Konstruktive Paranoia
"Der Phrasenprüfer": Biographie von Wau Holland, des 2001 verstorbenen Mitbegründers des Chaos Computer Clubs
Wau Holland, der amtlich Herwart Holland-Moritz hieß, war Mitbegründer des Chaos Computer Clubs (CCC) und technischer wie sozialer Visionär. Er starb 2001, kurz vor seinem 50. Geburtstag. Sein Nachlass wird inzwischen in einem Archiv der Netzwelt zur Verfügung gestellt und der jüngste Chaos Congress präsentierte die in Hackerkreisen nicht unumstrittene "Beinahe-Biographie".
Der Autor Daniel Kulla ein Jungliterat und Text-Hacker vom Prenzlauer Berg, versucht eine biographische Annäherung an das Leben des CCC-Gründers: "Der Phrasenprüfer". Der Titel spielt auf Wau Hollands Talent an, Sprache kritisch zu zerlegen und in entlarvende Aphorismen zu gießen, sowie auf sein Markenzeichen: einen Phasenprüfer, den der gelernt Fernmeldetechniker stets in seiner Latzhose bei sich führte. Von einem schnippischen Journalisten einmal gefragt, wozu er so etwas denn brauche, soll Wau geantwortet haben: "Falls ich mal telefonieren muss."
Wau Holland wird in Kullas von leichter Hand am Rande der Schnoddrigkeit verfasstem Text an vier exemplarischen Wirkungsstätten beschrieben: In Hamburg, Jena, Berlin und Löhrbach, der Wirkungsstätte des Underground-Verlages Grüner Zweig, der sich hauptsächlich mit Drogen, Anarchie und Medienexperimenten befasst. Dessen Besitzer Werner Pieper war ein guter Freund Waus und hatte die legendären Hackerbibeln herausgegeben, die nicht zuletzt den Ruf des Chaos Computer Clubs begründeten. Auf seine Initiative geht das vorliegende Buch zurück, dessen Autor von Pieper auch als Lektor beschäftigt wird.
Die Schilderung jedes Schauplatzes beginnt Daniel Kulla mit den von ihm interviewten Gesprächspartnern, Waus Freunden aus alten Hackerkreisen. Er schildert bedächtig wie der Ort mit den Protagonisten in Verbindung steht, woher sie kamen, was sie rauchten, worüber sie stritten. Den Rahmen der vier Szenen setzt er dabei anhand der Musik, der konsumierten Genussmittel, der Anlässe. In Hamburg ist es ein "normaler" Chaostag im Club, in Jena eine coole WG-Party, in Löhrbach ein mystisch-philosophisches Vollmondtreffen der Freunde des Grünen Zweiges", die Berlin-Szene schließlich greift auf den jährlichen Chaos Communication Congress zurück, die jährliche Hacker-Convention, die mittlerweile regelmäßig 2-3000 junge Computerfans anzieht. Nebenbei wird die Geschichte des Clubs in groben Zügen nachgezeichnet sowie auch die Heimholung bzw. -suchung der DDR aus östlicher Sicht - Wau verbrachte die letzten Jahre seines Lebens in Jena.
Wem gehören unsere Daten?
Vielleicht war Wau Holland nicht wirklich "der größte deutschsprachige Aphoristiker seit Lichtenberg" (so der Klappentext). Seine bedeutsame Rolle als Nestor der deutschen Hackerszene ist jedoch unbestreitbar. Wau Holland stellte die Kardinalfrage der Informationsgesellschaft: "Wem gehören unsere Daten?" Sein visionärer Ansatz war einprägsam, radikal und unerfüllbar: "Alle Informationen sollten frei sein." Gemeint war dies als Basissatz, der durch weitere Pflichtsetzungen einzuschränken und zu entfalten sei, insbesondere den Schutz privater Daten. Inzwischen entwickeln Hacker auf der Basis einer so begründeten Hacker-Ethik Zukunftsentwürfe wie den (im Buch angedeuteten) "inversen Panoptismus" und natürlich die nötigen Technologien, um sie noch zu Lebzeiten umzusetzen.
Kulla rekonstruiert Originaltöne des Nestors der deutschen Hackerszene aus Video- und Tonbandaufzeichnungen und reichert sie phantasievoll mit schriftlich oder mündlich überlieferten Äußerungen an. So verdichtet er sie geschickt in einer filmartigen Doku-Fiction, mit Zeitzeugen-Interviews, Rückblenden, Exkursen, O-Tönen und Bildmaterial.Effekthascherei wird dabei weitgehend vermieden, die Szenen sind ruhig, Gespräche kreisen, mäandrieren rund um Themen aus der Subkultur der Netze: Datenschutz, Quantenmechanik, Linux, Bewusstseinserweiterung. Wau wird respektlos und mit dichterischer Freiheit plastisch gemacht.
Langsam nähert man sich dem Ende Waus, seine Gesundheitsprobleme treten hervor, böse Vorahnungen kommen auf, letzte Begegnungen werden nachgezeichnet. In die spürbare Trauer mischt sich das belebende Andenken an einen modernen Diogenes, dessen tiefgründiger Humor weit mehr an Weisheit zeigte als manch akademische Abhandlung zum Thema Computerkultur. Vor allem die "Popularisierung der konstruktiven Paranoia" sei Wau zu verdanken, so das Fazit des Buches.
Wenn sich hier ein "junger Wilder" aus dem Osten an der Geschichtsschreibung einer zunächst rein westdeutschen Erscheinung versucht, so generiert dies schließlich einen speziellen Reiz: Den rückwirkenden Blick von außerhalb, der gerade deshalb besonders leicht an deutsch-deutschen Gemeinsamkeiten hängen bleibt. So z.B. bei der Beschreibung des legendären HASPA-Hacks, bei dem der CCC eine Hamburger Bank online um gute 100.000 DM erleichterte. Danach, so Kulla,
stand auch der Chaos Computer Club unter dem "Verdacht der freischaffenden Subversion". Für die vielen jungen Deutschen, die sich diesem Projekt der Datenbefreiung verschrieben, hatte das therapeutische Wirkung. Sie lernten die Kraft der Bewusstmachung kennen, lauter Deutsche, deren Taten von Spaß durchdrungen wurden. (...) Man machte Scherze, mitten in Deutschland; der befreiende Witz, der hierzulande als unsittlich gilt, fand ein Zuhause. Des groben Unfugs bezichtigt, beharrte er darauf, "feinen Fug" zu machen. Er hieß Wau. Wau Holland. (...) Der zentrale deutsche Fetisch, den es zu exhumieren galt, war die Sicherheit, die Ursache für den faulen Frieden vorher, das Bedürfnis, sich in Sicherheit zu wiegen. Daher war die persönlichste Manifestation des CHAOS der gleichnamige Computer Club, der mit beinahe missionarischem Eifer darauf bestand, dass es keine Sicherheit gibt, dass sie nichts weiter als eine nette, aber ebenso trügerische Illusion ist und der sich daran machte, Schritt für Schritt zu beweisen, an wie vielen Stellen diese Sicherheit trügerisch war.
Daniel Kulla: Der Phrasenprüfer: Szenen aus dem Leben von Wau Holland, Mitbegründer des Chaos Computer Club, Der Grüne Zweig 241, ISBN 3-922708-25-0; 144 Seiten, 8 Fotos, 9 EUR