Kontrollgesellschaft im Nacken

Erneute Internet-Zensur gegen xs4all wegen "Radikal" wirft demokratiepolitische Fragen auf.

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Von 11. bis 21. April hatte der grösste Internetprovider Deutschlands, der Deutsche Forschungs Netzwerk e.V. (DFN), Betreiber des UNI- und Forschungsnetzes, auf Aufforderung der Generalbundesanwaltschaft (GBA) versucht, den Zugang zum Server www.xs4all.nl zu sperren. Hintergrund ist die bereits bekannte Beanstandung seitens des GBA, dass sich auf diesem Server die Ausgabe 154 der Zeitschrift "Radikal" befindet. Auf dem selben Server befinden sich aber auch 6000 weitere Web-Sites.

Noch während diese Sperre in Kraft war, fragte man sich, welche Gründe die GBA wohl dazu bewogen hatten, an den DFN heranzutreten, und warum der DFN so bereitwillig dieser "Bitte" entsprochen hatte (denn eine Bitte ist es wohl, wie Ingo Ruhmann klarstellt, es gibt keine rechtliche Grundlage). Nach dem Ausgang des ersten Zensurversuchs gegen xs4all im vorangegangenen Herbst hätte es allen Beteiligten von vorneherein klar sein müssen, dass dieser Schuss nur nach hinten losgehen kann.

Da es technisch nicht möglich ist, eine einzelne Web-Site unzugänglich zu machen, sondern nur den Server, auf dem sich diese Site befindet, so werden mit dem Versuch, die "Radikal" zu entschärfen, auch gleich 6000 weitere Sites blockiert. Das heisst mit anderen Worten, dass an den wichtigsten Nameservern im Forschungsnetz die Routings zu www.xs4all.nl vorübergehend ausgetragen wurden.
Hat man sich seitens der GBA vielleicht gedacht, es wäre ein gar nicht so schlechter Nebeneffekt, den gesamten Server xs4all abzuklemmen, weil dieser bekannterweise aus der Hackerszene gewachsen ist, und ohnehin nur ein bestimmtes Milieu transportieren würde? Auch die "Wired" bezeichnet in Ihrem Artikel zum jüngsten Zensurfall den niederländischen Server als "controversial" und "notorious for free speach".

Das ist sicherlich "auch" zutreffend. Doch xs4all ist viel zu gross und vielfältig in seiner Klientel, um sich in eine Ecke allein drängen zu lassen. Der Provider hat seine Wurzeln in der Tat in der Hackerbewegung der achtziger Jahre, die damals für die Öffnung des Internet für nichtakademische Kreise kämpfte, und, da ausser durch Hacks damals noch keine "Öffnung" erfolgte, auf Mailbox-Systeme auswich. Als das Internet dann Anfang der neunziger Jahre tatsächlich freigegeben wurde, verfügten sie bereits über eine Infrastruktur an Mailboxen und Erfahrung im Betrieb von Servern. So waren sie unter den Ersten, die diese Öffnung nutzen und einen eigenen Server aufsetzen konnten.

In diesen Prä-WWW-Zeiten war das Interface ASCII und man nahm sich Vorbilder an amerikanischen Freenets. Der Zugang sollte im Prinzip gratis oder so günstig wie möglich sein, jeder sollte zumindest eine Gratis-Emailadresse bekommen können. Der grosse Ansturm der User begann mit der Gründung der "Digital City" Amsterdam (DDS), die das entsprechende soziale Netzwerk zusammenbrachte, um schlagartig grosse Teile der künstlerischen, intellektuellen und soziopolitischen Szene Amsterdams fürs Netz zu begeistern. Xs4all als Provider für die DDS und in eigener Sache ist seither nur gewachsen und gewachsen und gewachsen; nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ in ein geschickt verwobenes Netz von ähnlichen Initiativen, mit zum Teil personellen Überschneidungen, aber leicht unterschiedlichen Schwerpunkten. Neben DDS und xs4all entstanden u.a. die Content Provider Desk.nl, Waag und Contrast, die semikommerziell arbeitend Künstler, Institutionen und Firmen ins Netz bringen und somit einen beständigen Nährboden für Web-Kompetenz bilden.

Auf dem Web-Server von xs4all liegen inzwischen 6000 verschiedene Sites mit den unterschiedlichsten Inhalten. Von der Öko- und Müsli-Ecke, über Amiga- und Atari-Fanclubs, verschiedenen Kunstprojekten und Institutionen, bis hin zu wirtschaftlichen Beratungs- und Dienstleistungsunternehmungen und universitären Forschungsinstituten ist alles vertreten, was das Web-Leben nicht nur bunt, sondern auch kulturell wertvoll macht. Eine der verdienstvollsten Aktionen von xs4all war es, einen RealAudio Server aufzusetzen, um Programme des Belgrader Senders B92 im Internet zu senden. In der dunkelsten Phase der Studentenproteste in Belgrad, als B92 vorübergehend aus dem Äther gedrängt wurde, konnte der Sender so die Stimme der Opposition global hörbar machen. Unabhängig davon bietet sich die "Bosnien-Kroatien Informationsseite", ein mehrsprachiges Archiv über die Kriegshandlungen, mit diversen Pressestimmen, Regierungserklärungen, Verlautbarungen von NGOŽs, Unterlagen über die Kriegsverbrechertribunale, usw., als grossartige Recherchequelle an.

So kann ohne Übertreibung gesagt werden, dass xs4all für die positiven Eigenschaften des Internet steht. Der Server repräsentiert eine aus einer Graswurzel-Initiative gewachsene, grosse Vielfalt von Elementen des Sozialspektrums. Im Verbund mit DDS ist xs4all ein international gewürdigtes Modellprojekt und Anlass von universitären und publizistischen "Case Studies", sowie von Folgeprojekten (z.B. IS, Berlin). Im politischen Sinn "radikal" ist dieses Projekt ganz gewiss nicht, sondern eher aus der niederländisch pragmatischen Tradition des "Freihandels" gewachsen, wozu auch die Toleranz und die Verteidigung der freien Meinungsäusserung gehören.

Es mag entschuldbar sein, dass die GBA all das bislang noch nicht wusste, zumindest der DFN hätte jedoch eine Ahnung haben müssen, wen man da zu zensieren versuchte. Wie sich mit der Begründung des DFN zur Aufhebung der Sperre herausstellte, hatten sich mindestens 3 DFN Mitglieder beschwert, dass ihnen durch die Sperre der Zugang zu Daten von wissenschaftlichem Interesse auf xs4all entzogen worden war. Das ist jedoch sicher nur die Spitze des Eisbergs, da wahrscheinlich viele weitere Kunden von DFN Informationsressourcen auf xs4all für Forschungszwecke nutzen. Und der DFN darf nichts tun, was der Forschung schadet.

Die Deutsche Politik sollte indes überlegen, welchen Imageschaden eine solche Blockade international hervorruft. Würde man mit einer Schlagzeile in einer ausländischen Zeitung nach dem Motto "Deutsche Justiz zensiert niederländisches Internet-Modellprojekt" gut leben können? Wäre bei einer längeren Sperre nicht eine Flut von Prozessen, ausgelöst von Usern des DFN und von xs4all, zu erwarten?

Der GBA sind derartige Komplikationen wahrscheinlich egal. Dem Forschungs-, Justiz-, Wirtschafts- und Aussenministerium sollte es aber nicht egal sein können, wenn in kruder Unverhältnismässigkeit ein ganzer Server gesperrt wird, weil eine Site dieses Servers in Deutschland verboten ist.

So ist es kein Wunder, dass die Sperre nach zehn Tagen aufgehoben wurde. Den Verantwortlichen muss wohl klar geworden sein, dass eine grobe Unverhältnismässigkeit gegeben ist, und dass bei fortgesetzter Sperre die Gefahr besteht, dass die Sache der DFN-Geschäftsstelle über den Kopf wächst.

Denn einige unangenehme Fragen müssen sich die DFN-Verantwortlichen nun ohnehin gefallen lassen. Warum haben sie so schnell der Aufforderung der GBA, die schriftlich am 2.April erfolgte, Folge geleistet? Es existiert kein Gerichtsbeschluss, der den DFN zur Sperre zwingen würde. Und der Verein, der das Deutsche Forschungsnetz betreibt, ist eigentlich gross genug, um sich politisches Rückgrat leisten zu können. Zu seinen Mitgliedern zählen über 400 Universitäten, Fachhochschulen und nicht gerade kleine Unternehmen wie Daimler oder Schering. Wurden diese Mitglieder eigentlich in einer Vereinsversammlung zuvor gefragt, ob sie einer Sperre zustimmen würden? Oder hat das die Geschäftsstelle in Berlin allein entschieden?

Die rechtliche Handhabe der GBA, von den Providern eine Blockade eines Servers überhaupt zu verlangen, ist ausgesprochen dünn. Hauptbezugspunkt ist ein Gesetz, dessen erste Lesung jüngst am 18.4. im Bundestag erfolgte, (das also noch gar nicht beschlossen ist), das IuKDG oder Multimediagesetz (siehe dazu "Rechtsunsicherheit als Programm).

Als dieses Gesetz der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, gab es eigentlich allgemein ein grosses Aufatmen. Es hiess, Provider würden nicht für Fremdinhalte verantwortlich gemacht. Einige Skeptiker allerdings wollten dieser Interpretation nicht ganz Folge leisten. Denn bei näherem Hinsehen erweist sich die genaue Formulierung als sehr unscharf. Es heisst im Teledienste-Gesetz, wie der betreffende Teil des IuKDG auch genannt wird, für einen Internet-Dienste-Anbieter bestünde die Verpflichtung zur Sperrung der Nutzung rechtswidriger Inhalte dann, wenn er von diesen Inhalten unter der Wahrung des Fernmeldegeheimnisses Kenntnis erlangt und eine Sperrung technisch möglich und zumutbar ist.

Was allerdings ist "zumutbar"? Die Totalblockade eines Servers mit 6000 Sites, der praktisch für eine ganze Internetkultur steht, mag der GBA "zumutbar" erscheinen, der Mehrheit der Internet-Nutzer wahrscheinlich nicht. Die "Zumutbarkeit" als Kriterium ist viel zu schwammig formuliert. Doch selbst das "technisch Mögliche" ist umstritten. Im vorliegenden Fall war es z.B. DFN-Usern durch Einstellen eines anderen Proxy-Servers in ihrer Browserkonfiguration - ein technisch einfacher Schritt - möglich, die "Routing Blockade" durch die DFN Nameserver zu umgehen. Das Vorhandensein zahlreicher Mirror-Sites von "Radikal" - denn es geht ja nicht darum, xs4all zu sperren - stellt ebenfalls die technische Möglichkeit und Sinnhaftigkeit des Unterfangens in Frage, bzw. wird hier die technische Frage wieder zu einer politischen.

Auf dieser Ebene lief auch die Verteidigungsstrategie von xs4all. In einem Brief an die GBA und an die DFN beklagte sich Felipe Rodriquez-Svensson, warum nur der Web-Server von xs4all blockiert werde, und legte die Adressen von 44 URLŽs von Mirrorsites von Radikal bei. Konsequenterweise müsste die GBA auch die Sperre dieser Adressen fordern. Welche Beeinträchtigung damit die Entwicklung der Informationsgesellschaft in Deutschland nehmen würde, braucht allerdings erst gar nicht betont zu werden.
Die Strategie von xs4all, den Beteiligten die Adressen der Mirrorsites zu nennen, brachte scheinbar den Erfolg. Der DFN kam zu der Ansicht, dass die Sperre von über 40 Servern, darunter einige wichtige Universitätsserver in den USA, für die Mitglieder nicht "zumutbar" sei. Auch stellte sich für den DFN nach Bekanntwerden der vielen Mirrors die Frage nach der technischen Möglichkeit der Sperrung überhaupt.

So hat sich zwar scheinbar mit der Rücknahme der Sperre am Montag dem 21. April vorübergehend Vernunft durchgesetzt, doch ist zugleich klar, dass das "Hustling" weitergehen wird. Zu viele verschiedene Interessen sind involviert. Wie der Fall CompuServe zeigt, sehen sich Internet-Wirtschaftstreibende mit Ansprüchen der Justiz konfrontiert. Es wird sich zeigen, wie es mit Eunet, T-Online u.a. Grossprovidern weitergehen wird, die sich den Anliegen der GBA gegenüber bislang taub gestellt haben. Irgendwann wird wohl auch die Bundesregierung Farbe bekennen müssen, denn man kann nicht das eine Internet wollen und das andere nicht. Man kann sich nicht aus nationalstaatlichen Sicherheitsinteressen heraus einkapseln und zugleich als High-Tech-Industrienation weltweit Handel treiben wollen.

Dieser Konflikt zwischen Kontrollgesellschaft und "laissez-faire"-Marktpolitik spitzt sich in den derzeitigen gesetzgeberischen Anstrengungen rund um IuKDG und Medienstaatsvertrag der Länder zu. In einem bissigen Kommentar zu der Sperre von xs4all durch DFN analysiert Ingo Ruhman als Sprecher des FIfF (Forum InformatikerInnen für den Frieden) mögliche Beweggründe für die GBA, darunter den folgenden:

Die Vorstellungen der GBA ueber die Verantwortlichkeit fuer Inhalte im Internet und den Zugang dazu und die fuer die Zukunft im Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz (IuKDG) geplante Loesung sind nicht ganz in Uebereinstimmung zu bringen. Die neue Sperrungsaufforderung passt zeitlich gut mit der ersten Lesung des IuKDG im Bundestag am 18.4. zusammen. Vielleicht hofft die GBA auf irgendeine Reaktion, die fuer die Forderung nach einer Gesetzesverschaerfung herhalten koennte.

Ingo Ruhmann

Bei der ersten Lesung des IuKDG im Parlament gab es bislang keine Stimme des Protestes gegen den Paragraphen, der die Providerverantwortlichkeit regelt. Vielleicht sollte man sich, durch den jüngsten Fall misstrauisch geworden, genauer mit der Schwammigkeit des Begriffes des "Zumutbaren" befassen. Möglicherweise kann die Justiz, wenn der Gesetzestext so dehnbar ist, Präzedenzfälle schaffen, wodurch Providern schliesslich doch die Daumenschrauben für Kundeninhalte angezogen werden können.

Ohne auf die weiteren Fussangeln einzugehen, die das IuKDG noch enthält, zeichnet sich ab, dass dieses Gesetz einer dringenden Bearbeitung bedarf, bevor es verabschiedet wird. Denn die deutsche Gesetzgebung gerät in Gefahr, genau das zu tun, was laut offizieller EU-Richtlinie nicht getan werden sollte, nämlich vorschnell, auf der Basis eines zu geringen Wissensstandes über den Umgang mit neuen Technologien und unter dem Einfluss von Tagesaktualitäten, restriktive Gesetze zu beschliessen, welche die Entwicklung der Kommunikationsgesellschaft hemmen könnten.

Das hartnäckig vorgebrachte Anliegen der GBA, die Zeitschrift "Radikal" und ihre Macher zu verfolgen, sollte die Entstehung einer erst in Entwicklung begriffenen Netzkultur nicht interventionistisch unterbinden können. (Felipe Rodriquez-Svensson betonte verschiedentlich, dass bisher weder die deutsche noch die holländische Justiz an ihn herangetreten sei). Das eine hat eigentlich mit dem anderen gar nichts zu tun.

Unabhängig von xs4all betrachtet ist, nach der gängigen Rechtslage, das Vorgehen der GBA gegen Radikal legitim. Dazu muss man sich allerdings fragen, wie sich ein Rechtsklima entwickeln konnte, so dass mit so schwerem Geschütz gegen eine kleine Zeitschrift aufgefahren werden kann. Hierzu müsste man tiefer in die jüngere Zeitgeschichte eintauchen. Anders als in den USA wird in Deutschland die Freiheit der Rede nicht höher bewertet als das Interesse des Staates, sich vor politischem Extremismus zu schützen. Durch die spezifische deutsche Geschichte kann das gerechtfertigt klingen, weil dadurch nach dem Krieg jede rechtsextreme Propaganda im Keim erstickt werden konnte.

Spätestens seit den 68-er Studentenprotesten und der darauffolgenden Radikalisierung einzelner Gruppen hin zum Terrorismus wandte sich die Staatsraison mit gesteigerter Heftigkeit gegen die "Redefreiheit" linker Gruppen. Im herrschenden Klima des Kalten Krieges war ein linker Hippie nicht einfach nur ein unzufriedener Deutscher sondern a) ein Agent Moskaus oder Pekings, und b) ein potentieller Terrorist oder zumindest Sympathisant.
Der autoritäre Regierungsstil verschärfte sich in den achtziger Jahren unter Kohl und im allgemeinen Klima des Reagan-Thatcherismus. Die RAF hatte ihre Schlacht menschlich und militärisch eigentlich längst verloren. Doch Anfang der achtziger Jahre hatten verschiedene andere anti-autoritäre Bewegungen starken Zulauf, die Friedens- und Anti-Atombewegungen, die gegen eine Aufrüstung Europas durch Neustationierung atomarer Waffen kämpften, und die Hausbesetzerbewegung in den Grossstädten, allen voran Berlin, das den beständigen Nährboden für alle Protestbewegungen bildete.

In dieser Phase, als der Berliner Innensenator Lummer eine Reihe von Räumungen besetzter Häuser gewaltsam durchzusetzen versuchte, entstand die Zeitschrift "Radikal" als Informationsbote für die Besetzerszene. Der schliesslich gelungene Versuch, die Macher von Radikal als "terroristische Vereinigung" zu kriminalisieren, kann nur im Kontext dieses spezifischen achtziger Jahre Klimas gesehen werden. Es wurde seitens der Justiz befürchtet, die Berliner Autonomen könnten sich radikalisieren und damit einen neuen Nährboden für die RAF bilden. So bemühte man sich, diese Tendenzen im Keim zu ersticken.

Heute fragt man sich, was ist an der "Radikal" eigentlich so radikal? Dank der grossartigen Publicity, welche die GBA dem Blatt verschafft hat, haben sie ja nun viele gelesen und sind darüber nicht gleich zu irren Mördern geworden. In einem gewandelten gesellschaftlichen Klima - mit einem gerade erst mühsam beendeten Krieg auf dem Balkan - haben viele Leute den Eindruck, dass es dringlichere Sorgen gibt, als sich um "Radikal" zu kümmern. "Wir" - ich spreche von einer seltsamen schwammigen Masse namens Europa im "Zusichselbstfindungsprozess" - wollen ja eigentlich ökonomische und kulturelle Verbindungen nach Westen wie nach Osten ausbauen und gerade dadurch verhindern, dass irgendjemand Gewalt als letztes Mittel sieht.

Deshalb sollte eigentlich Schluss sein mit der Paranoia aus der Zeit des Kalten Krieges. Grundlagen für eine friedvollere Zukunft sollten geschaffen werden, in der die Militanz, egal von woher sie kommt, weniger zu sagen hat. Deutschland hat jahrelang versucht, mit dem Iran einen "kritischen Dialog" zu führen, warum wird ein solcher nicht auch mit "Radikal" versucht? Die demokratischen Instanzen müssen daraufhin befragt werden, ob Deutschland vor der Jahrtausendwende die ganzen "Radikalengesetze" immer noch nötig hat, die es ermöglichen, dass eine Zeitschriftenredaktion zu einer "terroristischen Vereinigung" erklärt werden, und jegliches zugänglich Machen ihres Materials - selbst nur durch einen Link - als "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" kriminalisiert werden kann. Diese Gesetzes-Relikte aus der Zeit der Nachkriegs-, und RAF-Wirren sollten durch eine wirkliche gesellschaftliche Öffnung und mehr Partizipation von Bürgern mit politischen Vorgängen ersetzt werden. Und genau dafür, Restriktion durch Kommunikation zu ersetzen, eignet sich das Internet zumindest potentiell ziemlich gut.

Wie aber der Fall der erneuten Sperre von xs4all so deutlich zeigt, ist ein hierarchisch und in seiner Mentalität immer noch auf Kalter Krieg getrimmter Staat ein möglicher Stolperstein für die Entwicklung der Internetkommunikation. Es ist wie ein Wiedererstehen des "militärisch-industriellen Komplexes", der von den 68-igern kritisiert wurde, und der nun zu einem Schlag gegen die inzwischen technologisierte Hippie-Szene ausholt. Das erscheint zum einen als untragbarer Anachronismus. Zugleich müssen wir leider davon ausgehen, dass derartige Fälle von "low-intensity-information-warfare" in Zukunft immer öfter vorkommen können. Denn in zu vielen Köpfen in Regierungsstellen ist immer noch "Krieg", wurden die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt. Erkenntnis wird sich wohl langsam, begleitet von schmerzhaften "Entladungen" in Form solcher "Netzreibereien" durchsetzen, indem wir lernen, wie wir mit Autorität und Dissens anders umgehen können.

Dabei sollte es ein Anliegen sein, die Erkenntnis zu verbreiten, dass Übergriffe gegen Cyberrights nicht nur Übergriffe gegen heutige Internet-Nutzer sind, sondern mehr und mehr alle betreffen werden, indem Cyberrights zunehmend Ausdruck elementarer Persönlichkeitsrechte in einer sogenannten Informationsgesellschaft werden.

Kontrolle ist out, Vertrauen ist nötig.

Nützliche Links zum Thema:
Spotlight Forumpage von Felipe Rodriquez.
"Gewitterwolken am Netzhorizont", Artikel über die Blockade von xs4all von Sabine Helmers im Spiegel