Komplize von Pablo Escobar soll in Deutschland zu Politmord aussagen
Verbindung zu Ermordung von Justizminister in Kolumbien 1984? Carlos Lehder wurde im Juni aus US-Haft nach Deutschland ausgeliefert
Mitte Juli war der ehemalige kolumbianische Drogenhändler Carlos Lehder Rivas aus den USA nach Deutschland ausgeliefert worden - offenbar, um neuen Strafprozessen in Kolumbien zu entgehen.
Möglich war die Überstellung, weil Lehders Vater Deutscher war. Nun holt den 70-Jährigen - der weder deutsch spricht, noch Angehörige in Deutschland hat - seine kriminelle Vergangenheit ein. Nach Informationen von Telepolis hat die Staatsanwaltschaft des südamerikanischen Landes die deutschen Justizbehörden im Rahmen von Ermittlungen zu einem politischen Mordfall vor 36 Jahren um Rechtshilfe ersucht und die Aussage des ehemaligen Drogenhändlers per Videokonferenz erbeten.
Der Fall könnte für Lehder durchaus gefährlich werden: Es geht um den Mordanschlag auf den damaligen Justizminister Rodrigo Lara Bonilla am 30. April 1984 in Bogotá. Der Politiker war von zwei Auftragsmördern erschossen worden, weil er sich vehement für die Auslieferung von Drogenhändlern in die USA eingesetzt hatte.
Die Abteilung der kolumbianischen Staatsanwaltschaft zur Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen nimmt in dem Mordfall nun zwei Politiker ins Visier, die für das Attentat auf Lara Bonilla verantwortlich sein sollen. Man wolle in diesem Zusammenhang Lehders Aussage "entsprechend internationaler Verträge und Regelungen für gegenseitige Rechtshilfe" per Videokonferenz entgegennehmen, heißt es in einem vierseitigen Schreiben aus Bogotá, das Telepolis vorliegt.
Lehders Aussage könnte einen bedeutenden Beitrag zur Aufklärung des Verbrechens leisten, da er "zum Tatzeitpunkt Mitglied der Gruppe Los Extraditables war, die sich dem entschiedenen Kampf des damaligen Ministers gegen den Drogenhandel widersetzte".
Lehder war Mitte Juni nach 33 Jahren Haft aus den USA nach Deutschland ausgeliefert worden. 1987 war der enge Vertraute des Drogenbosses Pablo Escobar in Kolumbien festgenommen und den US-Behörden übergeben worden. In den USA war er wegen des Schmuggels von 2.000 Kilo Kokain zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe plus 135 Jahren Haft verurteilt worden.
Die 2.000 Kilogramm waren freilich nur der Teil des Drogenhandels, den man ihm nachweisen konnte. Lehder war in den 1970 und 1980er Jahren für den Aufbau eines ausgedehnten Drogenvertriebsnetzes mit Kleinflugzeugen in die USA verantwortlich und machte für das Medellin-Kartell Escobars Milliardenumsätze.
Seine Haftstrafe wurde später reduziert, weil er gegen den panamaischen Staatschef Manuel Noriega aussagte. Die Überstellung aus den USA nach Deutschland schützt ihn nun vor weiteren Prozessen. Artikel 16 des Grundgesetzes verbietet die Auslieferung deutscher Staatsbürger.
Dennoch könnten die Ermittlungen im Fall Lara Bonilla auch Lehder in Deutschland gefährlich werden. Sein Sohn Rodrigo Lara Restrepo, Mitglied des kolumbianischen Senats, hat in seiner Heimat ein Ermittlungsverfahren beantragt. Er führt an, dass der ehemalige Drogenhändler in einem Interview die Ermordung seines Vaters gutgeheißen hat.
Der damalige Justizminister sei "vom Volk hingerichtet worden, weil die Hand des Volkes die Hand Gottes und die Stimme des Volkes die Stimme Gottes ist". Im Übrigen halte er den Mord an Lara Bonilla für gerechtfertigt.
Ob diese Aussagen alleine für ein Ermittlungsverfahren in Deutschland reichen, ist unwahrscheinlich. In Kolumbien wird sich der inzwischen angeblich schwer erkrankte Ex-Drogenhändler wegen seiner Mitgliedschaft im Medellin-Kartell und anderen kriminellen Vereinigungen aber auf keinen Fall mehr juristisch verantworten müssen.
Mit Lehder hat der inzwischen dritte Kriminelle aus Lateinamerika mit deutschen Wurzeln in der Bundesrepublik einen sicheren Hafen gefunden. 2011 war Hartmut Hopp, der ehemalige Arzte der Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile, nach Deutschland geflohen, um sich einer Gefängnisstrafe wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch Minderjähriger zu entziehen.
Die deutsche Staatsanwaltschaft ließ das Verfahren später trotz des Protestes von Sektenopfern fallen. Ein Jahr später setzte sich der ehemalige argentinische Militär Luis Esteban Kyburg nach Deutschland ab, er lebt heute in Berlin.
Der Kommandant einer Elite-Einheit soll der Anklage zufolge während der Militärdiktatur in Argentinien (1976-1983) an der Verschleppung und Ermordung von 152 Menschen beteiligt gewesen sein.