Koran lesen, rauchen, CSU wählen

Freiheit, die ich meine

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Es ist erst paar Wochen her, da schmunzelte ich über einen Bundespräsidenten, der ursprünglich plante, den Wert der Freiheit zum spirituellen Mittelpunkt seiner Amtsperiode zu machen. Freiheit? War die nicht mit der deutschen Wiedervereinigung und dem Ende des Kalten Kriegs zur musealen Ermahnung aufgrund eines – uns Wessis abgehenden - realsozialistisch-totalitären Erfahrungshintergrundes geworden?

Freiheit 1: Koran lesen

Doch da las ich, dass die kostenlose Verteilung des Korans in deutscher Übersetzung als islamistisch-terroristischer Akt zu verhindern sei. Nicht, dass ich den Koran für eines der besonders gelungenen Werke der Literaturgeschichte halte. Nicht, dass ich meine, nur als Korankenner etwas zu Taliban, Breivik, Sarrazin und Kölner Kalifen sagen zu dürfen.

Aber wenn Christen jeder Couleur ein gewaltverherrlichendes Epos wie das Alte Testament, mündend in die aus christlicher Sicht größte theologische Gewalttat der Weltgeschichte, nämlich die Kreuzigung Christi, in jedes Hotel-, Kinder- und Klassenzimmer legen dürfen, müsste der Koran ja eine noch stärkere Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellen. Ich muss dabei gar nicht auf die salafistische Gratisausgabe warten, gibt es doch das Heilige Buch der Muslime auch online gratis.

Piraten sollten sich in Sachen BGE (Bedingungsloses Grundeinkommen) etwa die 40ste Sure, Zeile 40: zu Gemüte führen: "Wer aber Gutes tut, sei es Mann oder Frau und dabei gläubig ist, diese werden ins Paradies eintreten – darin werden sie mit Unterhalt versorgt werden, ohne dass darüber Rechnung geführt wird." In der 109. Sure mit dem verheißungsvollen Titel "Die Ungläubigen" heißt es cool: "Ihr habt eure Religion und ich habe meine Religion."

Selbst für die jeder Askese unverdächtigen Liebhaber des irdischen Lebens von Bohlen bis Fischer, Wulff und Cohn-Bendit bietet der Koran ungeahnte Fundierungen: "Zum Genuß wird den Menschen die Freude gemacht an ihrem Trieb zu Frauen und Kindern und aufgespeicherten Mengen von Gold und Silber und Rassepferden und Vieh und Saatfeldern." (3. Sure Al-Minran)

Man mag die unbeholfene Übersetzung kritisieren – ein derartiges Lob an Toleranz, bedingungslosem Grundeinkommen und Freude an sinnlichen Genüssen wird man in Paulus Briefen an die Korinther schmerzlich vermissen. Fazit: Koran lesen führt uns nicht vom rechten Pfad unserer atheistisch-konsumistischen Skepsis ab.

Dass Moslems sich so wenig um den Koran scheren wie Christen um die zehn Gebote, ändert nichts an den verborgenen Ethikpotentialen in diesen archaischen Opfer- und Kampfschriften.

Nachtrag: Wollte die Sure über das Zinsverbot an mein Finanzamt senden, fand sie aber nicht. Wer kann helfen?

Freiheit 2: Rauchen

Wann ist mir zum letzten Mal eine Zigarette oder eine Zigarre angeboten worden? Als Nichtraucher habe ich diese exotische Einladung als wundervollen Ausdruck von Gastfreundschaft immer gerne angenommen. Ja, ich paffte nur (wie einst am Joint), aber ich bewies der Raucherin und dem Raucher meine Solidarität mit einem zwar überkommenen, aber gerade deshalb – dies teilt er mit der Sonntagsmesse – kulturell wertvollen Brauch.

Nun werde ich nicht mehr eingeladen und meine Freunde, die Raucherinnen und Raucher sind bis auf Helmut Schmidt fast ausgerottet. Dieser, angeblich zum Schutz der Nichtraucher verübte Fumarozid, verleidet mir zunehmend die Freude am öffentlichen Raum. "Genau das war unser Ziel", sagt mir ein Fastfood-Lobbyist. "Erst das Rauchverbot hat uns auch die Gäste am frühen Abend beschert, die zuvor auf eine Zigarette in ihre Eckkneipe gingen. Ist Ihnen aufgefallen, dass wir jetzt auch abends geöffnet haben?"

Hm. Im Supermarkt kaufe ich eine Packung Moods. Ich identifiziere die Gartenterrasse als möglichen Ort, eine zu rauchen. Dazu ein Glas Colombard-Ugni Blanc von Uby. Aber etwas fehlt: meine mitrauchenden Kolleginnen und Kollegen. Ihre Gesten des Anzündens und Ausdrückens, des Einsaugens und Ausbreitens einer These mittels Rauchzeichen. Alleine ziehe ich mir das Ding rein. Passantinnen mit Kinderwagen, Rädern und Damensportutensilien gehen vorüber und sehen angewidert zu: Dacht' ich mir's doch, dass der Kerl Süchte hat. Weißwein. Zigarillos. Und das mittags um zwölf. Und im Kindergarten macht er auf braven Kuchen- und Müsli-Papa.

Fazit: Aber Freiheit ist das. Meine, nein, unsere Freiheit.

Freiheit 3: CSU wählen

Koran lesen und rauchen – bis hierhin mögen mir die wohlwollendsten meiner Leser noch folgen, die ich deshalb darum ersuche, die Freiheit 3 lieber nicht zu lesen.

"Etwa 200 Demonstranten empfangen den CSU-Politiker, der im Gundremminger Kulturzentrum über die bayerische Finanzpolitik spricht, mit Buhrufen, schrillen Pfiffen und Vuvuzela-Klängen. Ein Sarg mit der Aufschrift 'Bayerische Wirtschaft' liegt auf dem Vorplatz vor der überdachten Bühne." So lesen wir in der Günzburger Lokalausgabe der Augsburger Allgemeinen.

Es ist fünfzehn Jahre her, da wurde uns im Wirtschaftsbeirat der Union e.V., in dessen Energieausschuss ich als Planer von Biomasseheizwerken saß, die selige Atomkraft verkündet. Als ich bei Thomas (Goppel) unseren fertigen Plan vortrug, die neue Bayerische Verwaltungshochschule im benachbarten Dillingen mit Biomasse statt mit Erdgas zu versorgen – immerhin war er damals bayerischer Umweltminister – musste selbst er passen: Ein Anruf von "ganz oben" verfügte den Erdgasanschluss.

Heute ist die CSU eine moderne, oft populistisch-opportunistische Partei mit starkem Piratentouch, also mit effektiven informellen Seilschaften, die in wenigen Tagen mehrheitskompatible Programme hervorzaubern können. CSU-Position 2012: "Es mangelt München an bezahlbarem Wohnraum und auch der Ausbau der Kita-Plätze geht im Gegensatz zum Rest Bayerns nur schleppend voran." Verrückt: Das hört man in München von SPD und Grünen nicht. "Die anhaltende Vernichtung von bezahlbarem Wohnraum muss ein Ende haben. Vor allem in den zentrumsnahen Stadtteilen werden bei zahlreichen Bauprojekten Miethäuser durch Bürogebäude und Luxusimmobilien ersetzt. Wenn München aber für den Durchschnittsverdiener noch bezahlbar bleiben soll, muss endlich Schluss sein mit bloßen Lippenbekenntnissen", sagt der Münchner JU-Vorsitzende Günther Westner. SPD-Oberbürgermeister Ude versenkt lieber Millionen in einer Olympia-Bewerbung.

In meinem Nachbarort Utting regieren die GAL (Grün-Alternative-Liste) und die CSU sehr erfolgreich mit je 31,5 Prozent zusammen. In Bayern ist CSU wählen längst Ausdruck der Freiheit, alt und neu, jung und alt, offline und online in Harmonie zu bringen. Mir gefällt das. Vielleicht sollte ich doch erstmals die CSU wählen?

Fazit: Wenn man die Atomkraft abschaffen kann, dann auch die alten Vorurteile gegenüber der CSU.

Kleiner Nachtrag: Als Sepp Daxenberger der erste grüne Bürgermeister Deutschlands in meinem damaligen Nachbarort Waging wurde, war sein erster Amtsakt, das von uns bereits für ihn geplante Biomasseheizwerk abzusagen und stattdessen mit Erdgas zu betreiben. Und auch in der Amtszeit von Jürgen Trittin wurde die Steinkohle vom Bund stärker gefördert als alle regenerativen Energien zusammen.

Für Joachim und Angela