Konjunktur für Gesundbeter
Seite 2: Gut Ding will Weile haben!
- Konjunktur für Gesundbeter
- Gut Ding will Weile haben!
- Ist die Klimakrise zu hart, bist du zu weich!
- Auf einer Seite lesen
Neben der Halluzination irgendwelcher mächtigen Kapitalmarktakteure - von Blackrock, über die Versicherungsbranche bis zum Rentenfondsmanager -, die als eine Art privatisierter Ersatzstaat nun den Kapitalismus aus einem wohlverstandenem strategischem Interesse heraus "ergrünen" lassen würden, spielt der Faktor Zeit eine zunehmende Rolle bei der Legitimierung des Spätkapitalismus.
Durch eine selektive zeitliche Wahrnehmung der Klimakrise lassen sich bestimmte kurzfristige Tendenzen isolieren, verabsolutieren oder umdeuten, um entsprechende apologetische Narrative aufbauen zu können.
Was tut man als Kommentatorin etwa der Süddeutschen Zeitung (SZ), wenn die Kids anfangen zu quengeln, weil sie keinen Fortschritt bei der Bekämpfung der Klimakrise sehen und partout nicht verrecken wollen in der drohenden Apokalypse?
Man mahnt das junge, ungestüme Blut zur Geduld. Gut Ding will schließlich Weile haben. In Reaktion auf Klagen der prominenten Klimaaktivisten Greta Thunberg anlässlich des letzten Elitetreffens in Davos, es hätte sich in den vergangenen Monaten "praktisch nichts" in der Klimafrage getan, da die globalen Emissionen von Treibhausgasen munter weiter anstiegen, wollte die Süddeutsche Zeitung endlich "erste Fortschritte" erkennen.
Klar: Das Zeitfenster zur Realisierung eines ambitionierten Klimaschutzes möge sich schließen, und dies könne für die Kids "natürlich besonders frustrierend" sein, vor allem, wenn man bedenke, "wie viel in dieser Zeit seit dem Beginn der Fridays-for-Future-Demonstrationen über Klimaschutz geredet wurde". Immerhin könne sich Greta aber nicht über "mangelndes Gehörtwerden beschweren", schulmeisterte die SZ, auch wenn dieses Zuhören "eben nicht Handeln" sei.
Dennoch könne man nicht behaupten, es hätte sich "praktisch nichts" getan, dies sei eine "sehr pessimistische Sichtweise", die all die "bemerkenswerte Dinge" ignoriere, die in den vergangenen Jahren passiert seien, "vor allem in Anbetracht der Tatsache, wie wenig in den drei Jahrzehnten zuvor vorangegangen ist".
Freilich wurde durch die jüngsten Verpflichtungen von Staaten und der EU zu schärferen Klimazielen "kein Gramm CO2" eingespart, gestand die renommierte Zeitung, aber anderseits müsse man bedenken, dass "Klimaschutz auch nicht vom Himmel" falle. Dieser müsse zuerst "mühevoll ausgehandelt werden".
Der Aufruf zur Geduld beruht auf der simplen Einengung des Zeithorizonts - und er widerspricht sich selbst. Die SZ tut einerseits so, als ob das Problem des Klimaschutzes erst seit dem Beginn der Klimaproteste der Fridays for Future-Bewegung auf der Agenda der Politik stünde. Hierbei wird einfach auf die Geschichtslosigkeit der spätkapitalistischen Öffentlichkeit spekuliert, deren Zeithorizont aufgrund kulturindustrieller Dauerbeschallung und unaufhörlicher Spektakelproduktion nur noch wenige Wochen umfasst.
Nichts ist öder als die Nachrichten von vorgestern. So kann in Hinblick auf die junge Klimaschutzbewegung argumentiert werden, dass ihr Gegenstand erst mit ihrem Aufkommen zum Objekt der Politik werde - und man folglich Geduld haben müsse mit dem politischen Prozess, der Klimapolitik "mühevoll ausgehandelt".
Durch eine einfache Verengung des Zeithorizonts kann das desaströse langfristige Ergebnis kapitalistischer Klimapolitik, die nicht in der Lage war, den extremen Anstieg der globalen CO2-Konzentration zu verhindern, und die somit buchstäblich "weniger als nichts" gebracht hat, zum Verschwinden gebracht werden.
Doch zugleich erinnert die SZ selber daran, wie "wenig in den drei Jahrzehnten zuvor" sich in Fragen der Klimapolitik bewegt habe. Seit dreißig Jahren bemüht sich die kapitalistische Politkaste in einem kaum noch überschaubaren Gipfel- und Verhandlungsmarathon um wirksame Klimaschutzmaßnahmen - und trotzdem ist bislang kein Klimaschutz vom "Himmel" des Politolymps gefallen.
Ihre Aufforderung zur Geduld wird von der SZ selber mit dem Verweis auf die evidente, dekadenlange Unwirksamkeit kapitalistischer Klimapolitik ad absurdum geführt. Es ließe sich nun eher fragen, worauf wir noch warten sollen? Oder sind drei Dekaden geduldigen Wartens nicht lang genug?
Everything is fine
Letztendlich teilt die SZ den Klimakids mit, dass es in den vergangenen 30 Jahren keine erfolgreiche kapitalistische Klimapolitik gegeben habe, und dass dies auch derzeit nicht der Fall sei - doch man müsse sich nur gedulden, weil bald alles viel besser sein werde. Großes Indianerehrenwort!
Wobei dieser durchschaubaren und eigentlich lustlos verfassten Apologetik die Selbstzweifel und Skrupel, gewissermaßen das schlechte Gewissen anzumerken sind, mit denen sie verfasst sein dürfte. Dem rechten Rand der veröffentlichten Meinung der Bundesrepublik sind solche Skrupel hingegen unbekannt.
In der AfD-nahen Presse, beim Springer-Verlag, wurde schon immer gerne mit dem Vorschlaghammer argumentiert. Fakten und Zusammenhänge können schließlich so lange bearbeitet werden, bis die gewünschte, alternative "Wahrheit" konstruiert ist. Im Fall der Klimakrise kann die Antwort laut der Zeitung Die Welt einfach lauten, dass alles unter Kontrolle sei.
Deutschland habe einen "Klima-Erfolg" errungen, der grüner "Gesinnungspolitik" einen "Tiefschlag" versetzt habe, so ein Anfang Januar publizierter Kommentar. Die "erste nennenswerte Verringerung der Treibhausgas-Emissionen in Deutschland" sei nicht auf kleinteiligen "Staatsdirigismus" oder "linke Politik" zurückzuführen, sondern auf ein "kaltes, ökonomisches Konzept".
Mehr Kapitalismus wagen - damit meint der Wirtschaftsjournalismus auch im Hause Springer das Patentrezept gegen die Klimakrise gefunden zu haben. Was war geschehen? Im letzten Jahr sind die Emissionen von Treibhausgasen in der Bundesrepublik zum ersten Mal seit langem deutlich gesunken, was die Welt auf ihrer Onlinepräsenz dazu verleitet, quasi das Ende der Klimakrise auszurufen, wobei der europäische Emissionshandel als das marktgerechte Patentrezept zur Überwindung der Klimakrise genannt wird.
Bei diesem Jubelbericht von der Klimafront wird nicht nur der Zeithorizont auf ein Jahr verengt, um die miserable klimapolitische Bilanz der Bundesrepublik in den vergangenen Dekaden auszublendenden, die sich als klimapolitischer Bremsklotz der EU betätigte, es wird auch das "Geschäftsmodell" des Exportweltmeisters Deutschland unterschlagen, das ja buchstäblich darin besteht, PS-starke Verbrennungsmaschinen fossiler Energieträger in alle Welt zu exportieren.
Die Zeit wird knapp - somit gilt es, aufbauend auf der ideologischen Vorarbeit der Kulturindustrie, die Zeit vollends zu verdinglichen, ihr ihren prozessualen Charakter zu nehmen, sie in isolierte, kleine Teilchen zu zerlegen, um so jegliches Geschichtsbewusstsein auszutilgen, das einen Überblick über das sich entfaltende Desaster kapitalistischer "Klimapolitik" böte.
Die Süddeutsche Zeitung konnten drei Dekaden gescheiterter Klimapolitik nicht in ihrem Glauben an den Kapitalismus als die beste aller möglichen Welten erschüttern, der Welt reicht ein Jahr einer regional begrenzten Reduzierung von Treibhausgasemissionen, um den Sieg des Kapitals über die Klimakrise auszurufen.
Dieser zeitliche "Snapshot", den die Welt hier isoliert, um daraus das Narrativ einer kapitalgerechten Überwindung der Klimakrise zu spinnen, geht somit einher mit einer geographischen Einengung. Die globalen Emissionen steigen ja weiter an - und es kommt bei dem Kampf gegen die Klimakrise gerade darauf an, ihn global zu führen, wozu eine krisengeplagte, spätkapitalistische Welt miteinander zunehmend konkurrierender Nationalstaaten nicht in der Lage ist.
Ein klares empirisches Indiz dafür, dass die Klimakatastrophe abgewendet oder wenigstens abgemildert werden könnte, bestünde schlicht in global rasch sinkenden Emissionen von Treibhausgasen. Da der Kapitalismus mit seinem Wachstums- und Verwertungszwang dazu grundsätzlich nicht in der Lage ist, geht die "Journaille" (Karl Kraus) dazu über, chronologische und geografische Rosinenpickerei zu betreiben, um die entsprechenden "Narrative" aufbauen zu können.
Bei dieser selektiven Wahrnehmung seitens der Springerzeitung, bei der Entwicklungslinien ignoriert und punktuelle Ereignisse aus ihrem Kontext gerissen werden, zeigt sich deutlich, dass Ideologie ein notwendig falsches Bewusstsein ist, das den gesellschaftlichen Verhältnissen innewohnt. Politik kann im Kapitalismus letztendlich nur national formuliert werden, wie es etwa die nationalen Auseinandersetzungen innerhalb der EU seit Ausbruch der Eurokrise evident machen.
Dabei sind es gerade die sozioökonomischen Krisenschübe der vergangenen Dekaden, die den Konkurrenzzwang zwischen den Staatssubjekten ins Extrem treiben und so einen global koordinierten Kampf gegen die ökologische Krise hintertreiben.
Notwendig wäre aber die Forcierung globaler, eng koordinierter Projekte im Klimakampf, die nur jenseits von Kapital und Nation, im Rahmen einer postkapitalistischen Transformation vollauf realisiert werden könnten.