Weihnachtsgeschenk für die Unterhaltungsindustrie
Bericht über Ergebnisse der WIPO-Konferenz Genf, 2.-20.Dez.
Am 20. Dezember wurde in Genf die Weltkonferenz über Urheberrechtsschutz abgeschlossen. Dabei wurden zwei neue Verträge unterzeichnet, der WIPO (World Intellectual Property Organisation) Vertrag über Copyright und der WIPO Vertrag über Aufführungen und Tonaufzeichnungen. Ein dritter Vertrag über den Schutz von Datenbanken war schon zuvor heftig umstritten gewesen und wurde schließlich fallengelassen. Aber auch in den beiden anderen Verträgen wurden entscheidende Passagen zurückgenommen. Die Anpassung des Urheberrechts an die Gegebenheiten der digitalen und vernetzten Medien kann somit nur als teilweise gelungen bezeichnet werden.
WIPO, die Weltorganisation für den Schutz geistigen Eigentums, ist eine zwischenstaatliche Organisation mit Sitz in Genf, Schweiz. Als eine von 16 spezialisierten Agenturen der UNO befaßt sie sich mit dem Schutz geistigen Eigentums. Darunter fällt industrielles Eigentum wie z.B. Markennamen, Erfindungen, originäre Produktionsmethoden, und ebenso künstlerisches Schaffen wie Literatur, Musik, visuelle Kunstwerke, Fotografie und audiovisuelle Produkte. 159 Staaten haben sich bislang der WIPO angeschlossen und ihre Gesetzgebung entsprechend den WIPO-Verträgen und des darin enthaltenen Freiraumes ausgerichtet.
Als Ausgangspunkt dient die Berner Konvention zum internationalen Schutz geistigen Eigentums, die 1886 von 10 Staaten ins Leben gerufen und 1967 aktualisiert wurde.
Auf Grund der seitdem einher gegangenen technischen, kulturellen und sozialen Entwicklung sah man dringenden Bedarf, diese Konvention so zu erweitern, daß den neuen digitalen Medien Rechnung getragen wird. Druck auf eine rasche Erweiterung der Bestimmungen war vor allem von der Unterhaltungs- und Schallplattenindustrie, aber auch von den Softwareherstellern im Vorfeld ausgeübt worden.
Beide Verträge beziehen sich auf die Einräumung des Rechts der Verbreitung von Kopien von Werken.
Der WIPO Vertrag I bezieht sich auch auf die Verbreitung von Computerprogrammen und Datensammlungen. Die Gültigkeitsdauer des Schutzes wurde von 25 auf 50 Jahre angehoben.
Der WIPO Vertrag II bezieht sich auf die Rechte von "Performers", ob Musiker, Sänger, Tänzer, Schauspieler oder andere, die eine vergleichbare öffentliche Aufführung bieten und die Tonaufzeichnung einer derartigen Performance, ausgenommen solche Tonaufzeichnungen, die Teil eines cinematografischen Werkes sind.
Kritiker hatten die ursprünglich vorgeschlagenen Fassungen der Gesetze in mehrfacher Hinsicht aufs Korn genommen. James Love vom amerikanischen "Consumer Project on Technology" hatte sich am 18.Dezember in einem offenen Brief an die Teilnehmer der Konferenz gewandt.
Unabhängig von den einzelnen Artikeln kritisierte er die Übereiltheit des gesamten Unterfangens. Die einzelnen Staaten seien bisher kaum in der Lage gewesen, das Thema auf nationaler Ebene zu diskutieren. Deshalb sei es viel zu früh, auf internationaler Ebene einen derartigen Vertrag zu unterzeichnen. Auch könne man noch gar nicht wissen, welche technischen Verfahren in kürze entwickelt werden würden, um unerwünschtes Kopieren zu unterbinden, was ein wesentlich besserer Schutz sei, als neue Gesetze.
An einzelnen Artikeln kritisierte er vor allem Artikel 7 von Vertrag I. In dem später weitgehend gestrichenen Artikel war den Inhabern von Rechten die ausschließliche und uneingeschränkte Verbreitung zugesichert worden. In Verbindung mit Artikel 10 hätte das bedeuten können, daß schon das Auswendiglernen eines Gedichts eine Copyright-Verletzung ist, ebenso wie das Kopieren von Texten für Studienzwecken und viele andere private Zwecke.
Was für die Internet-Service-Provider und andere Unternehmen aus dem Bereich der Informationstechnologie noch weit bedrohlicher erschien, war, daß sie nach dieser Fassung auch für Copyright-Verletzungen in Anspruch genommen werden hätten können, die von ihren Kunden begangen wurden. Deshalb wandten sich 11 CEOŽs führender Internet-Provider in einem offenen Brief an Bill Clinton um die Haltung der amerikanischen Delegierten zu beeinflussen.
James Love kritisierte weiter, daß die technischen Beschreibungen in Artikel 13 von Vertrag I und Artikel 22 von Vertrag II viel zu breit gefaßt seien. Suchmaschinen, die ja Text und HTML-Code von Millionen von Sites kopieren, wären dadurch ebenso illegal geworden wie Web-Browser a la Netscape. Das Zwischenspeichern von Texten und Bildern im Cache wäre ohne ausdrückliche Zustimmung des Copyright-Inhabers zum Rechtsbruch geworden.
Viele andere Organisationen, wie z.B. die EFF (Electronic Frontier Foundation) stimmten in diesen kritischen Chor ein. Und so war es vor allem amerikanischer Druck, der die gesamte Konferenz an den Rand des Scheiterns führte und schließlich in letzter Minute einen Kompromiß erzwang. Der umstrittene Artikel 7 wurde wie erwähnt gestrichen, andere Artikel wurden sprachlich abgeschwächt.
Und ein dritter Vertrag, der sich auf die Verwertung von Daten bezog, wurde erst gar nicht zur Diskussion vorgelegt, nachdem klargeworden war, daß er keine Zustimmung finden würde. Nach diesem Entwurf wären Daten selbst plötzlich unter Urheberrechtsschutz gestanden. Dies hätte z.B. bedeutet, daß die Bundesliga ihre Ergebnisse an die Medien "verkaufen" kann. Indem Daten jeder Art, statistische, geografische und Wetter-Informationen zur Ware geworden wären, hätte es keine Verbreitung dieser Daten ohne Bezahlung gegeben, was zu einer essentiellen Einschränkung des Rechts auf Information und des Bildungswesens geführt hätte.
Man könnte also sagen "gerade nochmal gutgegangen" und muß in diesem Fall amerikanischen Free-Speach Organisationen und IT-Unternehmen dankbar sein für den Druck, den sie auf ihre Regierung ausgeübt hatten. Im deutschen Sprachraum gab es ja überhaupt keine öffentlich geführte Diskussion zu diesem Thema.
Doch das Schlimmste abgewendet zu haben, ist auch nur der halbe Sieg. So beklagt James Love im Gespräch mit CNET, daß es sich immer noch um einen perfekten Deal für die großen Unterhaltungskonzerne handle. Sie haben nun eine gute Handhabe, international gegen jede unerwünschte Verbreitung ihrer Produkte vorzugehen. Da kann es wohl kein Zufall sein, daß kurz vor Weihnachten, in der Phase der laufenden Verhandlungen also, ein Fall in Medien wie MTV hochgespielt wurde, bei dem zwei neue Songs von U2 noch vor dem offiziellen Erscheinen der neuen CD im Internet aufgetaucht sind. Der Fall wurde zur kriminellen Handlung hochgespielt. Dabei hatte es sich wohl offensichtlich um U2 Fans gehandelt. Und es ist auch nicht ganz ersichtlich, daß der Plattenfirma die Butter vom Brot genommen wird, wenn 30-sekündige Exzerpte in 8 bit Mono-Sampling Rate im Internet abgerufen werden können.
Ein weiterer wunder Punkt ist der Aspekt der Privatheit. Digitale Technologien machen es möglich, jedes Abrufen von Informationen zu überwachen. Während es beim Kauf eines Buches oder einer Schallplatte nicht nachvollziehbar ist, wie das jeweilige Werk später im Freundeskreis zirkuliert, teilweise oder ganz kopiert wird, etwa um die CD als Kassette auch noch im Auto hören zu können, sind solche Vorgänge, wenn sie via Internet erfolgen, theoretisch überwachbar und könnten im Rahmen der neuen Gesetze kriminalisiert werden.
Der Schutz des geistigen Eigentums, der ursprünglich vor allem als Hilfe für Literaten, Musiker, Maler gedacht war, wird so zum Schutz der großen Verfielfältigungsunternehmen der Unterhaltungsbranche. Wenn Netzwusler A aus Ort X für seine Freunde B, C, D, aus den Orten W, Y, Z einige Soundfiles seiner Lieblingsgruppe ins Netz legt, wird gleich nach dem Richter geschrien.
Und was die Dankbarkeit für die USA betrifft, so relativiert sich diese schnell, wenn man liest, wie führende Unternehmen über internationale Konferenzen denken. So sollen Befürworter der Verträge - auch in ihrer extrem rigorosen ursprünglichen Fassung - wie Microsoft und IBM laut CNET der Ansicht sein, daß "...das einzige Ziel der internationalen Verträge dasjenige ist, bestehende Urheberrechtsgesetze in den USA zu klären und zu stärken und schwache Gesetze in anderen Ländern zu verbessern".
Abzuwarten bleibt, wie diese internationalen Verträge in jeweils nationale Gesetze eingehen werden. Denn WIPO ist ja zunächst so etwas wie eine Absichtserklärung und läßt den einzelnen Staaten einen gewissen Freiraum, in welcher Form sie dann tatsächlich diese Absichtserklärung in national gültige Gesetze überführen. Denn das Beschließen von Gesetzen ist glücklicherweise immer noch Sache von Parlamenten in Nationalstaaten. Deshalb ist nicht auszuschließen, daß die Copyright-Frage im digitalen Medienbereich auch in Deutschland noch zu Diskussionen führen wird.