Kompromisslos böse und mörderisch

"Krieg der Welten" bündelt die Ängste unseres Zeitalters

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"Krieg der Welten", Steven Spielbergs zwischen 130 und 200 Millionen Dollar teure H.G. Wells-Verfilmung, ist ein Spielberg, wie er im Buche steht, und zugleich regressiver Zeitgeist pur. Keusch und konservativ zeigt er ein "America under attack" und erzählt von der berechtigten Rückkehr des Sozialdarwinismus. Seine Figuren sind Helden des Rückzugs: Tom Cruise in der Hauptrolle ist kein Kämpfer, sondern ein Wegläufer, aber einer, der im entscheidenden Moment sogar einen Unschuldigen ermordet als dieser zur Gefahr für seine Tochter zu werden droht. So bündelt "Krieg der Welten" geschickt die Ängste des Zeitalters: Vor Angriffen der Terroristen, vor dem Niedergang der Macht des Westens und noch immer: vor dem Atomkrieg. Und vor Technik wie Biologie in einem: Die Aliens sind kalte, amoralisch-intelligente Kampfmaschinen, zugleich überlegene Natur. Die Bilder sind zum Teil beeindruckend, der Grundton überraschend düster, der Gesamteindruck merkwürdig disparat, zwar stellenweise fesselnd, letztlich aber über lange Strecken zäh und langweilig.

Ist es nur Zufall, dass ausgerechnet der erfolgreichste Regisseur der Welt, Steven Spielberg, noch nie eine Liebesgeschichte erzählt hat? Dass er über Frauen nicht viel zu berichten weiß, dass seine Erwachsenen immer große Jungen sind, die sich mit ihren Vätern versöhnen müssen oder gleich Kinder? Was unsere Populärkultur an Spielbergs Stoffen so fasziniert, das ist noch nicht wirklich gefragt worden - es könnte aber mit der Abwesenheit einer dem männlichen Helden ebenbürtigen Weiblichkeit, und insofern mit dem Verzicht auf den Zwang, erwachsen zu werden, zusammenhängen.

Einmal mehr hat Spielberg mit "Krieg der Welten", seiner Anverwandlung und Amerikanisierung von H.G. Wells berühmtem Zukunftsroman, einen Stoff gefunden, in dem er genau das erzählen kann, was er immer erzählt. Herbert George Wells' (1866-1946) Zukunftsroman "War of the Worlds" gehört seit seinem Erscheinen im Jahr 1898 zu den einflussreichsten Texten der Kulturgeschichte, weit über Science-Fiction hinaus. Erstmals wurde hier die Invasion einer außerirdischen Macht auf die Erde beschrieben - das Buch ist der Prototyp all jener unzähligen folgenden Werke, die dieses Motiv variieren. Dabei ist Wells' Perspektive primär eine sozialphilosophische: Ihn interessieren vor allem Folgen des Geschehens für die Menschheit. Wie im Labor untersucht er, wie sich Menschen in einer grundlegend veränderten Situation verhalten. Wells war in so ziemlich jeder Hinsicht das Gegenteil von Spielberg: Ein Pessimist, politisch engagiert in der Sozialliberalen "Fabian Society", die in Großbritannien und darüber hinaus eine ganze Politikergeneration geprägt hat. Bei allem Spaß und mancher Effekthascherei ging es Wells auch um Kritik am Imperialismus und eine sarkastische Satire auf die britische Kolonialherrschaft. Seine Marsianer waren "Köpfe, nichts als Köpfe … eine bloße Gehirnmenge". "Ohne den Leib musste das Gehirn ein bei weitem selbstsüchtigerer Geist werden als mit dieser Grundlage menschlichen Gefühls."

Aliens ballern auf alles

Was mag wohl Steven Spielberg an diesem Stoff gereizt haben? Ausgerechnet den Regisseur, der mit "Unheimliche Begegnung der Dritten Art" und "E.T. - der Außerirdische" zwei rare Beispiele jenes Genres schuf, das die Begegnung mit anderen Lebensformen nicht als negative erzählt, sie stattdessen mit Geheimnis und Momenten der Poesie versieht, ihr sogar Menschlichkeit abgewinnt. Besonders E.T. schildert den "Alien" als niedliches Wesen, die Begegnung mit ihm als ungefährlich. Darum wurde der Film immer wieder auch als Ausdruck des politischen Unbewussten seiner Macher gedeutet und ihrer Absicht, das im Mainstream-Kino oft verfehmte Fremde als positiv, interessant zu zeigen, für Offenheit und Toleranz zu plädieren. Beide Filme Spielbergs haben, trotz aller stilistisch wie politisch restaurativen Züge vieler Werke des Regisseurs, ganz wesentlich zu dessen Ruf als einem der wenigen echten Liberalen Hollywoods beigetragen.

"Krieg der Welten", will man ihn in seinen Subtexten ebenso ernst nehmen, könnte das nun ändern. Denn diesmal sind die Aliens kompromisslos böse und mörderisch. Mit Raumschiffen und mit allerlei technischem Gerät ausgestattet kommen sie auf die Erde. Ohne zu argumentieren, zu verhandeln, sich auch nur zu erklären, legen sie ganze Städte in Schutt und Asche, ballern auf alles, das sich bewegt, töten die Menschen oder nehmen sie gefangen - aber nur um, wie riesige Insekten mit einem überdimensionalen Saugrüssel ausgestattet, ihr Blut auszusaugen. Es scheint kein Mittel gegen sie zu geben, ungehemmt durch Gegenwehr führen sie ihren Vernichtungskrieg, ihr Ziel ist "die Auslöschung" - eine gewiss bewusst gewählte sprachliche Analogie zur Erfahrung des Faschismus, die schon für Orson Welles' Hörspielversion des Stoffes zur Zeit des Münchner Abkommen und des Einmarschs ins Sudentenland prägend war. Vor ihnen flieht eine amerikanische Familie - stellvertretend für "uns alle". Denn hier wollen nur noch die Menschen "nach Hause".

Niemand hätte zu Beginn des 21. Jahrhunderts geglaubt, dass unsere Welt von einer Macht beobachtet wurde, die Unserer weit überlegen ist. Während die Menschen geschäftig ihren vielfältigen Interessen nachgingen, beobachteten und studierten sie uns. Mit unermesslicher Selbstgefälligkeit bevölkerte die Menschheit den Globus - sich ihrer Herrschaft über diese Welt stets gewiss. Doch aus der Tiefe des Alls blickten gewaltige, eiskalte und mitleidlose Wesen voller Neid auf unseren Planeten. Und langsam aber sicher schmiedeten sie ihre Pläne gegen uns...

"Krieg der Welten" ist eine Mischung aus Horror und Katastrophenfilm, angereichert mit den üblichen Zutaten fast aller Spielberg-Filme: Ein Auto als Druck- und Schutzkammer. Ein kleines süßes Kind, auf den ersten Blick naiv und naseweis, dann hinter aller Unschuld doch intelligenter als die Erwachsenen. Ein Vater, der eine fragmentierte, auseinanderdriftende Familie wieder zusammenkitten und damit auch sich selbst therapieren will. Ein Versager, der im richtigen Moment dann doch weiß, was zu tun ist.

Ein Mann, der objektiv betrachtet rettungslos gescheitert ist - Opfer von Wirtschaft, Krieg oder welcher Modernisierung auch immer - und dann durch die besondere Herausforderung auch in sich selbst auf einmal unvermutete Kräfte entdeckt, und sich selbst - und damit ein wenig uns alle - kuriert angesichts des großen Schreckens. Kino also als moralische Anstalt, die die wahren Werte, das "was wirklich zählt", freilegt, als eine öffentliche Schaubühne des american dream und der family values. Jeder kann es schaffen, wenn er nur will, aber er muss es bitteschön auch im Hinblick auf gute Ziele wollen.

Raus aus der blöden Normalität

Trauma und Vergebung, Therapie durch Praxis und Identitätsfindung im Gemeinsinn - genau diese Geschichte findet Spielberg in Wells' Roman, den er, scheinbar ohne große Brüche in die Wirklichkeit des zeitgenössischen Amerika verpflanzt. Es ist ein Amerika, in dem die Katastrophe, die folgen wird, von Anfang an präsent ist. Weniger als ein Schatten vergangener Ereignisse - "des 11.September" zum Beispiel - als als geheime Hoffnung. Katastrophen, wer wüsste das besser als das Gegenwartskino, sind immer auch ein Sehnsuchtshorizont. Sie öffnen die Chance auf Verbesserung, Veränderung zumindest, versprechen den Neuanfang aller Dinge. Und bieten ein Ventil zur Entlastung vom Selbsthass, den eine Kultur in sich trägt. Wer sich klammheimlich schuldig fühlt, der kann die Katastrophe oder ihre Simulation besonders gut brauchen, um sich von der Schuld zu befreien.

So geht es zumindest Ray, dem von Tom Cruise gespielten Helden des Films, der hier mehr als die Aliens seine eigenen Schuldgefühle bekämpft, das uneingestandene Wissen als Vater ein Versager zu sein. Die Frau ist ihm weggelaufen, und bekommt nun ein Kind von einem anderen, glatteren, gesichtsloseren. Übers Wochenende soll er die beiden gemeinsamen Kinder hüten: Den Sohn, der passenderweise gerade in der Schule eine Facharbeit über die französischen Kolonisierung Algeriens schreibt, und die kleine, wie gesagt naseweise Tochter. Weil "Krieg der Welten" anfangs zunächst einmal dem üblichen Muster des Katastrophengenres folgt, stellt er Ray gemeinsam mit ein paar anderen x-beliebigen Menschen in ihrem alltäglichen Lebenszusammenhang vor, in der blöden Normalität eines schmuddeligen white-trash-Amerika, das in öden Vorstädten seine privaten Träume längst begraben hat. Spielberg filmt gerade diese frühen Abschnitte auch als Rückkehr in seine eigenen Anfänge als Regisseur, sozialrealistisch, dunkel und schmutzig, voller Anklänge an den Stil des "New Hollywood" der 70er, aber mit grobkörniger Digitalkamera. Der Zuschauer darf gewiss sein, dass dieser Alltag sehr sehr bald auf desaströse Weise unwiederbringlich zerstört wird.

Mit der Ankunft der Aliens wird das Katastrophenstück dann zusehends zum Horrorfilm. Zunächst gibt es noch ein paar Konzessionen ans junge, männliche actionfixierte Publikum: Explodierende Feuerbälle, Laserstrahlen, die Menschen zu Asche verbrennen, eher unnötige und konfuse, jeder Logik widersprechende Autojagden. Dann wird die Szenerie immer "kleiner", intimer, auch klaustrophobischer. Im Auto fliehen Ray und seine Kinder über Stadt, Land, Fluss gen Boston - wohl kaum zufällig die Hauptstadt der US-Revolution. Und an der Statue eines Revolutionärs gehen Vater und Tochter auch vorbei, als sie am Ende, ganz kurz vor dem Happy End, ihr Ziel erreicht haben.

Diese Reise ist auch wieder überdeutlich als eine psychologische gezeichnet. Parallel zur Bedrohung durch die Aliens wächst das Verständnis Rays für seine Kinder, sein Verantwortungsbewusstsein und sein Mut. Auf ihrer Reise begegnen sie kleinen Fragmenten des restlichen Amerikas: Wohnungen und Geräten, die oft Kulissen bekannter Filme gleichen, Menschen, die immer wieder geprägt sind von einem großen unwiederbringlichen Verlust - kein Film Spielbergs fällt einem ein, in dem die Trauer um ein verlorenes, eigentlich schon verschwundenes Amerika so dominant ist.

Zugleich macht sich Spielberg hier in Bezug auf die Gesellschaft keine Illusionen - in Bezug auf die Familie dagegen sehr wohl. Wells' Roman, wie gesagt, beschreibt das Zusammenbrechen der Zivilisation durch eine Erfahrung, der sie nicht gewachsen ist. Die Frage nach dem Verhalten der Menschen in der Krise beantwortet er überaus pessimistisch, und Spielberg fügt dem nichts hinzu. Sogar Ray entgeht der Ursünde nicht, und ermordet einen im Prinzip unschuldigen Mann, der ihm kurz zuvor noch geholfen hat, weil er nun, verwirrt und verzweifelt, zur Gefahr für die Tochter werden könnte. Ihm als einzigem scheint der Filmemacher auch noch den Mord zu verzeihen - weil offenbar der Schutz der eigenen Brut jede Moralüberschreitung rechtfertigt, wenn die Menschheit allemal längst in den Naturzustand zurückgefallen ist. Man kann behaupten: Auch Spielberg führe uns hier - zusätzlich ironisiert durch die Klänge von Sinatras "If I rule the world." - also unsere Nähe zu den Aliens vor, den Zusammenbruch des Sozialen im Chaos. Aber er zeigt das Schlechte der menschlichen Natur, wo er auch das Gute zeigen könnte, oder den Unterschied zwischen jenen, die in einer Hochkultur sozialisiert wurden, und denen, die nicht das Glück hatten.

Die berechtigte Rückkehr des Sozialdarwinismus

Spielberg, ganz Zeitgeist, zeigt ein "America under attack" und inszeniert den Triumphzug des "war against terror" als berechtigte Rückkehr des Sozialdarwinismus. Mehr als die Menschheit wird die moralische Sicherheit Amerikas, die Sicherheit der guten Tat, von den Außerirdischen bedroht. Bemerkenswert ist der Diskurs übers Militär, den der Film nur leicht versteckt immer wieder aufscheinen lässt, und für dessen Bewertung die Information nicht schaden kann, dass das Pentagon für den Dreh 400 Soldaten zur zur Verfügung stellte, Spielberg sich im Gegenzug verpflichten musste, seine Szenen vom Militär absegnen zu lassen. Man sieht sie kämpfen: Mit Kanonen, Raketen, Panzer, Flugzeugen, nur die Atombombe fehlt diesmal, weil man die wohl nicht mal gegen Aliens auf die eigenen Leute wirft. Alles bleibt erfolglos. Doch wieder bessere Einsicht und Überlebensvernunft kämpfen die Soldaten. Und während Vater Ray offenbar ein Drückenberger ist, der vom Militär nicht viel hält, vor allem, wenn es in den sicheren Tod fährt, ist sein Sohn ganz tapferer Ami-Patriot. Erst noch sieht man ihn auf Panzer glotzen und spürt: Idealismus ist dumm. Ein paar Minuten später lässt er Papa und Schwester im Stich, um - "I need to do this, please let me go." - selber Soldat zu werden. Auch er, das weiß der erfahrene Spielberg-Gucker, wird nicht sterben, sondern am Ende beim Familiengruppenfoto deus-ex-machina-mäßig wieder auftauchen - die Kernfamilie bleibt bei Spielberg immer intakt. Oder fast, denn es braucht noch einen zweiten Teil, um zu sehen, wie Ray seine Ex zurückerobert.

Eine Liebesgeschichte erzählt Spielberg also auch diesmal nicht. Keine Frau mit irgendeinem auch nur ansatzweise vorhandenen Verführungspotential taucht vor Cruise Augen auf, droht ihn seiner neuen Vaterrolle wieder zu entfremden. Die einzige Frau in seinem Leben ist seine Tochter. und irgendwann wird der Sohn weg sein, und Daddy mit Daddys Girl allein, und da hat man dann die wahre, selbstredend ganz und gar keusche Liebesgeschichte des Films. Der Traum der Tochter vom Vater, der immer bei ihr bleibt. Der des Sohns vom Vater, der ihn gehen lässt.

Spielberg kleidet den Zusammenbruch in stellenweise sehr eindrucksvolle, geradezu apokalyptische Bilder: Ein brennender Zug in rasender Fahrt, ein abgestürztes, dabei merkwürdig intaktes Flugzeug. In den besten Momenten erinnert auch das wieder an Genre-Klassiker wie "Danach" oder "Mad Max", an die 70er und frühen 80er, als die Body-Snatcher und Zombies auf der Leinwand die amerikanische Provinz heimsuchten und deren wahre Natur bloßstellten.

Im Gegensatz zu jenen Filmen lässt sich Spielberg aber seinen Glauben ans Gute nicht nehmen - spätestens darin wird er dann wieder zum Regisseur der Industrie, der Gegenwart und des Mainstreams. Auch das Ende dieses Films ist, wie die ganzen zwei Stunden zuvor, mit Verweisen auf frühere eigene Filme gespickt. Ganz kurz sieht man einen sterbenden Alien, der nicht mehr nach Hause telefonieren kann, aber noch den Zeigefinger als kurze Geste der Verständigung erheben. Dann ist der "Krieg der Welten", ohne echten Showdown vorbei. Ray hat sein Töchterchen in Boston abgeliefert. Die Aliens verschwinden, wie sie gekommen sind, sie sterben, weil sie zwar den Menschen, aber nicht den Bakterien und Parasiten gewachsen sind, die ihnen auf der Erde begegnen. Als ökologische Message sollte man dieses Happy End allerdings keineswegs missverstehen.

Was Jorge Luis Borges so an Wells lobte, wird man über Spielberg nicht sagen können: "Nichts bereitet mir", schreibt er, "solchen Genuss wie seine schaurigen Wunderberichte. Ich meine, sie sollten wie die Theseussage oder wie die Ahasvergeschichte in das allgemeine Gedächtnis der Gattung eingehen." Was unsere Populärkultur hingegen an Spielbergs Stoffen fasziniert, ist offenbar, dass man sich bei ihm, so depressiv alles auch anmuten mag, aufs Happy End verlassen kann. Dass man bei ihm auch nach einem 11.September nicht beunruhigt wird, sondern mit gutem Gefühl entlassen. Es sind regressive Filme mit kindlich-keuschen Helden, geprägt auf der Irrelevanz des Erwachsenwerdens. Denn das müsste für unseren Helden Ray ja auch bedeuten, auf seine Exfrau endlich zu verzichten, wie auf den puritanischen Zwang, ein perfekter Vater zu sein.

Irgendetwas im Zuschauer nimmt Spielberg aber natürlich dieses Happy End nicht ab, er spürt, dass dieser Film eigentlich vom Untergang erzählt - und dass er auch dies immerhin zulässt, macht wiederum Spielbergs Stärke aus. Er rettet seine Figuren, aber die Freude darüber bleibt auch ihm selbst mitunter im Hals stecken.