit neuen Komplizen profitieren. Derweil verkommt die russische Wirtschaft, ein Großteil der Bevölkerung verarmt. Der Präsident regiert zunehmend erratischer – und autoritärer.
Ende 1994 schickt Jelzin russische Truppen in das abtrünnige Tschetschenien, nachdem er das Treiben der dortigen „Feldkommandeure“ jahrelang hingenommen hat. Am Ende des Kriegs, der Zehntausende von Menschenleben kostet, muss sich Moskau aus der Teilrepublik zurückziehen.
Trotz dieser Niederlage und gesundheitlicher Probleme stellt sich Jelzin 1996 zur Wiederwahl. Mit erheblicher materieller und medialer Unterstützung durch die „Oligarchen“ siegt er knapp über seinen kommunistischen Herausforderer Gennadij Sjuganov.
Die zweite Amtszeit des Präsidenten ist von einer bemerkenswerten „Instabilität der Kader“ und einer Unzahl von Skandalen gekennzeichnet. Premiers und Minister werden ernannt und entlassen. Schließlich gerät die Umgebung des Kremlchefs, die sogenannte „Familie“, in das Visier der Ermittlungsbehörden.
Mit gewaltigem Medieneinsatz kann die „Familie“ im Dezember 1999 bei den Dumawahlen einen Sieg der zentristischen Jelzin-Gegner verhindern. Der eigentliche Sieger heißt indes Vladimir Putin. Der bisherige Premier übernimmt zum 1. Januar 2000 das Präsidentenamt. In seiner ersten Amtshandlung garantiert er Boris Jelzin lebenslange Immunität.