Korruption in Spanien: "Hoffnung auf Besserung"
Jesús Lizcano von Transparency International über die politische Korruption und warum sich die Situation seit einigen Jahren verändert
In Spanien tauchen in den letzten Jahren immer neue und riesige Korruptionsskandale auf, die zum Teil eng miteinander verwoben sind und in denen die regierende Volkspartei (PP) und führende Politiker der Partei verwickelt sind. Das Land ist derweil im Korruptionsindex der Transparency International (TI) in den letzten Jahren immer weiter abgesackt. Nach dem Ranking der Nichtregierungsorganisation zur Korruptionsbekämpfung liegt es nur noch auf Platz 41 hinter Costa Rica und vor Georgien. Spanien gehört nun zu einem der am schlechtesten bewerteten Länder in Europa.
Bevor am kommenden Mittwoch nun auch der spanische Regierungschef Mariano Rajoy und der Senatspräsident Pío García Escudero im großen "Gürtel"-Skandal zu Korruption und illegaler Finanzierung seiner konservativen Volkspartei (PP) vor dem Nationalen Gerichtshof in Madrid aussagen müssen (s. Spanischer Regierungschef vor Gericht), sprach Telepolis mit Jesús Lizcano. Er ist Präsident der spanischen TI-Sektion und Professor an der Autonomen Universität Madrid für Finanzwirtschaft und Buchführung.
In einer Presseerklärung von TI wurde kürzlich festgestellt, dass Spanien in den letzten Jahren tief in Korruptionsskandalen steckt und nur "wenige Bereiche des öffentlichen Lebens davon ausgeklammert sind", denn betroffen ist auch das "Königshaus, große Unternehmen, die Gemeinden, der Sport und die politischen Parteien". Wie sehen Sie die aktuelle Situation in Spanien?
Jesús Lizcano: Seit einigen Jahren gibt es eine Alarmstimmung im Land. Wir können schließlich täglich in den Kommunikationsmedien etwas über Korruption lesen, hören und sehen. Deshalb ist Spanien in unserem Index abgesackt, weil der die allgemeine Wahrnehmung abbildet, also die Meinung der Menschen über die Korruption. Wir sehen also den Effekt der riesigen Zahl von Korruptionsskandalen, die aufgedeckt werden, und den Effekt, dass die Justiz hier in Spanien sehr langsam ist. Deshalb ist Spanien mit 58 auf Platz 41 zurückgefallen. So tief stand Spanien noch niemals unter den 176 Ländern.
Teilen Sie die Einschätzung des neuen TI-Präsidenten Jose Ugaz, der sogar von einer "systematischen Korruption" in Spanien spricht, die "dringend" angegangen werden müsse?
Jesús Lizcano: Nein, denn wir haben hier keine Korruption auf allen Ebenen der Gesellschaft, wo überall bestochen wird, das ganze System von Korruption bestimmt wird und vom Polizisten über den Richter, vom Lehrer bis zum Arzt alle bestochen werden. Hier nehmen die normalen Beamten üblicherweise keine Schmiergelder an, damit eine Strafe zurückgenommen, ein Vorgang beschleunigt wird oder ähnliches. Deshalb können wir hier nicht von systematischer Korruption sprechen, wie wir sie in vielen anderen Ländern sehen. Glücklicherweise ist das hier nicht der Fall, denn so eine Situation ist sehr, sehr schwer zu verändern.
Wir haben es hier vor allem mit der politischen Korruption zu tun. Politiker und hohe Amtsträger nutzen ihre Macht im Zusammenwirken mit Unternehmen. Es geht um illegale Kommissionen für die illegale Gewährung öffentlicher Aufträge oder Subventionen. Hochstehende Beamte missbrauchen ihre Macht und ihren Einfluss im Zusammenleben mit einigen Unternehmen. Deshalb ist hier die Korruption politisch und nicht systematisch, wie in anderen Ländern.
Empörung ging vor allem von jungen Menschen aus
Bedeuten die vielen Ermittlungen und Strafverfahren sowie die Tatsache, dass hochrangige Politiker und Unternehmer auch inhaftiert werden, was tatsächlich in wenigen Ländern vorkommt. Heißt das, dass nun unnachgiebig in Spanien gegen Korruption vorgegangen wird?
Jesús Lizcano: Ich glaube, dass heutzutage tatsächlich deutlich schärfer gegen Korruption vorgegangen als in früheren Jahren. Damals gab es weder Informationen, noch notwendige Mittel und Gesetze. Die Richter gingen laxer damit um, auch weil ihnen Ressourcen fehlten. Und auch in der Bevölkerung hat sich viel verändert. Auch dort gab es früher eine ziemliche Nachlässig- und Gleichgültigkeit und sogar Toleranz gegenüber Korruption. Es herrschte auch Fatalismus vor. Viele Leute hielten sie für normal und andere meinten, dass man daran nichts ändern könne. Sieht man sich die Lage heute an, dann könnte man sagen, dass im Weltmaßstab die Situation einigermaßen ist, doch im Vergleich zu Europa ist sie ziemlich schlecht.
Aber die Lage ändert sich. Heute hingegen empören sich viele Menschen über die Korruption. Diese Empörung ging vor allem von jungen Menschen aus. Und deshalb wurden inzwischen Gesetze verschärft und es wird mehr aufgedeckt. Wir als Zivilgesellschaft tun auch alles, was wir können, um zur Aufklärung und Prävention beizutragen. Korruption ist tatsächlich schwerer geworden und die Justiz arbeitet zwar langsam, aber einigermaßen effektiv. Ich glaube deshalb, dass in Zukunft nicht mehr viele Verfahren auftauchen. Wenn nun alle diese Skandale aus den Medien verschwinden, dann dürften auch unsere Analysen für Spanien wieder bessere Ergebnisse bringen. Das ist meine Erwartung, aber auch gleichzeitig mein Wunsch.
Hat die Empörung, die sich in den letzten Jahren auf den Straßen gezeigt hat und auch zur Bildung neuer Parteien wie Podemos (Wir können es) führte, auch mit sich gebracht, dass Ermittler und Justiz verstärkt gegen Korruption vorgehen oder sich trauen, gegen Parteien und korrupte Politiker vorzugehen?
Jesús Lizcano: Ja, das hatte natürlich seine Bedeutung, dass vor einigen Jahren einen Umbruch im Parteiensystem gegeben hat. Das war Ausdruck der Empörung und der Tatsache, dass viele es leid waren, den Vorgängen einfach zuzuschauen. Die Korruption, vor allem in den beiden traditionellen Parteien, hatte sehr stark damit zu tun, dass neue politische Akteure aufsteigen konnten und sich das politische Panorama deutlich verändert hat. Das führte zu mehr Ausgeglichenheit im Parlament, es müssen Abkommen geschlossen werden. Es gibt damit auch mehr Kontrolle und hat auch dazu geführt, dass Richter, Staatsanwälte und Polizei mehr Möglichkeiten haben und kämpferischer vorgehen.
"Es gibt noch viel zu tun"
Wenn man aber sieht, dass der Richter suspendiert wurde, der mit den Ermittlungen gegen das Gürtel-Netzwerk begann, dass der Nachfolger Ruz in die Pampa versetzt worden ist, nachdem er sogar die PP-Parteizentrale durchsuchen ließ, Staatsanwälte, bis zum Chef der Anti-Korruptionsstaatsanwaltschaft auch mit Hilfe von korrupten Politikern auf ihre Posten gehoben), stellt sich aber die Frage, ob die Justiz wirklich frei ermitteln kann. Wie unabhängig ist die Justiz?
Jesús Lizcano: Es gibt einige Hinweise darauf, dass die Justiz nicht immer unabhängig ist. Deshalb haben wir in einem Manifest auch gefordert, dass die Justiz unabhängiger und transparenter als heute sein muss. So werden heute die Posten im Kontrollrat für Justizgewalt, im Rechnungshof, im Verfassungsgericht von den Parteien bestimmt, die Regierung ernennt den Generalstaatsanwalt, der wiederum die Chefs der Unterabteilungen ernennt, etc. Dazu hängt die Justiz vom Haushalt der Regierung ab. Es kann nicht sein, dass die Staatsanwaltschaft direkt am Justizministerium und der Regierung hängt. Die juristischen Organe sind in vielen europäischen Staaten deutlich unabhängiger. Und schauen wir uns die Ressourcen an, dann liegt Spanien bei Richtern und Staatsanwälten deutlich unter dem Durchschnitt in Europa. In Europa sind es durchschnittlich 20 pro 100.000 Einwohner, doch in Spanien liegen wir nur bei der Hälfte und bei Staatsanwälten sogar noch darunter.
Was muss also getan werden, um Korruption effektiv bekämpfen zu können?
Jesús Lizcano: Insgesamt haben wir 40 Maßnahmen vorgeschlagen, um die Korruption zu bekämpfen. Klar ist, dass zunächst entpolitisiert werden muss, also der Einfluss der Parteien und der Regierung auf die verschiedenen Institutionen muss verringert werden. Dann ist da die ausufernde Immunität für Amtsträger. Hier sind so viele immun, wie sonst nirgends in Europa. Zudem müssen vor allem die gesetzlich geschützt werden, die Korruption anzeigen. Sie trauen sich oft nicht, ihr Wissen preiszugeben, weil sie Repressalien befürchten und nicht anonym bleiben können. Denn damit würden sich deutlich mehr Menschen trauen, solche Vorgänge anzuzeigen.
Die Justiz braucht mehr Ressourcen und natürlich müssen die vielen hochbezahlten Posten verringert werden, die per Fingerzeig von Politikern vergeben werden und dann oft in ihrem Dienst stehen. Es fehlt Transparenz bei Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Eine Studie von uns zeigt, dass sich derzeit nicht einmal die Hälfte Institutionen an die geltenden Gesetze hält und die Vorgänge im entsprechenden Register veröffentlicht, wie es vorgeschrieben ist. Das gilt für die großen Städte genauso wie für Regionalparlamente, Provinzregierungen, etc. Das ist skandalös. Denn in dem Register sollen die Unternehmen und Bürger Einsicht haben, auch um die Auftragsvergabe kontrollieren zu können. Die Liste ist lang, es gibt noch viel zu tun.