Konventioneller Raubbau

Die Energie- und Klimawochenschau: Hoch im deutschen Norden haben Proteste ein Kohlekraftwerk (vorerst) verhindert, während Kanada seine Wälder auf der Suche nach "unkonventionellem Öl" umgräbt. In China leiden unterdessen Millionen unter ungewohntem Schnee und Eisregen.

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Und wieder ein Kraftwerksbau gestoppt. In Kiel verkündeten die dortigen Stadtwerke, dass die Entscheidung über den geplanten Bau eines 800 Megawatt Kraftwerks um drei Jahre verschoben werden soll. Vorausgegangen war dem erheblicher Protest in der örtlichen Bevölkerung.

Am 25. Mai sind in Schleswig-Holstein Kommunalwahlen. Zu vermuten ist daher, dass der in der Landeshauptstadt regierenden CDU die Sache im Vorfeld der Wahlen zu unangenehm wurde, zumal der grüne Koalitionspartner mächtig Stunk wegen der Kraftwerkspläne machte. Stadtwerkechef Stefan Grützmacher, der seine Anweisungen vom Mannheimer Mehrheitseigner MVV empfängt, legte allerdings Wert auf der Feststellung, dass Kohle die wirtschaftlichste Variante sei. Wie er dazu kommt, bleibt zunächst sein Geheimnis. Die Gutachten, von denen er spricht, sind noch nicht veröffentlicht.

Da sich sein Unternehmen allerdings auch ökologischen Zielen verpflichtet fühle, „soll bei einem Neubau modernste CO2-Abscheidungstechnologie die Emissionen drastisch reduzieren“. Die wird allerdings auch in drei oder sechs Jahren nicht zur Verfügung stehen. Bisher redet die deutsche Kraftwerksbranche davon, dass die entsprechende Technologie 2020 marktreif sei. Allerdings gibt es bisher keine nennenswerte Erfahrung mit der Deponierung des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2), das in den Kraftwerken abgetrennt und verflüssigt werden soll. Der Idee nach soll es in tiefere Erdschichten gepresst werden. Ob das praktikabel, wirtschaftlich und sicher ist, kann aber bisher niemand sagen. Und die Technik zum Abscheiden befindet sich in Deutschland noch nicht einmal im Erprobungsstadium. Ein erstes, winziges Pilotkraftwerk für Braunkohle ist noch im Bau (siehe Saubere Mondlandschaften).

Schlechte Nachrichten für Freunde der „sauberen Kohle“ kommen auch aus den USA. Dort hatte sich die Bush-Regierung mit der Unterstützung des so genannten FutureGen-Projekts weit aus dem Fenster gehängt. In diesem neuartigen Kohlekraftwerk sollte ein weiteres Verfahren zur Abtrennung von CO2 getestet werden. 70 Prozent der Kosten wollte die Bundesregierung übernehmen. Auch ein chinesisches Unternehmen wollte sich mit einem kleineren Anteil beteiligen. Zwischenzeitlich haben sich die projektierten Kosten jedoch auf 1,8 Milliarden US-Dollar verdoppelt. Nach einem Bericht der New York Times sah sich das Energieministerium genötigt, die Reißleine zu ziehen. Die Industrie solle für das Kraftwerk zahlen, heißt es nun. Der Bund wolle sich darauf konzentrieren, die Unkosten der Deponierung der Abgase der Versuchsanlage zu tragen.

Durch den Schritt werde sich der Bau um zwei bis vier Jahren verzögern, berichtet das Blatt und meldet gleichzeitig Bedenken an der Sinnhaftigkeit des Vorhabens an. Der Energieexperte Vaclav Smil von der Universität von Manitoba habe auf die gewaltigen Mengen hingewiesen, um die es gehe. Wolle man nur zehn Prozent der derzeitigen jährlichen CO2-Emissionen aller Kraftwerke abtrennen und einlagern, so wäre die Menge flüssigen CO2, die bewegt werden müsste, größer als die gesamte jährliche Erdölförderung. Vom geplanten Kieler Kraftwerk heißt es bei den Stadtwerken, dass es etwa fünf Millionen Tonnen CO2 per annum emittieren würde, was vermutlich eine gewisse Untertreibung ist. Bei einem ganzjährigen Betrieb einer 800 MW Anlage wären vermutlich ein paar Millionen Tonnen mehr zu erwarten. Aber sei's drum: Die fünf Millionen Tonnen würden je nach Temperatur etwa fünf bis 6,5 Millionen Kubikmeter flüssiges CO2 ergeben. Damit könnte man eine Fläche von einem Quadratkilometer fünf bis sechseinhalb Meter hoch bedecken. Die Kieler sind jetzt sicherlich ganz gespannt darauf, dass ihre Stadtwerke innerhalb von drei Jahren einen Plan aufstellen, wie diese enorme Menge wirtschaftlich sinnvoll zu handhaben und zu deponieren ist.

Neues vom Oil Peak

„Horrorszenarien“ nennt Christof Rühl, seines Zeichen Chefökonom der deutschen BP, alle Hinweise darauf, die Erdöllagerstätten rund um den Globus könnten demnächst in der Summe ihren Förderhöhepunkt erreichen. Bereits seit einigen Jahren gibt es eine lebhafte Diskussion unter Geologen und anderen Erdölexperten über die Frage, wie lange noch die weltweite Förderung von Öl und Gas dem wachsenden Bedarf hinterher wachsen kann. Als Peak-Oil-Diskussion ist diese Kontroverse in letzter Zeit auch einer interessierten Öffentlichkeit bekannt geworden. Doch derlei Überlegungen hält Rühl offenbar für geschäftsschädigend. Jedenfalls gab er der der Berliner Zeitung zu Protokoll, dass immer neue Felder entdeckt würden. Peak-Oil-Mahner verweisen jedoch gerne darauf, dass die Größe der neuen Felder ständig abnimmt.

Mag sein, dass Rühls Äußerungen auch nur fürs breite Publikum gedacht waren, das beruhigt werden sollte. Von Shell-Vorstandsvorsitzende Jeroen van der Weer waren jedenfalls Ende Januar auf dem umstrittenen Weltwirtschaftsforum in Davos ganz andere Töne zu hören: Ab 2015 würden die leicht zugänglichen Quellen nicht mehr mit dem wachsenden Bedarf Schritt halten können.

Was er allerdings nicht dazu sagt, ist dass beim derzeitigen Stand der Dinge dieser Zeitpunkt den Beginn eines zweiten goldenen Zeitalters für die Ölkonzerne markieren wird. Steigende Preise werden die Gewinne der Konzerne explodieren lassen, und zwar umso stärker, je weniger Alternativen zum Öl zur Verfügung stehen. Eine kleine Vorahnung davon gab es Anfang Februar, als ExxonMobil einen Gewinn von sagenhaften 40,67 Milliarden US-Dollar bekannt gab. Im Vorjahr waren es ebenso gigantische 39,5 Milliarden Dollar gewesen.

Atemberaubend sind auch die Konsequenzen, die van der Weer aus seiner Analyse zieht: In Zukunft werde ein großer Teil des Energiebedarfs der Menschheit aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden – so weit so gut –, aber auch die Atomkraft und „unkonventionelle fossile Energiequellen“ würde ihre Rolle spielen. Bei letzterem handelt es sich zum Beispiel um Ölschiefer, den auch Rühl erwähnt. Namentlich die USA haben davon erhebliche Lagerstätten, die bisher kaum ausgebeutet werden. Der Grund: Es handelt sich nicht um Öl, sondern zwischen dem Gestein dieser Vorkommen findet sich ein fester Stoff namens Kerogen, der erhitzt werden muss, um ihn mittels eines chemischen Verfahrens in Rohöl umzuwandeln. Der Prozess ist sehr energieaufwendig. Dennoch ist zu befürchten, dass demnächst im Westen der USA – in Wyoming, Utah und Colorado, wo zwei Drittel der weltweit bekannten Vorräte Lagern – die Landschaft umgegraben wird, um das Erdölzeitalter noch weiter zu verlängern.

Welche Folgen der Tagebau haben kann, lässt sich derzeit schon in den amerikanischen Appalachen beobachten, wo Kohle zum Teil auf diese Art abgebaut und die Landschaft verwüstet wird. 470 Berge wurden dort bereits abgetragen, insgesamt ist bisher eine Fläche zerstört worden, die der einiger kleinerer US-Staaten entspricht.

Ölsandabbau bei Syncrude. Foto: David Dodge, Pembina Institute/OilSandsWatch.org

Im kanadischen Alberta versucht man, dem seit einigen Jahren nach zu eifern. Dort verschwinden derzeit großflächig Wälder, weil gigantische Maschinen sich auf der Suche nach Ölsanden in den Untergrund graben, eine andere der „unkonventionellen fossilen Energiequellen“. 2020 soll Alberta ein Viertel des derzeitigen US-Ölverbrauchs liefern. Ölsand, auch Teersand genannt, enthält Bitumen, das mit dem Einsatz von viel Energie und Wasser in Erdöl verwandelt werden kann. Natürlich stammt diese Energie selbst aus fossilen Quellen, weshalb Kanada gerade dabei ist, seine CO2-Reduktionsverpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll grandios zu verfehlen. Aber wen schert es? Dem Vertrag fehlt es vollkommen an Sanktionsmöglichkeiten.

Unwetter in China

Sehr gemischte Nachrichten kommen unterdessen aus China. Einerseits meldet die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua, dass die Regierung die Schließung kleiner, ineffizienter Kohlekraftwerke beschleunigen will. Anlagen mit einer Kapazität von zusammen 13 Gigawatt sollen geschlossen werden, das entspricht etwa 16 Großkraftwerken von der Art, wie sie in Kiel geplant sind. Im letzten Jahr waren 553 Kraftwerke mit einer Kapazität von 14,38 GW stillgelegt worden. Die Maßnahmen sind Teil einer Kampagne zur Erhöhung der Energieeffizienz und der Eindämmung der Emissionen von Kohlendioxid, Ruß und Schwefeldioxid. Gleichzeitig, so der Bericht, seien 100 GW neuer, modernerer Kapazitäten entstanden. Der allergrößte Teil davon dürften Kohlekraftwerke gewesen sein, aber immerhin 3,4 GW waren, wie berichtet, auch bereits Windenergieanlagen, deren Boom in China gerade einsetzt.

Ein bisschen mehr Windenergie – und damit kommen wir zum „Andererseits“, zum schlechten Teil der Nachrichten aus China – würde dem Land derzeit ganz gut tun. Aufgrund des äußerst ungewöhnlichen Wintereinbruchs gibt es enorme Probleme, die Versorgung der Kraftwerke mit Kohle aufrecht zu erhalten. Etwa sieben Prozent der landesweiten Kraftwerkskapazitäten waren Ende letzter Woche ausgefallen, In 90 weiteren Kraftwerken, die zehn Prozent der landesweiten Kapazitäten bereit stellen, reichten die Kohlevorräte nur noch für weniger als drei Tage. Zu einer Zeit, in der ohnehin die Eisenbahn wegen des Neujahrsverkehrs aus allen Nähten platzt, führte Schnee und Eis dazu, dass der Kohletransport per Bahn auf bloße 25 Prozent des Normalwertes zusammenschrumpfte. Am 7. Februar wird nach dem Mondkalender das chinesische Neujahrsfest gefeiert, was im Land der Mitte mit Abstand das wichtigste Fest im Jahr ist. Halb China macht sich in dieser Zeit auf den Weg zu seinen Eltern, um mit ihnen gemeinsam die Feiertage zu verbringen und allseits „G?ngx? f?cái” (Mögest du prosperieren und einen vollen Magen haben) zu wünschen.

Abgebildet ist für die Woche vom 27. Januar bis zum 2. Februar die Temperaturanomalie, das heißt, die Abweichung der mittleren Temperatur der Woche vom langjährigen Normalwert. In den tiefblauen Gebieten war es durchschnittlich um mehr als sieben Grad zu kalt, in den mittelblauen um fünf bis sieben Grad. In den rosa und roten Gebieten im Nordosten dagegen jeweils um eins bis drei, drei bis fünf und fünf bis sieben Grad zu warm. Bild: NOAA

Für weite Teile Zentral- und Südchinas ist dieser Winter der härteste Winter seit mehr als 50 Jahren. Entsprechend unvorbereitet war man auf die Schneemassen, die Straßen und Eisenbahnschienen unpassierbar machen. Millionen Menschen strandeten in den Bahnhöfen. Besonders viele der über 100 Millionen Wanderarbeiter waren betroffen, die über die Feiertage zu ihren Familien fahren wollten. In Hongkong, wo die Häuser bestenfalls über provisorische elektrische Heizungen verfügen. lagen am vergangenen Samstag die Temperaturen bereits seit zehn Tagen in Folge unter zehn Grad, berichtete der chinesische Wetterdienst. Solch niedrige Temperaturen werden dort zwar gelegentlich registriert, aber sehr selten über eine so lange Zeit. Eine derart ausgeprägte Kälteperiode hat man in der autonomen Stadt bereits seit zwei oder drei Jahrzehnten nicht mehr erlebt.

Besonders hart betroffen sind die städtischen Armen, die sich keine Heizung leisten können. Auf der innerstädtischen Halbinsel Kowloon gibt es sogenannte Käfighäuser. Das sind Hochhäuser, in denen alte Menschen mit zehn, fünfzehn oder mehr Menschen in einem zugigen Raum mit kaum schließenden Fenstern leben. Jeder hat für sich ein Teil eines Etagenbettes, der mit einem Gitter (Käfig) abschließbar ist. Die Toilette ist meist nur ein Verschlag auf dem offenen Balkon.

Für die gleiche Woche die Minimum-Temperatur, das heißt, die niedrigste in dieser Zeit gemessene Temperatur: An der südchinesischen Küste, die geografisch zu den Tropen gehört, fiel das Thermometer auf fünf bis zehn Grad, was dort nur alle paar Jahre mal vorkommt. Noch ungewöhnlicher waren die Temperaturen zwischen minus fünf und Null Grad etwas nördlicher in Shanghai. In den Provinzen Jilin und Heilongjiang im Nordosten sackten die Temperaturen gar auf minus 30 bis minus 20 Grad ab, während es in der Mongolei und in russisch Fernost noch kälter war. Bild: NOAA

In vielen Region im Landesinnern hält dieser ungewöhnlich kalte und harte Winter bereits seit drei Wochen an, heißt es beim Wetterdienst. Mindestens 60 Menschen sind bereits gestorben. Selbst in vielen Städten ist die Versorgung der Bürger aufgrund der vielfach unterbrochenen Verkehrswege und wegen Stromausfällen schwierig. Zumindest im Süden soll es in den kommenden Tagen aber besser werden.

Unterdessen ist sich Wang Qiwei, Klimatologe beim chinesischen Wetterdienst, sicher, dass ein solch extremes Wetter nur mit dem Klimawandel zu erklären ist, berichtet die Nachrichtenagentur afp. Der Klimawandel macht Extremereignisse wie diesen Winter wahrscheinlicher. Wang rechnet mit mehr und intensiveren Dürren, Starkniederschlägen und auch Taifunen.