Konjunktur für Gesundbeter
Seite 3: Ist die Klimakrise zu hart, bist du zu weich!
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Anstatt nach Systemalternativen gegen die kapitalistische Klimakrise zu suchen, sind in der veröffentlichten Meinung hingegen Stimmen zu vernehmen, die gewissermaßen eine Verhärtung predigen. Man solle sich nicht so anstellen, so der Tenor dieses Narrativs, wobei gerne auf die Härten verwiesen wird, die Menschen in der Peripherie und Semiperipherie des kapitalistischen Weltsystems auf sich nehmen müssten.
Der Klimawandel sei ein "Luxusproblem", ließ etwa Spiegel-Online seine Leser in einem Beitrag wissen, der Menschen aus der Peripherie zitierte, die angesichts schwerster sozialer und ökonomischer Verwerfungen in ihren Ländern dem sich beschleunigenden Klimawandel kaum Beachtung schenkten und diesen mitunter als eine Marotte verwöhnter westlicher Jugendlicher erscheinen ließen - Gegenstimmen, die sich sicherlich in den betreffenden Regionen finden würden, wurden nicht berücksichtigt.
Jugendliche in Europa würden zwar fleißig für das Klima demonstrieren, in Ländern wie "Ghana, Südkorea, Indonesien und Nepal" sei dies aber kaum der Fall, wo die westlichen Proteste kaum bekannt seien oder "eher kritisch" gesehen würden, erklärte der Spiegel.
Die hier durchscheinende Argumentation, die sich auch in Netz in vielen Variationen Verbreitung findet, spielt somit das kapitalistische Elend - etwa in Westafrika, wo Klimawandel "Eher an zehnter" Stelle rangiert - gegen die kapitalistische Klimakrise aus. Die Folgen der ökonomischen Krise, die globale Produktion einer ökonomisch überflüssigen Menschheit, müssen als Rechtfertigung dafür herhalten, die Klimakrise zu ignorieren.
Angesichts der Fülle der Krisen und Katastrophen kapitalistischer Vergesellschaftung könne man sich doch nicht auch noch um das "Luxusproblem" Klima kümmern - so die implizite Argumentation, die immer von einer Naturalisierung des Kapitalismus ausgeht.
Die Kids im Westen sind einfach zu verwöhnt, nicht abgehärtet genug, sodass ihnen Flausen durch den Kopf geistern, weil sie die wahre Härte des Lebens nicht mehr kennen - so die reaktionäre, kulturpessimistische Klage, in der immer auch eine Drohung mitschwingt.
Es ist eine Art Erziehung zur Härte, die hier gepredigt wird, wobei diese zunehmende Verhärtung gegen die evidenten klimatischen Verwerfungen mit einer Desensibilisierung einhergeht, die es den betroffenen Subjekten erschwert, soziale wie ökologische Krisentendenzen rechtzeitig wahrzunehmen. Gerade diese Erziehung zur Härte - mit Verweis auf die Härten des Überlebenskampfes in der Peripherie des spätkapitalistischen Weltsystems - machte Adorno in seiner berühmten Schrift "Erziehung nach Auschwitz" als ein zentrales Element faschistischer Erzielung aus.
Je härter das Überleben sich in weiten Teilen der krisengeplagten kapitalistischen One World gestaltet, desto stärker drängt sich diese Logik der Verhärtung auch auf, die dann in entsprechende Krisenideologien der Neuen Rechten mündet.
Die brutale Form dieser Argumentation, die beim Spiegel in einer bürgerlich domestizierten Form für Ressentiments und Zugriffe sorgen soll, beruht auf krassen Fälschungen und Manipulationen, die im Netz zu finden sind und die vor allem im Umfeld der Neuen Rechten kursieren. Hierbei werden oft einfach Fotomontagen verwendet, bei denen eine frühstückende Greta Thunberg mit hungernden afrikanischen Kindern kontrastiert wird, um so Klimaschutz zu einem "Luxusproblem" verzogener Mittelklasse-Gören zu stilisieren und eine kausale Verbindung zwischen Klimapolitik und dem kapitalistischen Elend zu konstruieren.
Es entsteht somit implizit der Eindruck, als ob es der Klimaschutz selber sei, der den Kapitalismus davon abhalte, seine segensspendende Wirkung in Afrika zu entfalten. Der ideologische Subtext, der das kapitalistische Elend in der Peripherie durch eine Anklage der Klimabewegung exkulpiert, kann in etwa folgendermaßen auf den Punkt gebracht werden: Wenn nur nicht diese verweichlichten Klimakids nicht wären, dann würde die Wirtschaft auch südlich der Sahara kräftig brummen und die Kinder in Afrika müssten nicht hungern.
Lerne, mit dem Feuer zu leben!
Der Appell, sich doch einfach am Riemen zu reißen und nicht zu jammern, da es die Kinder in Afrika vorerst weitaus schlimmer hätten, geht oft in den ganzen Anpassungsdiskurs über, bei dem die Klimakrise als eine Art darwinistischer Herausforderung an die Anpassungsleistung der Marktsubjekte definiert wird.
Man müsse einfach lernen, mit dem sich wandelnden Klima zu leben, so das Argument, das an den ganzen neoliberalen Sachzwang-Diskurs der letzten Dekaden anknüpfen kann, als die krisenbedingt zunehmenden sozialen Zumutungen des Spätkapitalmus zu unabänderlichen Naturgesetzen erklärt wurden, an die es sich durch die ganzen jämmerlichen Strategien der Selbstoptimierung, Selbstvermarktung, Selbstausbeutung etc. als fidele Ich-AG anzupassen gelte.
Der gesellschaftliche Fetischismus, das Ausgeliefertsein an die verselbstständigte gesellschaftliche Dynamik des Kapitals, dass das allgegenwärtige Gefühl von Heteronomie schafft und eben jene neoliberalen Anpassungsstrategien der Selbstzugrichtung der "Ware Arbeitskraft" hervorbringt, er bildet das soziale Fundament dieser ökodarwinistischen Ideologie der Anpassung, bei der sich die Marktsubjekte einer Dynamik des Klimawandels anpassen zu wollen, die eigentlich die Folge des fetischistischen Wachstumszwangs des Kapitals ist. Ohne die Überwindung des Letzteren kann aber die Erstere nicht im Zaun gehalten werden.
In Reaktion auf die immer öfter in immer stärkerer Intensität tobenden Waldbrände wird etwa argumentiert, man müsse sich nun einmal daran anpassen, lernen, mit dem Feuer zu leben, was aus der lokalen, kurzfristigen Perspektive auch sinnvoll ist, um etwa Brandvorsorge zu betreiben, so Risiken zu minimieren, etc. Problematisch wird dieser pragmatische, regional sinnvolle Ansatz, wenn er auf den globalen, sprunghaft verlaufenden Prozess des Klimawandels Anwendung findet.
Nun gelte es halt, zumeist unter Verweis auf die tolle Anpassungsfähigkeit des Kapitals, sich an den kapitalistischen Klimawandel anzupassen - was einer monströsen Fehleinschätzung der Dynamik des Klimawandels entspricht. Der Klimawandel ist etwas, an das sich die menschliche Gesellschaft in letzter Konsequenz gerade nicht anpassen kann - die in den neoliberalen Dekaden propagierte Anpassungsfähigkeit wird dem spätkapitalistischen Menschen zum Verhängnis.
Der Klimawandel verläuft nicht graduell, sondern in Sprüngen, die bei Überschreiten klimatischer Kippunke ausgelöst würden - und die katastrophale Folgen für ganze Regionen nach sich zögen. Die Illusion, die bei der Anpassung an graduelle, quantitative Veränderungen aufkommt, würde sich bei einem voll einsetzenden, "qualitativen" Umschlag des Klimasystems blutig blamieren.
Es geht nicht nur um Katastrophen wie den rapiden Anstieg des Meeresspiegels, die Verwüstung ganzer Kontinente, drohende Hungerkatastrophen oder die Unbewohnbarkeit großer Regionen im globalen Süden, die alle schon furchtbar genug sind.
Letztendlich geht es um das nackte Überleben des Menschen als Gattung, der Flora und Fauna, wie wir sie heute kennen, wie beispielsweise der berühmte Essay "The uninhabitable Earth" unter Verweis auf die durch die steigende CO2-Konzentration verursachte Versauerung der Ozeane ausführte, durch die in letzter Konsequenz ein Großteil des Lebens in den Weltmeeren vernichtet würde, was gigantische, alles abtötende Mengen Schwefelwasserstoff freisetzen würde.
Eine solche Katastrophe ereignete sich vor rund 252 Millionen Jahren, am Ende des Erdzeitalter Perm, als rund 97 aller Lebewesen vernichtet wurden, wie der obig erwähnte Essay ausführt:
Schwefelwasserstoff ist auch das, was uns in dieser Zeit [Perm-Massensterben vor 252 Millionen Jahren, T.K.] schließlich 97 Prozent allen Lebens auf der Erde gekostet hat, nachdem alle Rückkopplungsschleifen ausgelöst worden waren und die zirkulierenden Ströme eines erwärmten Ozeanbodens zum Stillstand gekommen waren - es ist das bevorzugte Gas des Planeten für einen natürlichen Holocaust. Nach und nach breiteten sich die toten Zonen in den Ozeanen aus und töteten Meerestiere, die die Ozeane über Hunderte von Millionen Jahren beherrscht hatten, und das Gas, das das Wasser in die Atmosphäre abgab, vergiftete alles an Land. Auch die Pflanzen. Es dauerte Millionen von Jahren, bis sich die Ozeane erholten.
"The uninhabitable Earth"
Durch die sich beständig zuspitzenden Widersprüche spätkapitalistischer Vergesellschaftung schreitet in der historischen Gesamtbewegung nicht etwa die Vernunft voran, wie von Hegel einstmals postuliert, sondern die Barbarei, die ihren Endpunkt in eben diesen gigantischen Furz hätte, der nahezu alles Leben auslöschte. Nur die Überwindung dieses in offene Verwesung übergehenden falschen Ganzen böte der Menschheit eine Überlebenschance.
Von Tomasz Konicz ist zu diesem Thema im März das Buch Klimakiller Kapital: Wie ein Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlagen zerstört. im Mandelbaum Verlag erschienen. Der obige Text erschien ursprünglich auf der Webpräsenz des wertkritischen Vereins Exit.