Kosovo: "Wenn die Sonne erlischt, bemalen wir den Himmel"

Seite 2: Der Jugoslawien-Krieg und die angegriffenen Europäer

Mit dem kurzen Aufflammen des Konflikts im Nordkosovo werden wir auch erinnert an frühere Debatten um deutsche Kriegsbeteiligung in den letzten Jahrzehnten. Besonders betroffen war davon die Grüne Partei, die sich auf einem Parteitag in Bielefeld 1999 endgültig als olivgrün outete. Das scheinen viele in der Partei verdrängt zu haben. Denn wie sonst ist es zu erklären, dass nach dem 24. Februar 2022 viele behaupteten, das erste Mal nach Ende des Zweiten Weltkriegs werde in Europa wieder Krieg geführt?

Mittlerweile machten sich manche ehrlich und sagen ganz offen, dass in Jugoslawien die Grünen das Militär schätzen gelernt haben. Der Publizist Peter Unfried, der seit Jahren gute Kontakte ins Realo-Grünem-Milieu pflegt, schreibt in der taz:

Ich denke, dass Daniel Cohn-Bendit und dann auch Joschka Fischer schon in den 90ern richtig damit lagen, dass die EU angegriffenen Europäern aus menschenrechtlichen und auch geopolitischen Gründen helfen muss, dass sie nicht Opfer eines Völkermordes werden. Mit Waffen und im äußersten Fall auch mit einem Nato-Einsatz.


Peter Unfried, taz

Interessant ist, dass Unfried hier von den angegriffenen Europäern spricht – dies war auch eine Formulierung zu Beginn des Ukraine-Krieges, als Journalisten die besondere Anteilnahme mit der Ukraine damit begründeten, dass sie aussehen wie "wir Europäer" und dass es "mitten in Europa geschieht". Interessant ist auch, dass Unfried durchaus auch geopolitische Argumente für einen Kriegseinsatz gelten lässt. Mittlerweile sind geopolitische Argumente bei den Freunden der Ukraine verpönt, weil damit angeblich das Eigeninteresse der ukrainischen Bevölkerung nicht wahrgenommen werde.

Interessant ist Unfrieds Argumention auch deshalb, weil ja alle am Konflikt Beteiligten in den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien Europäer waren, es sich also um einen innereuropäischen Konflikt handelte. Bei der Formulierung von Unfried könnte man denen, Nichteuropäer hätten hier Europäer ermordet.

Damals gab es noch eine antimilitaristische Linke in Deutschland

Doch wenn man die Diskussionen um die Konflikte in Ex-Jugoslawien mit den Nicht-Debatten um den heutigen Ukraine-Krieg vergleicht, fällt sofort auf, dass es in den 1990er-Jahren noch eine antimilitaristische Linke in Deutschland gab, die bis in die Grüne Partei ausstrahlte. Das wurde bei dem schon erwähnten Kriegsparteitag der Grünen 1999 in Bielefeld deutlich.

Das Konferenzgelände war von Tausenden Gegendemonstranten belagert, Höhepunkt war dann das Farbei – auf Fischers Ohr geworfen von einer Antimilitaristin. Auch in den folgenden Monaten wurden immer wieder Büros der Grünen besetzt, es gab Plakate gegen die Olivgrünen.

Es gab zahlreiche Demonstrationen, aber auch Kongresse, damals oft unter Beteiligung der Monatszeitschrift konkret, auf denen theoretisch fundiert über Strategien des deutschen Imperialismus, über das Wüten der deutschen Wehrmacht in den besetzten Ländern und den Antisemitismus der mit Deutschland verbündeten nationalistischen Bewegungen informiert wurde.

Es galt damals als ein kategorischer Imperativ, dass überall da, wo einst deutsche Wehrmacht und die SS wüteten, deutsche Waffen und die Bundeswehr ganz bestimmt nichts verloren haben. Und es galt auch als ein unhintergehbarer Grundsatz für eine linke Bewegung, sich nie mit Bewegungen gemein zu machen, die sich in Schriften, in Symbolik und Geschichte auf nationalistische Bewegungen beziehen, die einst mit Hitler-Deutschland kooperierten, sich in dessen Hass auf die Juden nicht unterschieden und die gemeinsam mit der Wehrmacht "heim ins Reich" flohen.

Man könnte sagen, dass vor allem in einem Milieu der außerparlamentarischen Linken hier die Grundlage für Agieren aus einer Position einer radikalen Minderheit gegeben war, die keine Regierungsposten will und trotzdem die öffentliche Stimmung beeinflussen konnte. Das gelang noch eine ganze Zeit lang, beispielsweise mit spektakulären Aktionen gegen öffentliche Bundeswehrgelöbnisse in Berlin.

Verschwinden der antimilitaristischen Bewegung und Ende der Vernunft

Doch angesichts des Ukraine-Krieges ist von dieser antimilitaristischen Bewegung aus speziell deutschlandkritischer Sicht wenig übriggeblieben. Das zeigt sich gut daran, dass es verpönt ist, ukrainische Linke, die in Deutschland für die Unterstützung der Verteidigung gegen Russland weben, auch nur danach zu fragen, warum sie die Bandera-Denkmäler in der heutigen Ukraine nicht angreifen und damit das machen, was Antifaschisten in Deutschland seit Jahrzehnten praktizierten.

Eine solche Frage wird bereits als "West-Splaining" verunglimpft. Über den Antisemitismus des prodeutschen ukrainischen Nationalismus bis 1945 und den späteren Umgang damit gibt es heute keine linken Konferenzen. Die Ultrarechten sind im Kampf gegen Russland mittlerweile so selbstverständlich akzeptiert, dass es niemand mehr kritisch aufmerkt, wenn kürzlich in der taz ein Foto veröffentlicht wurde, auf dem eine Kundgebung der ukrainischen Asow-Bewegung am Maidan in Kiew zu sehen ist.

Die deutlich als Ultrarechte erkennbaren Männer fordern die Rückkehr von Asow-Kämpfer, die vor Monaten in Mariupol von der russischen Armee gefangen genommen wurden. Nur ein Teil von ihnen wurde später ausgetauscht. Obwohl die Herkunft der Asow-Kämpfer aus dem Nazimilieu niemand ernsthaft bestreiten kann, hat die taz nicht einmal in einem Halbsatz erwähnt, dass es um eine ultrarechte Kundgebung handelte.

Das zeigt eben die Normalisierung der Kooperation mit Rechten, wenn sie im geopolitischen Interesse des globalen Westens und speziell auch im Interesse der deutschen Einflusspolitik in Osteuropa ist. 1999 und einige Jahre später waren die Olivgrünen noch mit einer wahrnehmbaren antimilitaristischen Bewegung konfrontiert. Mittlerweile sind die Grünen die Speerspitze des neuen modernen deutschen Militarismus und dessen Kritiker sind marginal.

Dabei ist keineswegs ausgemacht, dass nicht auch an anderen Ecken Europas Konflikte wieder zunehmen. Dazu gehört auch der Kosovo, denn die nächste Provokation des serbischen oder des kosovarischen Nationalismus wird nicht auf sich warten lassen. Dabei ist die kosovarische Seite klar im Vorteil, weil sie hinter Serbien den Einfluss Russlands erkennen will. Schon warnen auch in Deutschland Politiker und Medien vor einer neuen Front Russlands im Kosovo.

Damit kann zumindest die Bereitschaft, in den Konflikt, wenn er sich wieder zuspitzt, zu intervenieren, gefördert werden. Dabei ist es ermutigend zu sehen, dass zumindest ein Teil der jüngeren Generation im Kosovo sich gegen den Nationalismus auf beiden Seiten ausspricht. Für viele bedeutet es, möglichst schnell das Land zu verlassen. Dabei brauchen kosovarische Bürger noch immer Visa, wenn sie in ein EU-Land einreisen wollen.

Das erzürnt viele kosovarische Bürger mehr als die ständigen nationalistischen Manöver auf beiden Seiten.