Kosmogramm senden oder nicht?
- Kosmogramm senden oder nicht?
- Nobelpreis- und Pulitzerpreisträger in Rage
- Stufe 8 auf der San-Marino-Skala
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Die legendäre Arecibo-Botschaft stufen selbst SETI-Forscher als gefährlich und "weitreichend" ein - Teil 2
Soll der Homo sapiens Botschaften ins All schicken? Wie hoch ist für uns die Gefahr, dass wir feindlich gesinnten Zivilisationen via Kosmogramm die Position der Erde verraten und von uns vorschnell Informationen preisgeben, die aggressive Aliens nutzen und als Einladung missverstehen könnten? 1974 wurde das erste und bislang stärkste Radiosignal mit einer chiffrierten Botschaft ins All gepulst. Noch heute bezeichnen Wissenschaftler die dreiminütige Sendung als naiv und gefährlich. Die San-Marino-Skala spiegelt deren Sorgen wider. Dabei wird das Signal sein ursprüngliches Zielgebiet höchstwahrscheinlich niemals erreichen.
Teil 1: Streit auf der diesjährigen in San José abgehaltenen Triple-A Konferenz
Datenmüll seit 1896
Alles fing mit der Entdeckung der Radiowellen und der Erfindung des Radios an. Als der russische Physiker Alexander Stepanowitsch Popow (1859-1906) im Jahr 1896 in Gegenwart einiger Wissenschaftler erstmals ein schnurloses Signal über eine Distanz von 250 Meter von Punkt A nach B sandte, wanderten zugleich zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte künstlich generierte Radiowellen ins All. So schwach dieses Signal auch war - fortgeschrittene außerirdische Technologien könnten ein solches mit hochsensiblen Detektoren bereits aufgefangen haben. Dies gilt vor allem für jene Kulturen, die in einem Radius von bis zu 119 Lichtjahren von der Erde entfernt leben. In dieser Zone befinden sich mehr als 1000 Sterne.
Natürlich zeichnen die von uns mittlerweile seit Jahrzehnten in Form von Fernseh-, Radio- und Radarwellen unabsichtlich ins All gesandten Daten- sowie Informationspakete kein rosiges Profil und Psychogramm unserer Art. Die von uns freizügig versandte elektromagnetische Visitenkarte wird ihre abschreckende Wirkung auf hochstehende friedsame außerirdische Kulturen nicht verfehlen. Vor allem sophistische und von ethisch-moralischen Prinzipien beseelte außerirdische Gesellschaften - es mag sie hier und da im Universum geben - werden unsere Funknachricht einzuordnen wissen.
Erste irdische interstellare Flaschenpost
Doch neben dem sekündlich ins All driftenden Radioabfall, der die Erde mit Lichtgeschwindigkeit verlässt, haben Wissenschaftler, Fernsehsender und auch einige Amateurforscher in der Vergangenheit bereits einige Botschaften zielgerichtet ins All gepulst. Im Rahmen von diversen ActiveSETI-Aktionen, auch METI (Messaging to Extra-Terrestrial Intelligence) genannt, sandten Erdlinge einige Kosmogramme zu fernen Welten.
Das bekannteste unter ihnen ist die legendäre, in der SETI Community oft verklärte Arecibo-Botschaft. Sie symbolisiert den ersten Versuch von Menschen, eine verschlüsselte Flaschenpost für Außerirdische ins Wellenmeer des kosmischen Ozeans zu entlassen. Bis auf den heutigen Tag hat kein stärkeres, mit einer interstellaren Botschaft bestücktes Radiosignal die Erde jemals verlassen.
Angefangen hatte der Arecibo-Abenteuer im Jahr 1971, als das weltgrößte teilbewegliche, im Durchmesser 304,8 Meter große Arecibo-Radioteleskop in Puerto Rico (USA) einer dreijährigen Reparatur unterzogen werden musste. Nach der Modifizierung und der Umrüstung der Anlage konnten die Ingenieure und Techniker den Empfangsbereich der Arecibo-Antenne um den Faktor zehn vergrößern. Für die Astronomie hatte dies nachhaltige Wirkungen. Besaß das Teleskop zuvor nur eine Reichweite von 6000 Lichtjahren, stand den Astronomen auf einmal im Bereich des Radiospektrums (fast) die ganze Milchstraße als weitläufige Kommunikationslandschaft zur Verfügung.
Angesichts der sich damals abzeichnenden Perspektiven und anlässlich der Wiedereinweihung des Observatoriums plante der SETI-Pionier Frank Drake in seiner Funktion als Direktor des staatlichen Astronomie- und Ionensphären-Zentrums (NAIC) eine Party, bei der die Riesenantenne eine Radiobotschaft ins All funken sollte. "Es war nur eine symbolische Veranstaltung, bei der wir zeigen wollten, dass wir es umsetzen können", erinnert sich Donald Campbell von der Cornell University, der damals am Arecibo-Observatorium als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war.
Chiffriertes Piktogramm
Drake blieb nicht viel Zeit, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Deshalb kreierte er auf die Schnelle eine Piktogramm-Botschaft, die sich aus insgesamt 1679 Zeichen zusammensetzte, die sich selbst wiederum auf 73 Reihen zu je 23 Zeichen verteilten. Heute haben diese legendären Bildzeichen in der SETI-Fangemeinde Kultstatus. Das bekannteste und am leichtesten zugängliche Motiv ist die menschenartige, geschlechtslose gorillaähnliche Figur. Darunter symbolisiert ein Radioteleskop, genauer gesagt die Arecibo-Schüssel, den Absender des Funksignals.
Damit die im Diagramm aufgeführten Wort- und Bildpunkt-Strichlaute für den unbekannten Adressaten lesbar und verständlich sind, bediente sich Drake der universellen Sprache der Mathematik. Tatsächlich nutzte Drake einige Elemente der 14 Jahre zuvor entwickelten exolinguistischen Kunstsprache LINCOS, die der niederländische Mathematiker Hans Freudenthal (1905-1990) 1960 erstmals beschrieb. Dessen Kunstsprache LINCOS (lateinisch: LINgua COSmica) beruht auf mathematischen Aussagen und logischen Symbolen, sich selbst erklärenden einfachen Beispielen, auf die komplexere Codes folgen.
Als Drakes Piktogramm sendebereit war und die letzten Arbeiten an der renovierten und modernisierten Reflektorschüssel beendet waren, startete am 16. November 1974 die Party. Kurz nach dem Beginn der Feierlichkeiten tönte eine laute Sirene. Sie leitete den Anfang der Transmission ein. Mit einer Sendeleistung von einer halben Million Watt, die sich in einem Strahl mit einer effektiven Leistung von zirka 20 Trillionen Watt konzentrierte, verrichtete die Riesenantenne ihr Werk. Die 169 Sekunden lange Nachricht verabschiedete sich mit einer Sendegeschwindigkeit von 10 Bits pro Sekunde vom Arecibo-Reflektor. Auf einer Grundfrequenz von 2,388 Gigahertz (GHz) begab sich das lichtschnelle und kompakte Radiosignal auf die Reise zum Zielgebiet: zum 25.000 Lichtjahre entfernten und aus 300.000 Sternen bestehenden Kugelsternhaufen M13 (Sternbild Herkules).
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