Korsika: Autonomie in Etappen
Separatismus nach dem Scheitern Kataloniens: Das nationalistische Bündnis in Korsika gewinnt bei den Wahlen zur neuen Territorialverwaltung
In Korsika wurde am Sonntag gewählt. Die Wahlergebnisse stehen zur Stunde noch nicht fest, die Sieger waren aber schon vor der Auszählung der ersten Runde (die zweite erfolgt am nächsten Sonntag) mangels ernstzunehmender Konkurrenz so gut wie ausgemacht. Es ist ein nationales Bündnis aus "Autonomisten" und sogenannten "Indépendantistes", die zusammengenommen meist als "Separatisten" bezeichnet werden. Gegen 22 Uhr führte die "nationale Koalition" bei den Auszählungen denn auch mit 45,36 Prozent.
Entsprechend schnell wird die Verbindung zur katalanischen Unabhängigkeitsbewegung hergestellt. "Ist Korsika das nächste Katalonien?", titelte zum Beispiel die New York Times am Freitag. In Korsika behandelt Gilles Simeoni, der charismatische Chef der Autonomisten und amtierende Präsident der korsischen Territorialverwaltung, das Thema mit Witz.
"Wenn uns die Korsen am 10. Dezember bestätigen, dann gibt es am 11. Dezember die Unabhängigkeit und Jean-Guy Talamoni wird auf der Prachtstraße von Ajaccio, dem Cours Grandval, mit einem Panzer fahren, um die Präfektur zu stürmen", wird er von einem Treffen in der korsischen Hauptstadt Ajaccio Ende November zitiert.
Der neue Territorialrat
Auf den Wahlkampfveranstaltungen der Separatisten machte der Korrespondent der US-Zeitung, Adam Nossiter, eine enthusiastische Stimmung bei den Anhängern der Nationalisten aus und kontrastierte dies mit einer riskanten "Ignoranz" seitens Paris, wo man die Bedeutung der nationalen Bewegung unterschätze. In der französischen Hauptstadt würde man den korsischen Bestrebungen so gut wie keine Aufmerksamkeit schenken.
Das scheint zunächst etwas übertrieben auf Spannung getrimmt. Die große Pariser Zeitung Le Monde berichtete am Sonntag online ausgiebig über die erste Runde der Wahlen von 63 Abgeordneten eines neuen Territorialrats.
Dieser wird 1. Januar 2018 die beiden Räte der Départements Südkorsika (Corse-du-Sud) und Oberkorsika (Haute-Corse) ersetzen - Folge einer Gebietsreform der Regierung unter François Hollande, welche die beiden Départements mit der bereits bestehenden Gebietskörperschaft Korsika zusammengelegt hat. Das ist eine Premiere, die auch von anderen Pariser Medien beachtet wird. 140.000 Wähler (Le Monde) in Korsika sind damit zum vierten Mal innerhalb von zwei Jahren zum Gang an die Urnen aufgerufen.
Die Nationalisten sind stärkste Kraft
Seit den Regionalwahlen im Dezember 2015 hat sich politisch Entscheidendes auf Korsika verändert. "Zur Überraschung aller - auch der Sieger - wurde eine Einheitsliste korsisch-nationalistischer Gruppen zum ersten Mal überhaupt stärkste Kraft im Inselparlament", bemerkte die SZ vor knapp zwei Jahren und strich heraus, dass es die vormals untereinander zerstrittenen Nationalisten geschafft hatten, ihre Kräfte zu bündeln.
In einem Porträt der FAZ-Frankreich-Korrespondentin Michaela Wiegel der beiden Führungspersönlichkeiten der Nationalisten, Gilles Simeoni (Sohn des legendären Protagonisten für den korsischen Nationalismus, Edmond Simeoni), der den größeren Platz einnimmt, und seinem Verbündeten Jean-Guy Talamoni, dem Präsidenten des korsischen Regionalparlaments, zeigt sich das langfristige Ziel: die korsische Selbstverwaltung.
"Die Nationalistenbewegung hat sich sehr verändert", sagt Simeoni. Auf die Phase des "Widerstands" und der Gewalt aus dem Untergrund folge jetzt eine neue Phase des "nationalen Aufbaus". Die korsische Gesellschaft sei reif für eine "sehr große Autonomie" nach dem Vorbild Kataloniens.
Michaela Wiegel
Vorbild Katalonien? Der Faz-Bericht stammt vom Mai 2016. Damals ahnte man noch nichts von den Ereignissen, die sich in der Folge der katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen im Herbst 2017 abspielen würden, die Schlag auf Schlag klar machten, welche Dynamik sich daraus entwickeln kann und auf welche Gegenreaktionen sie treffen (siehe zuletzt: Wahlkampf in Katalonien in der Hand der spanischen Justiz und Spanische Regierung soll "Tote auf Straßen Kataloniens angedroht" haben).
Auffällig im FAZ-Porträt ist der unangepasste Realismus des korsischen Nationalisten Gilles Simeoni. Er distanziert sich nicht auf opportune, anbiedernde Weise von der Unabhängigkeitsbewegung FLNC (Front de libération nationale corse):
Mit dem bewaffneten Kampf haben wir viel erreicht. Unsere Küsten wurden nicht betoniert wie an der Costa Brava. Wir haben eine eigene Universität in Corte errungen und einen Sonderstatus. Ich stehe zu diesem Werdegang. Andernfalls wäre das korsische Volk schon verschwunden.
Gilles Simeoni
Unter seinem Vorsitz der Regionalregierung gilt ein Waffenstillstand mit der FLNC. Den Pazifismus begrüßt auch sein Bündnispartner Jean-Guy Talamoni: "Die Zeit der Selbstverteidigung ist vorüber. Jetzt erwarten die Korsen von uns ein kollektives Projekt."
Pragmatisch: Für Europa, gegen das zentralistische Paris
Man kann daraus schließen, dass die beiden ihr Projekt für Korsika mit großer Hartnäckigkeit und einem Durchsetzungswillen verfolgen, der zuzeiten auch auf brachiale Mittel zurückgreift, dass sie aber nach den Ereignissen in Katalonien darauf achten, die Nationalistenbewegung auf eine Art zu gestalten, dass sie nicht in dieselbe Klemme gerät. Man wird versuchen, die Eigenständigkeiten und Befugnisse peu à peu auszubauen, den Aufmerksamkeitsschatten in der Pariser Zentralregierung ausnutzend.
Beide, Simeoni und Talamoni, geben sich ziemlich pragmatisch, wie auch der österreichische Standard hervorhebt:
Frankreich, zu dem sie eigentlich gehören, nennt Talamoni ganz cool einen "befreundeten Staat". Das heißt mitnichten, dass er und Simeoni die staatliche Unabhängigkeit anstreben. Beide wissen, dass die arme, wirtschaftlich rückständige Insel ohne den Geldfluss vom Festland schlicht den Bankrott anmelden müsste. Die korsischen Separatisten, Autonomisten und Nationalisten sind zudem sehr proeuropäisch eingestellt. Dahinter stecken zum Teil - wenig verwunderlich - auch pekuniäre Interessen, betrachtet die EU doch Korsika in vielen Belangen als periphere Region, die damit stärker gefördert wird. Berühmt sind etwa die Kuhmilchprämien, die viele korsische Landwirte vor Jahren eingestrichen hatten, ohne dass sie auch nur eine Kuh im Stall stehen hatten.
Der Standard
Wenig Chancen für Parteien, die mit dem Festland verbunden sind
Die Sozialdemokraten, die mit dem PS in Frankreich verbunden waren, hielten in Korsika lange Zeit eine Bastion. Das ist vorbei. Bei dieser Wahl treten sie gar nicht an. Den mit der konservativen Rechten Les Républicains verbundenen Kräfte (Voir plus grand pour elle) werden wie auch die mit La République en Marche assoziierten Vertretung (Andà per dumane) wenig Chancen auf einen ansehnlichen Wahlerfolg eingeräumt.
Auch die Liste des FN (Rassemblement pour une Corse républicaine) und der linken "Corse insoumise " wird laut Prognosen dem Erfolg der Nationalisten von Pè a Corsica, dem Bündnis von Simeoni (Femu a Corsica) und Talamoni (Corsica Libera), sowie der Unabhängigen, Core in Fronte, wenig anhaben.
Die Wahlbeteiligung wurde am Sonntag gegen 17 Uhr auf 45,75 Prozent geschätzt. Bei den Wahlen im Dezember 2015 waren es 52,59% um diese Uhrzeit, berichtet Le Monde. Eine niedrige Wahlbeteiligung, so der Konsens, hilft den Nationalisten.
Paris: Autonomie bedeutet Mafia-Herrschaft
Schaut man sich übrigens Kommentare aus Paris zur Regionalwahl in Korsika an, wie z.B. von Christophe Barbier für l'Express, so kann man an der Härte der Argumente ermessen, dass man in der französischen Hauptstadt nicht so wirklich gelassen ist:
Korsika kann in der heutigen Welt nicht autark funktionieren. Ein unabhängiges Korsika würde unter die Knechtschaft der Mafia und des Geldes der organisierten Kriminalität fallen, das dort gewaschen wird. Korsika muss seinen Platz in Frankreich finden, es hat in der Zukunft keinen anderen echten Platz als dort.
Christophe Barbier