Korrupte Demokratie
Korruption ist in Italien System
25 Jahre nach der juristischen Untersuchung "Mani Pulite" gegen Korruption, Amtsmissbrauch und illegale Parteifinanzierung, aus der die zweite Republik und viele neue politische Bewegungen hervorgingen (darunter auch Berlusconis Forza Italia) sinniert Italien heute über die Fortschritte im Kampf gegen die Korruption. Antonio Di Pietro, einer der damaligen Staatsanwälte, kommentiert resigniert: "Die Korruption in der öffentlichen Verwaltung ist heute in Italien zum System geworden."
Am 17 Februar 1992 wurde in Mailand Mario Chiesa verhaftet, ein Funktionär der Sozialistischen Partei, der mit seinen Geständnissen die Untersuchungen gegen die Korruption in ganz Italien in Gang setzte. Allein im Mailänder Raum wurde gegen ca. 4520 Korruptionsverdächtige ermittelt. Minister, Unternehmer, Spitzenpolitiker mussten von der Bühne gehen, die gesamte damalige Führungselite. Der Präsident des nationalen Richterverbandes und ehemaliger "Mani Pulite"-Staatsanwalt Piercamillo Davigo zieht das Fazit:
Praktisch wurde kein einziges Urteil vollstreckt ... wegen Korruption kommt keiner ins Gefängnis. Die Italiener haben resigniert.
( Piercamillo Davigo)
Die Mafia ziehe heute die Korruption der Gewalt vor, weil Korruption in den Augen der italienischen Gesellschaft nicht inakzeptabel scheint. Nach einem Vierteljahrhundert ist Korruption also immer noch Italiens sozialer Tumor, der die Staatskassen ausnimmt, den freien Wettbewerb ruiniert und vor allem den Ablauf demokratischer Entscheidungsprozesse beeinflusst, da er in alle demokratischen Institutionen eingedrungen ist, um sie in freien Mäandern von innen auszuhöhlen.
Technisch verfeinert
Zwischen Korruptionsgrad und Demokratiedefizit herrscht direkte Proportionalität und eine demokratische Ordnung erweist sich dann als korrupt, wenn Korruption System wird. Dazu Di Pietro: "...es bleibt die Bitterkeit, dass trotz allem, was 'Mani pulite' aufgedeckt hat, das System von Korruption und Vergehen in der öffentlichen Verwaltung immer noch weiterlebt, allerdings nicht wie früher: Es hat sich 'technisch verfeinert', um sich 'größere Straffreiheit zu sichern'. Andererseits muss betont werden, dass die Justiz nicht nachgelassen hat, die Korruption zu bekämpfen."
"Tangentopoli", also die systematischen kriminellen Verflechtungen, die das politische System Italiens charakterisieren, blüht und gedeiht also nach wie vor quickfidel weiter, mit dem einzigen Unterschied, dass die Öffentlichkeit jetzt trostlos und abgestumpft an keine rettende Ӓnderung mehr glaubt. Dieses perverse System konnte in den Jahren partout nicht ausgemerzt oder geschwächt werden.
Drittletzter Platz in Europa für Korruption
Laut dem Korruptionswahrnehmungsindex (CPI)von Transparency International, rangiert Italien weltweit auf Platz 60, ist also drittletzte in Europa, nur gefolgt von Griechenland und Bulgarien. Was gerade im benachbarten Rumänien geschieht lässt natürlich stark auf eine neue Bewusstseinsbildung hoffen, doch weiß Italien mittlerweile, dass sich die Dinge nicht schlagartig ändern. Eine marode Gesellschaft kann nur von einem neuen Legalitätsempfinden und einer kulturellen Revolution gerettet werden.
2012 wurde die nationale Anti-Korruptions-Agentur ANAC zur Kontrolle der Einhaltung der Transparenzregelungen und der Präventionsmaßnahmen eingerichtet. Vor allem bei der Zuteilung öffentlicher Aufträge müssen strenge Kontrollen durchgeführt werden. Es gibt zu viele, nur schwer anwendbare Antikorruptionsvorschriften, die es zur Wiederherstellung der Transparenz und Effizienz des gesamten Systems zu vereinfachen und zu reduzieren gilt.
Nach dem Zerfall der großen Parteien, deren Vorstände früher noch parteiintern und parteiextern Führungspositionen nach nicht demokratischen Prinzipien vergaben und die Garanten des gesamten korrupten Systems darstellten, fehlt heute diese Monopolstellung der Parteigaranten. Die Bestechungslandschaft erscheint eher polyzentrisch und fragmentiert, aber gerade deshalb umso systematischer und widerstandsfähiger. Manchmal laufen die Bestechungsgelder über hohe Ministerialfunktionäre, einzelne Industrielle, Parlamentarier oder über eine ansässigen Mafia, wie etwa die von Roma, Mafia Capitale.
Letzten Endes kommt Korruption von unten
Eine Demokratie ist dann korrupt, wenn die Parteispitzen die vielen angeklagten oder wegen Korruptionsdelikten verurteilten Politiker in den eigenen Reihen dulden. Eine Demokratie ist dann korrupt, wenn die Parteien ihrer Grundaufgabe, die Wähler zu repräsentieren, nicht mehr nachkommen, wenn sie kein Überträger politischer Forderungen und keine Filter bei der Auswahl einer Führungsschicht mehr sind, die den Herausforderungen des Regierens gewachsen ist.
In einer korrupten Demokratie zählt allein der illusorische Selbstzweck der Machteffizienz, also die Möglichkeit, ohne lästige institutionelle Gegen- und Ausgleichskräfte, drastische Entscheidungen zu fällen und schnelle Lösungen zu finden, wobei von der Definition von Bedürfnissen und öffentlichen Interessen nur einige wenige profitieren.
Die heutige Politik ohne Ideale ist ein hervorragender Humus für die korrupte Machtausübung, die per definitionem autoritär und undemokratisch allein dem Zweck dient, eine schmale Oligarchie immer mehr zu bereichern und zu ermächtigen.
Doch Politik lebt von Beteiligung und Einbeziehung aller. Letzten Endes kommt Korruption von unten. Sie wurzelt in der Gesellschaft. Hinter jedem korrupten Beamten steht ein Unternehmer, der froh ist, ihn auf seiner Gehaltsliste zu haben.
Hinter jeder korrupt-effizienten Schirmherrschaft über öffentliche Einrichtungen steht eine Legion von Wählern, die für einen Gefallen oder ein Versprechen gerne auf die Ausübung ihrer Bürgerfreiheiten und -pflichten verzichten.
Gegenmaßnahmen
Hier müsste sich etwas ändern. Eine wirksame Antikorruptionspolitik müsste z.B. in einer Langzeitoptik in Bildung investieren und den Analphabetismus bekämpfen, der in Italien leider immer noch existiert; denn eine ungebildete Bevölkerung wird den undurchsichtigen Wirren des korrupten Machtgefüges immer hilflos gegenüberstehen.
Weitere Ansatzmöglichkeiten wären die Verkürzung der Prozesszeiten oder der Schutz der Whistleblowers oder die absolute Transparenz aller öffentlichen Angelegenheiten (im Jahr 2015 waren mehr als die Hälfte der großen, strategischen Infrastrukturarbeiten in Korruptionsuntersuchungen verwickelt).
Vielleicht liegen bestimmte Phänomene, wie Korruption und Verbrechen, tatsächlich in der Natur des Menschen und Italiener scheinen in dieser Hinsicht allzu menschlich zu sein. Wichtig ist, denke ich, der vielen, unschuldigen Korruptionsopfer zu gedenken, wie etwa der Antimafiarichter Falcone und Borsellino, die bei dem Versuch starben, ihr Land von der Mafia zu befreien und die Rechte und Würde eines von Korruption und Kriminalität unterdrückten Volkes wiederherzustellen.
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