Kooperation zwischen Türkei und IS: Neue Vorwürfe
Dokumente über den Ölhandel zwischen der Türkei und dem IS widerlegen Aussagen des türkischen Präsidenten Erdogan. Es sind nicht die einzigen Schriftsstücke, die eine Zusammenarbeit mit dem IS nahelegen
Die Vorwürfe für die Verstrickungen der Türkei mit dem Islamischen Staat setzen sich fort. Den sogenannten Demokratischen Kräften Syriens (SDF), einem Militärbündnis in Syrien mit maßgeblicher Beteiligung der kurdischen PYG, sind nach eigenen Angaben wichtige, aussagekräftige Dokumente bei der Eroberung der Stadt asch-Schaddadi im Norden Syriens (Gouvernement al-Hasaka) Anfang März 2016 in die Hände gefallen.
Zudem wurden mehrere IS-Kämpfer gefangengenommen, die umfangreiche Aussagen über die Unterstützung der Türkei für den IS machten. Reporter des russischen Fernsehsenders RT besuchten asch-Schaddadi 10 Tage, nachdem sie befreit wurde. Dort wurden ihnen die Dokumente von den SDF vorgelegt.
Das Reporterteam reist gerade durch Nordsyrien. Sie besuchten neben asch-Schaddadi die Städte Rmelan, Qamischlo und Tel Abjad. Das umfangreiche Material, sowie Interviews mit am Ölgeschäft für den IS Beteiligten und gefangengenommenen IS-Kämpfern soll im April als Dokumentarfilm veröffentlicht werden.
Asch-Schaddadi zählt 10.000 Einwohner und ist das größte Ölförderzentrum im Norden Syriens. Die IS-Kämpfer verließen bei der Einnahme der Stadt fluchtartig ihre Wohnungen und ließen neben wichtigen Dokumenten auch persönliche Gegenstände zurück.
Indizien für Ölgeschäfte zwischen der Türkei und dem IS
Unter den Dokumenten sollen sich beispielsweise Begleitscheine für die Ölförderung befinden. Dort wird festgehalten, aus welchem Bohrloch wie viel Öl gepumpt wurde und was ein Barrel kostete, alles mit Stempel des IS. Präsentiert werden diese Dokumente von Sputnik News, einem in der Öffentlichkeit umstrittenen Medium, da es, wie auch RT, für seine Parteinahmen bekannt ist.
Davon unbenommen haben die vorgelegten Dokumente aber eine Aussagekraft. Gefunden wurden nach Angaben des russischen Nachrichtenmediums Mengenverzeichnisse des verladenen Erdöls. Der Preis pro Barrel Rohöl soll demnach zwischen 12 und 26 Dollar betragen haben. Einer dokumentierten Liste ist zu entnehmen, dass allein am 23. Januar von den Kabib-Lagerstätten 383 Barrel Öl im Wert von 13 Dollar je Barrel verladen wurden. Das sind knapp 5.000 Dollar nur an diesem Tag.
Der gefangengenommene türkische IS-Kämpfer Mahmut Gazi Tatar bekräftigte gegenüber den RT-Reportern Vorwürfe, wonach der IS das Öl an die Türkei verkaufe.
Es wird gehandelt - das weiß ich genau. Zudem wird der IS mit Lebensmitteln und anderen notwendigen Gütern versorgt. (…) Außerdem wird ihm mit Geld, Waffen und Munition geholfen. Und das geschieht ganz offen.
Mohammed Ahmed, der ebenfalls gefangengenommen wurde, äußerte, dass er, wie die meisten IS-Kämpfer, über die Türkei nach Syrien gekommen sei. Mit dem Flugzeug, ohne Visum.
Untersuchungskommission zur Überprüfung der Echtheit
Mitglieder der SDF präsentierten den Journalisten Stapel mit Pässen von IS-Kämpfern aus Ländern wie Bahrain, Kasachstan, Libyen, Russland und Tunesien. Sie waren alle mit einem Einreisestempel der Türkei versehen.
Dem Reporter Stuart Ramsay von Sky News wurden bereits Ende 2015 von der kurdischen Selbstverteidigungseinheit in Kobane Pässe mit einem türkischen Ausreise-Stempel vorgelegt.
Unter dem gefundenen Material befand sich auch ein Buch mit dem Titel: "Wie muss ein idealer Kampf gegen das verbrecherische Regime von Assad geführt werden". Es wurde in Istanbul gedruckt, die Adresse ist auf dem veröffentlichten Foto gut lesbar. Gefunden wurde es angeblich in einem Krankenhaus von asch-Schaddadi.
Ersichtlich ist allerdings auch, dass mit den Fotos in einer Reportage allein nichts bewiesen ist. Daher fordert der Bundestagsabgeordnete der Linken, Andrej Hunko, dass die Dokumente einer internationalen Untersuchungskommission vorgelegt werden, um die Echtheit nachzuweisen und um damit zu vermeiden, dass sie von der türkischen Regierung als Fakes samt der erhobenen Vorwürfe vom Tisch gewischt werden können.
Auch die kurdische Firat-News berichtet von Dokumenten, die von PYG- oder SDF-Mitgliedern in asch-Schaddadi und anderen Orten (Hol, Kizwan und Gre Spi/Tall Abyaḍ) in aufgegebenen IS-Quartieren gefunden wurden. Es handelt sich u.a. um in türkischer Sprache verfasste Anleitungen zur Militärausbildung, woraus der Verdacht einer möglichen Zusammenarbeit zwischen dem türkischen Geheimdienst MİT und dem IS erwächst.
Nach Angaben von Firat-News hat der ständige Botschafter Russlands bei den Vereinten Nationen, Witali Tschurkin, dem Sicherheitsrat Dokumente zum illegalen Waffenhandel zwischen der Türkei und den Teilen Syriens, die unter der Kontrolle des IS stehen, vorgelegt.
Eine Liste der Vorwürfe
Seit spätestens 2014 häufen sich belastenden Indizien zur Zusammenarbeit zwischen der Türkei und dem IS - unter anderem ein Forschungsbericht der Columbia University, Geheimdienstprotokolle, von türkischen Journalisten veröffentlicht, TV-Berichte (Weltspiegel), Zeitungsberichte über Waffenlieferungen an der türkisch-syrischen Grenzen (siehe Türkei: Waffenlieferungen und Unterstützung des IS).
In einem Newsweek-Bericht von 2014 wird ein ehemaliger Kommunikationstechniker des IS mit Aussagen zitiert, wonach er laufend IS-Hauptleute und Kommandanten mit türkischen Regierungsvertretern verbunden habe. Im Herbst vergangenen Jahres berichtete Al-Monitor über umfangreiche Waffenexporte der Türkei an den IS.
Auch über die Behandlung verletzter IS-Kämpfer in türkischen Krankenhäusern wurde schon mehrfach berichtet. Man darf gespannt sein, was in der IS-Hochburg Rakka gefunden wird, sobald die Befreiung gelingt. Nach Medienberichten bereitet sich die Anti-IS-Koalition zusammen mit den SDF auf die Befreiung vor.
Erdogan: "Inakzeptabel und amoralisch, darüber zu sprechen"
Die türkische Regierung hüllt sich gegenüber diesen Vorwürfen in Schweigen oder versucht diejenigen, die belastende Dokumente vorlegen, zum Schweigen zu bringen, wie dies aktuell der Prozess gegen die beiden Cumhuriyet Journalisten aller Welt vorführt.
Präsident Erdogan hatte im Dezember 2015 am Rande des Weltklima-Gipfels in Paris erklärt:
Die Vorwürfe, dass die Türkei Öl bei IS kauft, sind inakzeptabel und es ist amoralisch, darüber zu sprechen. Solche Themen können nicht einfach so angeschnitten werden, es müssen Beweise vorgelegt werden. Falls es solche Dokumente gibt, müssen sie gezeigt werden. Falls diese Tatsache bewiesen wird, werde ich nicht länger auf diesem Sessel bleiben.
Die Veröffentlichung der oben genannten Dokumente aus asch-Schaddadi durch die RT-Reporter setzen die Indizienkette fort, britische Politiker folgern daraus, dass nun ernsthafte Fragen zu beantworten seien. Eine genaue Überprüfung der Vorwürfe und des Materials durch unabhängige, internationale Prüfer wäre ein Anfang.