Das Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz - IuKDG
Rechtsunsicherheit als Programm!
"Wir machen Multimedia möglich" blinkt es provokativ auf der Homepage des Bildungs- und Forschungsministerium. Ein Link führt zum Referentenentwurf des Multimediagesetzes. Doch Inkompetenz und Ignoranz von Entscheidungsträgern drohen, das Gespann von Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz (IuKDG) und Mediendienstestaatsvertrag zu Garanten künftiger Rechtsunsicherheit werden zu lassen. Der Mediendienstestaatsvertrag wird diese Woche im Bundesrat diskutiert. Noch ist es also möglich, Einfluß zu nehmen, auch für die einzelnen Bürger via Bundestagsabgeordnete. Doch zu aller erst müßte wohl eine gesellschaftliche Diskussion in Gang kommen.
Wenn am 1.1.1998 das Monopol der Telekom AG fällt, soll das Gesetz in Kraft treten. Seit Anfang Februar letzten Jahres wurde unter der Federführung des Bildungs- und Forschungsministerium das Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz, im Volksmund "Multimediagesetz", in Zusammenarbeit mit dem Bundesinnenministerium, dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesjustizministerium entwickelt. Der vorliegende Regierungsentwurf enthält 11 Artikel. Der Referentenentwurf des Multimediagesetzes vom 8. November 1996 wurde am 11. Dezember im Bundeskabinett verabschiedet. Nach der Stellungnahme des Bundesrats zum Mediendienste-Staatsvertrag in der ersten Februarwoche soll er zu Beginn des Frühjahrs in das Parlament eingebracht werden.
Mehrere Entwurfsfassungen wurden im Internet der Öffentlichkeit vorgestellt, doch die anfangs rege Dikussion in den Besucherforen des Forschungsministerium ist seit November eingeschlafen. Auch die Presse kümmert sich nicht um das neue Gesetz, das die digitalen Welten künftig regeln soll. Zwar sind die Inhalte neu und komplex und die Querverbindungen zu bereits vorhanden Regelungen nicht auf den ersten Blick zu erkennen, doch gerade in den verborgenen Zusammenhängen liegt politischer und wirtschaftlicher Sprengstoff. Es steht zu befürchten, daß ähnlich wie beim Telekommunikationsgesetz die Betroffenen erst dann aufwachen, wenn das Gesetz verabschiedet ist.
Forschungsminister Rüttgers verbindet mit dem Gesetz eine Menge guter Absichten: die Nutzung von Multimedia soll auf eine verläßliche rechtliche Grundlage gestellt und Investitionssicherheit für Multimedia geschaffen werden. Daten sollen besser als bisher geschützt werden, der Schutz von Verbrauchern, Kindern und Jugendlichen auf die Datenautobahnen ausgedehnt und rechtswidrige Inhalte aus den Netzen verbannt werden. Zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen gehören die uneingeschränkte Zugangsfreiheit, die klare Bestimmung der Verantwortlichkeit für Inhalte, die Sicherung der informationellen Selbstbestimmung des Nutzers, der effektive Schutz vor Mißbrauch der neuen Dienste, das Ermöglichen von Innovationen durch digitale Signaturen und der urheberrechtliche Schutz von Datenbanken. All das ist an sich begrüßens- und wünschenswert, doch manches sollte besser nie geregelt werden:
Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind alles andere als sicher. Schon jetzt drohen Vertreter der Industrie, ihre Geschäftsdienste ins Ausland zu verlegen, falls das Gesetz wie geplant verabschiedet werden sollte. Durch das Gesetz werden Rechtsunsicherheiten nicht beseitigt, sondern provoziert. "Es wäre für alle Beteiligten besser, der Entwurf käme nie über sein derzeitiges Stadium hinaus", so der SPD-Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der Enquete-Kommission "Zukunft der Medien", Jörg Tauss. Allein die mangelnde inhaltliche Verzahnung zwischen IuKDG und Medienstaatsvertrag der Länder, der allein mit formaljuristischen Nachbesserungen nicht beizukommen ist, wird die Diensteanbieter in jahrelange Rechtsprozesse hineinziehen. Schon jetzt stehen prominente Berater und Rechtsexperten bei den Online-Diensten auf der Matte, um in den kommenden Prozessen satte Gutachterhonorare einstreichen zu können. Kleine Provider stehen dieser Entwicklung aufgrund ihrer dünnen Finanzdecke ausgeliefert gegenüber. Schon innerhalb eines Jahres könnte sich die Medienlandschaft drastisch verändern. Eine Gesetzesnovelle käme dann bereits zu spät.
Die SPD kündigte am 10. Dezember, einen Tag vor der Kabinettsitzung, an, dem Gesetzespaket nicht zuzustimmen. "Schwerwiegende Bedenken" ergäben sich vor allem aus den Regelungen des Teledienstegesetzes, so Tauss in einer Presseerklärung. Artikel 1, das Teledienstegesetz (TDG) stellt das bundesrechtliche Gegenstück zum zeitgleich von den Ländern vorgelegten Entwurf eines Mediendienste-Staatsvertrags dar. Der Staatsvertrag soll inhaltlich mit dem Bundesgesetz abgestimmt und möglichst zeitgleich in Kraft treten. Hier werden die Grundfragen des Anwendungsbereichs der bundesgesetzlichen Regelungen, der Zugangsfreiheit, der Verantwortlichkeit und der Anbietertransparenz für den Bereich der Teledienste geregelt.
Medienmogul Kirch hatte mit seinem geplanten Digitalfernsehen und Video-on-demand, das jedoch frühestens in 10 Jahren, falls überhaupt realisiert werden wird, die Diskussion um ein Multimediagesetz erst in Gang gebracht. Die Veröffentlichung der Eckwerte von Zukunftsminister Jürgen Rüttgers im Mai letzten Jahres leitete eine harte Auseinandersetzung um die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern ein. Zwei Rechtsprofessoren erstellten im Juni ein Gutachten, das die inhaltlichen Fragen vorübergehend klärte. Am 1.7.96 beschlossen Bund und Länder gemeinsam, Multimedia in Deutschland nicht an unterschiedlichen Auffassungen zu Kompetenzen scheitern zu lassen. Da Multimedia kein Rundfunk ist, sollte die Rundfunkkompetenz der Länder von dem neuen Gesetz unberührt bleiben. Die Länder sollten einen Mediendienste-Staatsvertrag entwerfen, der Bund das IuKDG.
Um die Interessen sowohl von Bund als auch Ländern zu befriedigen, verständigte man sich auf den Begriff der "Allgemeinheit". Informations- und Kommunikationsdienste, die "an die Allgemeinheit gerichtet sind", sind "Mediendienste". Damit unterliegen sie den Vorschriften des Mediendienste-Staatsvertrages. "Teledienste" hingegen sind Angebote, die sich individuell an den Einzelnen richten, nicht einer beliebigen Öffentlichkeit zugänglich bzw. keinen publizistischen Charakter haben. Ihre "Bestimmung liegt in der individuellen, autonomen Nutzung von Inhalten", so Rüttgers in einer Presseerklärung vom 11.12.96. Damit unterliegen Teledienste dem Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz (IuKdG). Die Definition des Mediums und damit des Zuständigkeitsbereichs zieht jedoch unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich.
Schon heute überschreiten Teledienste die per Gesetz festgelegten Grenzen. Zwar bezieht sich der Gesetzgeber bei der Definition auf vielfältigste Formen von Individualkommunikation wie Telebanking, Telearbeit, Telemedizin, Telelernen, Telematik, Meinungsforen, Datendienste wie Verkehrs-, Wetter-, Umwelt- und Börsendaten, Homepageangebote, Telespiele, elektronische Bestell-, Buchungs- und Maklerdienste sowie Beratungsdienste, doch in der Praxis ergeben sich vielfältige Überschneidungen innerhalb ein und desselben Dienstes. Zwar wollten die Entwerfer des Gesetzes inhaltliche Definitionen finden, da technische aufgrund der schnellen Entwicklung bald überholt seien, doch die gefundenen inhaltlichen Begriffe leisten nicht das, was sie sollen: Klare Abgrenzungen der Kommunikationsbereiche, um eindeutige Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern festlegen zu können.
Der Teledienst E-Mail steht dem klassischen Begriff der "one-to-one"-Kommunikation noch am nächsten, allerdings nur so lang wie Texte, Bilder oder Sounds von einem Absender zu einem Empfänger übermittelt werden. Sobald per E-Mail Mitteilungen über Mailinglisten bwz. Verteillisten an mehrere Empfänger verschickt werden, wird der Teledienst E-Mail seiner Funktion nach zum "Abrufdienst, bei dem Text-, Ton- oder Bilddarbietungen auf Anforderung aus elektronischen Speichern zur Nutzung übermittelt werden" beziehungsweise Verteildienst "in Form von direkten Angeboten an die Öffentlichkeit". Die E-Mail fungiert dann als Mediendienst, der dann dem Mediendienste-Staatsvertrag der Länder unterliegt.
Auch im World Wide Web werden Fernsehprogramme und Radio übertragen oder auf Abruf bereit gehalten. Gilt das Web dann als Abrufdienst im Sinne des Medien-Staatsvertrags oder als Teledienst, der von einem Einzelnen oder einem kleinen Kreis Privater ohne kommerzielle Interessen veranstaltet wird? Falls das WWW-Radio als klassischer Rundfunk begriffen wird, muß es durch die Landesmedienanstalten lizenziert werden. Die definitorische Kopfgeburt der "Allgemeinheit" zöge dann länderspezifische Regelungen für einen weltweit operierenden Kommunikationsdienst nach sich.
Für Unternehmen aus dem Telekommunikationsbereich wie der Telekom ergeben sich aus der Länderregelung 15 Ansprechpartner, mit denen milliardenschwere Investitionsvorhaben abgestimmt werden müssen. Auch im Datenschutz hat die Regelungswut der Länder unangenehme Folgen. Wählt sich beispielsweise ein geschäftsreisender User im Lande Sachsen-Anhalt in seinen heimatlichen Netzknoten in Bayern ein und will sich später beim Datenschutzbeauftragten über eine mißbräuchliche Verwendung seiner Daten beschweren, findet er als Anlaufstellen drei Aufsichtsbehörden in Sachsen-Anhalt und fünf in Bayern. Im Telekommunikationsgesetz wurde zwar ein Bundesdatenschutzbeauftragter eingerichtet, doch für Anwender sind die Länder Ansprechpartner, siehe Mediendienste-Staatsvertrag.
Das Datenschutzgesetz für Teledienste, Artikel 2 des IuKdG, soll übereifrigen Marktforschern und unbefugten Datensammlern das Leben schwer machen. Der Grundsatz der Datenvermeidung gilt als Leitlinie für den Datenschutz. Keine oder nur so wenige personenbezogene Daten wie nötig dürfen erhoben werden. Diensteanbeiter sollen anonyme Nutzungs- und Zahlungsformen anbieten. Die Verfolgung von Straffälligen wird dadurch nicht behindert, wie Datenschützer betonen. Personen, die sich strafbar gemacht haben, sind ihrer persönlichen Rechte entbunden. Pseudonyme dürfen zurückverfolgt werden, es darf abgehört werden.
Die Zahlenpseudonyme, die CompuServe an seine TeilnehmerInnen verteilt, gelten im Sinne des Datenschutzes nicht als Pseudonyme, so der Sprecher des Bundesbeauftragten für Datenschutz und zuständige Referatsleiter Werner Schmidt. Die Zahlen bleiben in der Korrespondenz immer gleich und fungieren daher wie Telefonnummern. Die Folge: CompuServe darf keine Nutzungsprofile erstellen.
Bestimmte Arten von Cookies könnten dann nur noch illegal zum Einsatz kommen: Persistente Cookies, die auf dem lokalen PC gespeichert werden und über den Browser mit dem Server kommunizieren, ohne daß der Benutzer über dies Aktivitäten Bescheid weiß und sich damit einverstanden erklärt. Für Web-Tracking-Software beispielsweise bedeutet das das Aus.
Manche Gesetzesbegriffe sind nicht eindeutig und sorgen schon im Vorfeld für Unsicherheit: Der Begriff der Bestanddaten im Telekommunikationsgesetz wird im IuKdG-Entwurf anders definiert: Bestanddaten werden nach Paragraph 5, Absatz 1, künftig zugleich Bestanddaten und Vertragsdaten der Teledienstanbieter umfassen. Für Ingo Ruhmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter des forschungspolitischen Sprechers von Bündnis90/Die Grünen sind die Bestanddaten Anlaß zur Sorge.
Banken müssen laut Paragraph 5, Absatz 3 nun Sicherheitsbehörden alles im Umfang für das Vertragsverhältnis wichtige herausrücken.
Ingo Ruhmann
Darunter falle zumindest die Bankkontonummer. Von der Organisation des Teleservices hänge ab, welche Bankendienste noch zu den Bestandsdaten gerechnet werden können.
Datenschützer Schmidt schätzt die Lage jedoch anders ein: Banken könnten zwar ihre eigene Informationsdienste anbieten, Bankgeschäftsdaten in Bezug auf Diensteanbieter fallen jedoch nicht unter die Bestanddaten. Der erweiterte Begriff der Bestandsdaten werde jedoch zum Problem, wenn darin "persönliche Präferenzen abgelesen werden können". Mail-Listen zur Werbeverhinderung bzw. positiv gesprochen, Mailing-Listen, die nur einen bestimmten Kreis an E-mail-Partner zulassen, können unter Umständen zu den Bestandsdaten gehören. Ähnlich wie bei dem von der Telekom geplanten Tarif "Friends & Family" lassen sich dann eingeschränkte Nutzerprofile erstellen.
Der unkontrollierte Zugriff der Sicherheitsbehörden auf Bestanddaten der Anbieter wird bereits im Telekommunikationsgesetz geregelt, mit dem IuKDG verschärft sich die Lage. Da Bestanddaten nun definitorisch auch Vertragsdaten enthalten, dienen sie nicht mehr als reines Äquivalent der Telefonauskunft. Nutzerprofile können abgelesen werden, wenn die Anbieter ihre personenbezogenen Daten zu Abrechnungszwecken zusammenführen dürfen. "Ein Unding", protestierte Andy Müller-Maguhn vom Chaos Computer Club, anläßlich eines von der SPD veranstalteten Expertengesprächs in der vergangenen Woche.
Da die Grundkonzeption im Teledienste-Datenschutz mit den Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder beraten und abgestimmt wurde, wird der Datenschutz bei Telediensten und Mediendiensten inhaltsgleich sein. Da der Gesetzesentwurf jedoch teilweise weit über die Normen des Bundesdatenschutz-Gesetzes hinausgeht, könnten sich einige Rechtsunsicherheiten ergeben, wie Jörg Tauss moniert. Beispielsweise kollidiert die vorgesehene Löschpflicht von Abrechnungsdaten nach 80 Tagen mit der steuerrechtlichen Pflicht, die eine Aufbewahrungszeit von 10 Jahren vorsieht.
Vor allem das Signaturgesetz (SigG), Artikel 3, ebnet den Weg für bahnbrechende Entwicklungen: Tauss lobt den Entwurf über alle Maßen: Er falle, "nicht nur wegen seiner höheren 'handwerklichen' Qualität aus dem Rahmen." Ihm komme darüber hinaus "eine für die Rechtskultur der künftigen Informationsgesellschaft nicht zu unterschätzende Bedeutung zu", man spräche nicht "zu Unrecht von einem 'Jahrhundertwerk'". Unbestreitbar spielt der Entwurf eine Vorreiterrolle innerhalb der Europäischen Union. Doch Niedersachsen kündigte im Bundesrat bereits Widerstand an. Die Diskussion um das Signaturgesetz sei verkürzt, die Bund-Länderfrage ungeklärt. Dahinter mag auch die Furcht vor einem möglichen Kryptoverbot stehen, das mit der durch das SigG installierten Infrastruktur leicht durchgesetzt werden könnte.
Die digitale Signatur ist ein asymmetrisches Verschlüsselungsverfahren, mit dessen Hilfe sich Urheberschaft und Unverfälschtheit von Daten zuverlässig erkennen lassen. Das Gesetz regelt die dafür erforderliche Sicherungsinfrastruktur durch ein Lizenzierungs- und Zertifizierungssystem. Homebanking, Warenbestellungen, digitaler Rechtsverkehr und Behördengang sollen damit künftig sicher über die Datennetze abgewickelt werden können. Bislang konnten Daten verändert oder verfälscht werden, ohne daß dies nachgewiesen werden konnte. Briefköpfe, eingescannte Unterschriften, die bei digitalen Dokumenten wie Fax oder E-Mail verwendet werden, hatten daher bislang vor Gericht keinen Beweiswert. Die digitale Signatur jedoch soll den digitalen Rechtsverkehr sicherer machen, per Datenübertragung verschickte Dokumente können dann in der Folge auch international anerkannt werden. Ob die digitale Unterschrift der eigenhändigen Unterschrift rechtlich vollkommen gleich gestellt werden wird, ob elektronisches Geld mit Hilfe der digitalen Signatur schon bald Realität werden wird, ist jedoch noch offen.
Mehrfach war der Entwurf des Signaturgesetzes in die Schlagzeilen geraten, nachdem gemutmaßt wurde, daß die Zertifizierungsstellen zu einem späteren Zeitpunkt auch zur Durchsetzung eines Kryptoverbots eingesetzt werden könnten. Der Einsatz kryptographischer Verfahren, mit denen die Inhalte der Kommunikation verschlüsselt werden können, ist zur Zeit noch uneingeschränkt erlaubt. Eine Ressortarbeitsgruppe namens "Task Force Kryptopolitik" unter der Federführung von Bundeswirtschaftsministerium und Bundesinnenministerium prüft zur Zeit verschiedene Modelle zur Kryptoregulierung. Vor allem Innenminister Kanther plädiert mit dem Argument der "Inneren Sicherheit" für ein eingeschränktes, eventuell totales Kryptoverbot - mit Rückendeckung aus dem Bundeskanzleramt. Rexrodts Wirtschaftsministerium und Schmidt-Jortzigs Justizministerium, die für eine weichere Lösung plädieren, werden vermutlich den Kürzeren ziehen. Mit ihnen auch die User. Zwar setzt die Netzgemeinde auf Hilfe zur Selbsthilfe, PGP, doch der Griff zum Kryptoschlüssel wird dann nur noch illegal geschehen können.
Zwar ist die Bundesrepublik in Sachen digitaler Signatur zum Vorreiter in der EU geworden, doch, mit der Aussicht auf ein Kryptoverbot, wäre eine gesamteuropäische Lösung zuerst anzustreben. Die neue Copyright-Regelung als eine Ergänzung des Urheberrechts in Artikel 7 beispielsweise setzt die Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken (RL 96/9/EG) durch entsprechende Änderung des Urheberrechtes um. Jetzt gilt auch für Datenbanken der Schutz der "eigenen persönlichen Schöpfung". Für Computerprogramme und Fotografien gilt das Copyright schon seit längerem. Entscheidendes Kriterium für das Copyright ist die Individualität. Dennoch bleibt aus Sicht der Copyright-Hardliner die Regelung ungenügend. Eine sinnvolle Lösung wird nur weltweit gefunden werden können.
Artikel 4 und 5 des Multimediagesetzes führen einen erweiterten Schriftenbegriff im Strafgesetzbuch und im Ordnungswidrigkeitengesetz ein. Auf diese Weise sollen rechtswidrige Inhalte auch auf Datenträgern, beispielsweise Magnetbändern, Festplatten, CD-ROMs, und in elektronischen Arbeitsspeichern geahndet werden können. Damit werden auch flüchtige Bildschirmanzeigen strafrechtliche Relevanz besitzen, rechtliche Unklarheiten werden damit beseitigt. Alle Straftatbestände, die eine Schrift als Begehungsform voraussetzen, gelten nun auch für Inhalte, die über Datennetze verbreitet werden. Dazu gehören beispielsweise die Volksverhetzung/Auschwitzlüge (§ 130 StGB), Gewaltdarstellung (§131 StGB), Verbreitung pornographischer Schriften (§184), Öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§111 StGB), grob anstößige und belästigende Handlungen (§119OWiG), Verbot der Werbung für Prostitution (§ 120 OWiG), Erweiterung der Einziehungsvorschriften (§ 123 OWiG) und Öffentliche Aufforderung zu Ordnungswidrigkeiten (§ 116).
Der erweiterte Schriftenbegriff allein löst jedoch noch nicht die anstehenden Rechtsfragen. Ob beispielsweise ein Link zu einer inkriminierten Web-Site bereits als Aufforderung zu Straftaten gesehen werden kann, wird erst die Prozeßpraxis zeigen. Der Fall Radikal - Angela Marquardt könnte hier ein entscheidender Präzedenzfall werden. Davon unberührt hat jeder Teledienstanbieter mit ständigem Wohnsitz in Deutschland künftig die Pflicht, unzulässige Inhalte von seinen Servern zu entfernen, beziehungsweise den Zugang zu diesen Inhalten zu sperren, sobald er davon Kenntnis hat. Und auch nur dann, wenn es zumutbar ist. Doch was ist zumutbar? Hier werden die Gerichte die Entscheidung fällten müssen.
Der Gesetzgeber geht von dem Begriff des Access- und des Content-Providers aus. Access-Provider vermitteln lediglich den Zugang zu den Informationen, während Content-Provider selbst Informationen anbieten. Content-Provider sind periodische Anbieter, worunter auch die elektronische Presse fällt. Normale Anwender sind davon nicht betroffen, außer dann, wenn sie beispielsweise auf ihrer Homepage regelmäßig veröffentlichen. Auch Usenet-Teilnehmer werden nicht zu Anbietern, wenn sie in unregelmäßigen Abständen Artikel im Usenet veröffentlichen.
Der Jugendschutz wird in Artikel 6 des IuKdG auf multimediale Gegebenheiten zugeschnitten, der "Kampf gegen die Netzbeschmutzung", so Rüttgers, soll damit aufgenommen werden. In der Öffentlichkeit sind es vor allem jugendgefährdende digitale Schriften, die das Negativimage des Internet bestimmen. Der Gesetzentwurf reagiert mit der Anpassung des Schriftenbegriffs an das Strafgesetzbuch. Ob jedoch die weiteren Maßnahmen Wirkung zeigen werden, ist zu bezweifeln. Das Gesetz ermächtigt die Bundesprüfstelle, jugendgefährdende Inhalte auf Datenträgern zu indizieren, die Diensteanbieter zur Einführung technischer oder sonstiger Vorkehrungen im Zusammenhang mit der Verbreitung indizierter Angebote zu verpflichten.
Der Schriftenbegriff des Gesetzes orientiert sich damit an der Verantwortlichkeit eines 'Herausgebers' oder 'Verleihers', der in der Lage ist, materiell verkörperte Werke durch entsprechende Vorkehrungen, wie Ladentheke oder bauliche Maßnahmen, von Jugendlichen fernzuhalten.
Jörg Tauss
Im Internet "fehlen jedoch in der Regel verantwortliche 'Herausgeber' oder 'Verleiher'", zudem stünden "keine räumlichen Grenzen zur Verfügung, um eine weitere Verbreitung der indizierten Informationen wirksam zu unterbinden," so Tauss weiter.
Die technisch (un)mögliche Totalsperre ganzer Server, so wie es im Fall XS4ALL vorexerziert werden sollte, kann hier keine akzeptable Lösung sein. Zwar sehen Online-Dienste wie AOL schon seit mehreren Monaten die Gestaltungsmöglichkeit unterschiedlicher Teilnehmerprofile vor, die Kinder und Jugendliche von bestimmten AOL-Bereichen fern hält, Software ermöglicht Eltern, Seiten zu indizieren und auszufiltern. Geht es jedoch nach dem Gesetz, müssen auch Provider diese Aufgabe übernehmen. Für Provider, die lediglich einen Zugang ins Internet anbieten, mag diese Vorgabe nur schwer zu realisieren sein.
Zwar sollen Jugendschutzbeauftragte Diensteanbietern und Nutzern als Ansprechpartner und Berater zur Seite stehen, doch läßt sich zur Zeit eine praktikable Umsetzung der Schutzvorgaben nur schwer vorstellen. Zudem könnte das Gesetz zum wirtschaftlichen Druckmittel gegen die Provider ausgenutzt werden. Sobald der Provider von gefährdenden Newsgroup-Artikeln oder Web-Seiten in Kenntnis gesetzt worden ist, muß er diese, entsprechend der Sendezeiten im Rundfunk und Fernsehen, zu bestimmten Zeiten sperren. Das Gesetz räumt ein, daß dies nur in einem zumutbaren Umfang stattfinden könne, doch auch hier werden wieder die Gerichte klären müssen, was zumutbar ist und was nicht. Kleine mittelständische Unternehmen werden den Gang durch die Instanzen der Verwaltungsgerichte, der bis zu 15 Jahren dauern kann, nicht überleben.
Problematisch sind die Gesetzesentwürfe deshalb, da die ihr zugrundeliegenden Definitionen der medientechnologischen Entwicklung schon heute hinterherhinken. Die föderalistische Struktur der Bundesrepublik will Multimedia nach ihren Regeln möglich machen, doch die multimediale Landschaft des Internets läßt sich nicht in traditionelle Stammesgrenzen weisen. Vor allem im Hinblick auf den Jugendschutz ergeben sich überschneidende Verantwortlichkeitsbereiche, die erst durch die Gerichte gelöst werden könnten. Problematisch ist zudem, daß beim Entwurf des Gesetzes vor allem an Video-Demand und digitales Fernsehen gedacht wurde, nicht jedoch an die vielfältigen Dienste des Internet.
Die Regelungen des Teledienstegesetzes und des Jugendschutzes sind noch änderungsbedürftig. Den Fakten, die durch die technologische Entwicklungen geschaffen werden, wird der auf föderalistische Abgrenzungen und Kompromißlösungen bedachte Entwurf kaum gerecht. Die Ausdehnung des Schriftenbegriffs auf den Jugendschutz scheint zunächst sinnvoll, auf zweiten Blick erweist sie sich als nicht praktikabel. Überaus positiv ist das Signaturgesetz zu bewerten, das lediglich Rahmenvorgaben vorsieht, die durch die Signaturverordnung konkretisiert werden und schrittweise an die technologische Entwicklung angepaßt und umgesetzt werden. Die Ausklammerung des kontrovers diskutierten Dauerbrennpunkts Kryptographie ist ein geschickter Schritt, um die Verabschiedung des Gesetzes überhaupt zu ermöglichen. Damit ist das Kryptoverbot allerdings nicht vom Tisch.
Es steht zu befürchten, daß die Rechtspraxis die Normen setzen wird, falls das Gesetzesvorhaben nicht vor der Bundestagsentscheidung im Frühjahr noch gründlich überarbeitet wird. Rüttgers:"Grauzonen zu den Mediendiensten lassen sich nicht ausschließen. Um diese Grauzonen zu minimieren, werden wir mit den Ländern im Gespräch bleiben." Die beste Lösung wird jedoch eine Neuregelung sein. Ein gemeinsam von Bund und Ländern getragenes Regulierungsorgan bietet den einzig sinnvollen Ausgang aus dem Kompetenzgerangel, das die Volkswirtschaft mit Milliarden an Folgekosten belasten und viele kleine Anbieter wirtschaftlich überfordern wird. Vor allem aufgrund von Artikel 1 wird das Gesetzespaket von Vertretern der Wirtschaft und der Gewerkschaften übereinstimmend als "innovationsfeindlich" eingestuft. Die dafür nötige Verfassungsänderung wäre sicherlich zum Wohle des Volkes.
Die in diesen Fragen teilweise überforderten Abgeordneten, die den technologischen Fortschritt mit den "staunenden Augen eines Kleinkindes" (Thierse) betrachten, bieten den Gesetzesschreibern und Referenten nicht genügend Widerstand. Die Enquete-Kommission "Zukunft der Medien" hüllt sich in Schweigen. Die fehlende gesellschaftliche Diskussion, das mangelnde politische Bewußtsein der User und eine völlig unpolitisch agierende und in Lobbydingen unerfahrene Multimediaindustrie provozieren dieses "imperfekte Recht", das sich für die Betroffenen schließlich als Unrecht herausstellen wird.
Anmerkung der Redaktion: Solange die Gesetze noch nicht beschlossen sind, erlaubt es die Verfassung der BRD jede/r/m einzelnen Bürger/in, auf die Entscheidungsfindung Einfluß zu nehmen, indem Sie zu Abgeordneten Ihrer Partei Kontakt aufnehmen und ihre eigene Meinung mit einbringen. Da diese Möglichkeit nur von sehr wenigen Menschen wahrgenommen wird, zählt jede einzelne Stimme. Der Medienstaatsvertrag wird noch diese Woche im Bundesrat verhandelt und auch das IuKDG ist noch nicht unter Dach und Fach. Eine Liste von allen per Email erreichbaren Abgeordneten findet sich an der FU-Berlin. Also anklicken, eine/n aussuchen und das eigene Statement abschicken, so verschaffen Sie sich selbst Gehör!
Artikel zum verwandten Themengebiet des Urheberrechtsschutzes, das in diesem Text aus Platzgründen nur gestreift werden konnte, finden sich in Telepolis sowie in Spiegel Online.
Die Autorin dieses Beitrages, Christiane Schulzki-Haddouti, 30, lebt und arbeitet als freie Fachjournalistin für Neue Medien in Koblenz.