Kongress der Weißwäscher
In Berlin diskutierten Pressesprecher und Unternehmensberater über Strategien zur Abwehr von Negativschlagzeilen
Letzten Donnerstag gegen 14.15 Uhr brachen im Kongresszentrum am Berliner Alexanderplatz mehr als tausend Anzugträger in lautes Gelächter aus. Peer Steinbrück hatte gerade erzählt, wie er einmal nach einer nächtlichen Ausschusssitzung von der Praktikantin eines Nachrichtensenders abgefangen wurde, die ihm eine vollkommen unbedarfte Frage stellte. Gegenfrage des Finanzministers: „Wissen Sie überhaupt wer ich bin?“ Antwort: „Nein.“ Darauf Steinbrück: „Warum fragen Sie mich dann?“ Auskunft der Praktikantin: „Ich brauche was“ (…für den Sender).
Während der Politiker für die Vertreterin der Generation Praktikum durchaus Mitgefühl aufbrachte, hatte er für die Fehlleistungen vieler Leitartikler nur noch Spott übrig. Als vor kurzem gemeldet wurde, Deutschland könne erstmals seit langer Zeit wieder einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorweisen, erntete Steinbrück in der Presse viel Lob für seine Konsolidierungspolitik. Tatsächlich ausgeglichen ist aber nicht der Bundeshaushalt, sondern der Staatshaushalt, in den die Bilanzen von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen eingehen. „Ich wurde für etwas gelobt, was ich noch gar nicht geschafft habe“, amüsierte sich der Minister.
Zu Beginn seiner Medienschelte deutete Steinbrück an, wie sehr er sich auf die Gelegenheit gefreut hatte, es den Journalisten einmal „zurückzuzahlen“. Die scharfsinnige und temperamentvoll vorgetragene Rede hatte jedoch ein Manko: Sie richtete sich an das falsche Publikum. Auf dem Kommunikationskongress 2007, der europaweit größten Fachtagung für Public Relations, hatten sich keine Pressevertreter versammelt, sondern Pressesprecher.
Lockruf des Geldes
Öffentlichkeitsarbeiter und Journalisten – das machten die anderen Vorträge deutlich – leben in zwei verschiedenen Welten. Die Berufsperspektiven im Journalismus sind geprägt von Honorarkürzungen, Stellenabbau und prekärer Beschäftigung. „Für Recherche bleibt kaum noch Zeit“, klagte der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung Hans Werner Kilz. Auf der anderen Seite steigen die Etats der PR-Abteilungen in den meisten Branchen kontinuierlich an. Das zeigt die neueste Berufsfeldstudie des Instituts für Kommunikationswissenschaft an der Universität Leipzig. Der Studie zufolge ist die Arbeitszufriedenheit der Pressesprecher sensationell hoch (sie liegt bei 80%). Wenn man sich die Einkommensverhältnisse ansieht, haben sie auch guten Grund, zufrieden zu sein: Im Schnitt verdienen Pressesprecher in öffentlichen Einrichtungen und privaten Betrieben rund 70.000 Euro brutto im Jahr (zum Vergleich: das Tarifgehalt eines Tageszeitungsredakteurs mit zehn Jahren Berufserfahrung liegt bei 50.000 Euro, das Jahreseinkommen eines freien Journalisten ist im meist noch deutlich niedriger).
Kein Wunder also, dass viele Redakteure irgendwann die Fronten wechseln und sich als Pressesprecher anheuern lassen. Zumal die Bezahlung in den PR-Abteilungen der Privatwirtschaft weit über dem Durchschnitt liegen kann, weil hier „erfolgsabhängige“ Komponenten zum Grundgehalt hinzukommen.
Doch woran misst sich der Erfolg eines Pressesprechers? Gute Nachrichten in die Medien zu bringen, gehört zum Alltagsgeschäft und ist – vor allem bei börsennotierten Unternehmen – für einen Profi vergleichsweise einfach. Sehr viel schwieriger dagegen wird die Pressearbeit, wenn im eigenen Betrieb etwas schief läuft. In mehreren Veranstaltungen auf der Berliner Tagung ging es daher um die Frage, wie man „Kommunikationskrisen“ bewältigt.
Interessant ist der Krisenbegriff, den die PR-Experten dabei im Munde führten. Denn nicht die Schattenseiten der Geschäftspolitik - Fehlinvestitionen etwa oder Preisabsprachen, der Verstoß gegen Umweltschutzauflagen oder die Kinderarbeit in Zuliefererbetrieben, das Bestechen von Betriebsräten oder das Aufstocken der Managerbezüge in surreale Höhen – nicht die Missstände im Unternehmen also gelten als krisenhafte Erscheinung, sondern das Publikwerden der Missstände.
Schwer zu bewältigen sind solche Situationen für die Pressesprecher deshalb, weil sie selber oft erst dann von den Problemen erfahren, wenn sie morgens die Zeitung aufschlagen oder die Fernsehteams vor den Werkstoren stehen. In den Büros klingeln die Telefone Sturm, der Emailserver bricht zusammen, die Faxgeräte rattern bis zum Papierstau und die Kollegen laufen alle ganz aufgeregt durch die Flure und wissen nicht, was zu tun ist. „Das ist der Augenblick, in dem das Kaninchen im Lichtkegel steht und vor Schreck die Löffel aufstellt“, sagte Christof Erhart, der PR-Chef des Flugzeug- und Rüstungskonzerns EADS.
Im Scheinwerferlicht
Erhart hatte bei seinem aktuellen Arbeitgeber in letzter Zeit ausgiebig Gelegenheit, das richtige Reagieren in Schockmomenten zu trainieren. Begonnen hat es mit den Lieferverzögerungen beim Airbus 380 und den sich daraus ergebenden Auftragsverlusten und Gewinneinbrüchen, es folgten die Auseinandersetzungen um die Restrukturierung des europäischen Großkonzerns und den damit verbundenen Abbau von Arbeitsplätzen und zuletzt kam auch noch der Verdacht auf Insiderhandel hinzu. Entsprechend reibungslos greifen in der Deutschlandzentrale bei München mittlerweile Teambesprechungen, Telefonkonferenzen, Vorstandssitzungen im abhörsicheren Meetingraum und andere Mechanismen des Krisenmanagements ineinander.
Bei alledem dürfe man nicht vergessen, frühmorgens warme Croissants und spätabends genügend Schnittchen bereitzustellen, betonte Erhart, denn „ohne Mampf kein Kampf“. Das Entscheidende in einer Phase der „krisenhaften Belagerung“ aber sei, dass sich inmitten des Tumults jemand in sein Büro zurückziehe, um die fünf Sätze zu schreiben, mit denen man die Angriffe in der Presse am besten parieren könne. Die Fähigkeit, in einem Moment, in dem es auf jedes Wort ankommt, einen kühlen Kopf zu bewahren, kann man offenbar nur dann erlernen, wenn man die dafür nötige Persönlichkeit mitbringt. Erhart jedenfalls räumte freimütig ein, dass er Unternehmenskrisen als „ausgesprochen reizvolle Situationen“ erlebt, weil sie ihm zu einem Gefühl gesteigerter Vitalität, zu einem „Flow-Erlebnis“ verhelfen.
Wie Betriebe, die in den Medien am Pranger stehen, „kommunikative und juristische Abwehrmaßnahmen“ am besten miteinander verknüpfen, war das Thema eines Referats von Matthias Prinz, der spätestens seit dem Caroline-Urteil von 2004 zu Deutschlands bekanntesten Presserechtlern gehört. Wenn die Vorwürfe in der Presse nachweislich Fehlinformationen enthielten, müsse man sofort eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung erwirken, betonte Prinz. Sonst seien die Falschaussagen nie mehr aus der Welt zu schaffen, weil sie durch Internetarchive und Google-Recherchen immer wieder von Neuem hochkommen würden.
Allerdings setzt eine Unterlassungsklage eine eidesstattliche Erklärung des Betroffenen voraus, und die ist Prinz zufolge in den Unternehmen nicht immer leicht zu bekommen. „Woher soll ich wissen, ob wir Schmiergelder zahlen? In unserem Betrieb ist alles möglich!“ zitierte der Rechtsprofessor, der auch als Unternehmensberater tätig ist, den Stoßseufzer eines entnervten Klienten.
Peitsche und Zuckerbrot
Gelegentlich kommt es vor, so Prinz weiter, dass sich Manager nicht mit einer Unterlassung und einer Gegendarstellung zufrieden geben und zum Beispiel die Zahlung von Schadensersatz einklagen wollen. Solche weitergehenden Forderungen seien allerdings nur in langwierigen Prozessen durchsetzbar. Das müsse man sich vorher gut überlegen, mahnte der Jurist, denn jeder Gerichtstermin berge die Gefahr negativer Folgeberichterstattung. Andererseits könne das Einreichen einer Klage auf Widerruf eine überaus wirksame Drohgebärde sein, da viele Verlage eine offizielle Richtigstellung „ums Verrecken“ nicht drucken wollten. Es genüge dann schon, wenn der Vorstandsvorsitzende den Chefredakteur einmal zum Essen einlade, um wieder miteinander ins Gespräch zu kommen und eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Wie solch eine Lösung aussehen könnte, ließ Prinz offen. Ein denkbares und für beide Seiten dankbares Abkommen wäre die Kopplung von Anzeigenaufträgen an das Erscheinen wohlwollender Berichte im redaktionellen Teil. Vorausgesetzt natürlich, das Koppelgeschäft wird nicht publik, so wie im August, als der Kölner Stadtanzeiger ein entsprechendes Angebot der Berliner Werbeagentur Flaskamp veröffentlichte. Für einen positiven Bericht über eine PR-Veranstaltung des Bundeswirtschaftsministeriums hatte die Agentur der Redaktion eine „Gegenfinanzierung“ in Form von Anzeigeneinnahmen in Aussicht gestellt. Der Leipziger Berufsfeldstudie zufolge halten 53% der Pressesprecher solche Koppelgeschäfte für legitim.
Kungeln mit BILD
Mit welcher Selbstverständlichkeit PR-Experten davon ausgehen, Themen und Tenor der Berichterstattung ließen sich durch diskrete Absprachen zwischen Managern und Medienvertretern steuern, wurde in Berlin noch bei anderen Gelegenheiten deutlich. So forderte der Hamburger Unternehmensberater Marcus Johst die Kommunikationsabteilungen dazu auf, nicht immer nur mit positiven Botschaften an die Öffentlichkeit zu gehen, sondern auch einmal heikle, aber für das Unternehmen ungefährliche Dinge anzusprechen. Dadurch würde man sich bei Journalisten einen Glaubwürdigkeitsbonus erwerben, von dem man zehren könne, wenn es einmal um wirklich brisante Probleme ginge.
Oliver Santen, der Leiter des BILD-Ressorts Wirtschaft und Politik, pflichtete dieser Empfehlung lebhaft bei: „Warum rufen die Vorstandschefs nicht vorher bei uns an und sagen, wir wollen ein paar Tausend Arbeitsplätze abbauen?“ Wenn BILD das erste Interview exklusiv bekomme, könne man durchaus darüber reden, wie man eine Negativschlagzeile „im Kleingedruckten“ wieder zurechtrücken könne. Santen beschwerte sich lautstark darüber, wie oft er in der Vergangenheit vergeblich hinter den Verantwortlichen hertelefoniert habe, und wünschte sich für die zukünftige Redaktionsarbeit mehr „Guidance“ durch die Wirtschaft: „Das erleichtert meinen Alltag und das erleichtert Ihren Alltag“, so Santen.
Im Auditorium stieß diese Einladung zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Boulevardblatt auf Skepsis. „BILD ist gnadenlos“, meinte einer der Zuhörer. Wenn die Redakteure einen Skandal lostreten könnten, dann würden sie sich diese Chance nicht entgehen lassen, nur weil sie vorher von dem betreffenden Unternehmen schon mal Exklusivinformationen zugesteckt bekommen hätten. Marcus Johst verteidigte seinen als weltfremd kritisierten Vorschlag. Um heikle Geschichten „kontrolliert abzufackeln“, könne man ja auch mit einer anderen Zeitung kooperieren als mit der BILD. Denn eines sei klar: Sobald ein negativer Sachverhalte erst einmal von einem Medium vermarktet worden sei, ließen viele Redaktionen die Geschichte auf sich beruhen, um die Exklusivmeldung der Konkurrenz nicht aufzuwerten.
Döblin oder Brecht?
Als Erinnerung an den Ort der Tagung bekam jeder Referent von den Veranstaltern des Kommunikationskongresses ein Exemplar von Döblins „Berlin Alexanderplatz“ ausgehändigt. Wenn man sich den Eifer vor Augen führt, mit dem viele PR-Agenten und Werbestrategen, Meinungsforscher und Medientrainer, Redenschreiber und Ghostwriter den Unternehmen hier ihre Dienste anpriesen, dann wäre Brechts „Turandot“ das passendere Geschenk gewesen:
„An kleinen Tischen sitzen Tuis, lesend und Brettspiele spielend. Täfelchen: ‚Zwei kleinere Formulierungen für 3 Yen’, ‚Hier werden Meinungen gewendet. Danach wie neu’, ‚Sie handeln – ich liefere die Argumente’, ‚Warum sind Sie unschuldig? Nu Shan sagt es Ihnen’.“