Krieg als Spiel? Eine Medienkritik

"Der Bund" spiele Szenarien für den Kriegsfall durch, heißt es dieser Tage im "Spiegel". Warum Großbunker nicht für alle reichen sollen. Eine inhaltliche und sprachliche Kritik.

Kanzler Olaf Scholz hat jüngst in einer öffentlichen Rede etablierte Medien gemahnt, generell mehr Meinungsvielfalt zu vermitteln und ihn etwa nicht ständig nur nach bestimmten, neuen Waffen zu fragen, mit Blick gerade auf den Krieg in der Ukraine.

Im Unterschied zu Medienschaffenden, so Scholz, äußerten Bürgerinnen und Bürger im Gespräch mit ihm eher "Sorgen vor einer Ausweitung des Kriegs und manchmal auch Fragen, ob unsere Unterstützung nicht schon zu weit geht".

Medien spielen Krieg

Diese Äußerungen von Scholz stehen in merkwürdigem Kontrast zu Beiträgen wie gerade im Spiegel, auf dessen Seiten in der Sache und im Ton weiterhin ganz andere Saiten aufgezogen werden. Hier ein Screenshot eingefügt, der Beitrag befindet sich hinter der Bezahlschranke.

Unter der Überschrift "Empfehlung von Regierungsexperten: Keller statt Bunker – wo die Deutschen im Kriegsfall Schutz suchen sollen" heißt es im Vorspann zum Text:

Der Bund spielt Szenarien für den Kriegsfall durch. Nach SPIEGEL-Informationen empfehlen Experten, Kellerräume zu präparieren und dort Schutz zu suchen. Auf Großbunker für alle setzen sie nicht.

Wie kommt der Spiegel-Hauptstadtbüro-Mitarbeiter auf die absurd anmutende Idee, über Krieg als Spiel zu schreiben?

Mit Blick auf diese Frage zunächst etwas Hintergrund zum Thema, bezogen auf diese zugängliche Sekundär-Quelle: Wie der Spiegel berichte, soll die Bevölkerung in Deutschland im Fall militärischer Angriffe nicht in erster Linie in Großbunkern geschützt werden, sondern in dafür präparierten Kellern.

Der Regierungsbericht

Das gehe aus dem "Sachstandsbericht zur Entwicklung eines modernen Schutzraumkonzepts" hervor, über den bei der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern Juni in Potsdam beraten werden solle.

Erarbeitet hätten diese Empfehlungen Experten des Bundesinnenministeriums, des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben.

"Keine geeignete Schutzmaßnahme"

"Gegen moderne Präzisionswaffen, die gezielt einzelne kriegsrelevante Objekte zerstören und bei deren Angriff nur wenige Minuten Vorwarnzeit verbleiben, sind zentral gelegene öffentliche Schutzräume für mehrere Hundert oder Tausend Menschen keine geeignete Schutzmaßnahme", heiße es in dem Papier.

Keller hingegen als verbreitete Räume unterhalb der Erdoberfläche oder im Inneren von Gebäuden würden "bereits heute vor einem Teil der anzunehmenden Gefahren" schützen.

Unterschiede zum Zweiten Weltkrieg

Zum Bedrohungsszenario führten die Experten aus: "Anders als im Zweiten Weltkrieg sind keine flächendeckenden Bombardements zu erwarten, mittels derer ganze Städte großflächig zerstört werden".

Auszugehen sei von punktuellen Angriffen auf gewählte Ziele. Damit meinten die Experten "verteidigungswichtige Anlagen", Regierungs- und Verwaltungsgebäude so wie "weitere kritische Infrastrukturen".

Bis 1991: 2.000 Großbunker in Westdeutschland

Zu Zeiten des Kalten Kriegs habe es in der Bundesrepublik rund 2.000 spezielle Groß-Bunker gegeben, 579 davon seien derzeit noch für Zivilschutzzwecke bestimmt.

Dort könnten allerdings nur etwa 470.000 Menschen Zuflucht finden. Um aber rund 85 Millionen Einwohner hierzulande zu schützen, rechneten die Experten vor, müssten circa 210.100 größere Bunker gebaut werden.

Die Gesamtkosten dafür kalkulierten sie auf 140,2 Milliarden Euro. Aber es ginge auch anders: Im neuen Nato-Mitgliedsland Finnland und in der militärisch neutralen Schweiz gibt es laut dem Bericht entsprechende, relativ sichere Bunkerplätze für 85 oder "fast 100 Prozent" der Bevölkerung.

Spiel, Tanz und Krieg

Zurück zu den fragwürdigen Formulierungen dazu im Spiegel, siehe oben: "Der Bund" ist also selbstverständlich nicht die Bundeswehr, sondern bezieht sich auf die Bundesregierung. Dem Autor scheint dieser Unterschied egal, so sehr bewegt er sich in der Sache und im Ton im Rahmen eines "Kriegsspieles". Als ob Krieg, im Ernst, etwas mit "Spiel" zu tun hätte. Es sei denn, man sitzt an der Konsole oder halt am Laptop – oder eben im vergleichsweise sicheren "Großbunker".

Der Begriff "Spiel" kommt vom althochdeutschen "Spil", was in etwa "Tanzbewegung" bedeutete. Spiel gilt demzufolge heute meist als eine Tätigkeit, die oft zum Vergnügen, zur Entspannung, häufig allein aus purer Freude am Spiel selbst ausgeübt werden kann – aber auch als Beruf. Jedenfalls allgemein überwiegend unter Beachtung von Spielregeln – es sei denn, es geht einfach um "freies Spiel".

Ein bekannter Definitionsversuch für "Spiel" stammt vom niederländischen Kulturanthropologen Johan Huizinga, der sogar das menschliche Wesen im spannenden und zugleich freudvollen Spiel begründet sah und daher in seinem Hauptwerk Homo ludens (in etwa: "Der spielende Mensch") schrieb:

Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des "Andersseins" als das ‚gewöhnliche Leben‘.

Da der Spiegel-Schreiber "Krieg" und "Spiel" mit leichter Hand zusammenbringt, hier eine medienwissenschaftlich oft ertragreiche "Gegenprobe": Warum schreibt man nicht auch davon, dass "Friedensszenarien durchgespielt" werden könnten oder sollten? Schon klar – solche Sachverhalte oder zumindest solche Sprach-Spiele scheinen derzeit nicht angesagt.

Und folgerichtig schaukeln sich Inhalt und Form kriegstüchtig hoch: Natürlich gibt es, "spielt" man Krieg konsequent durch, keine "Großbunker für alle". Die dürften reserviert sein für die Leistungsträger und -trägerinnen.

Für das normale Fußvolk gibt es hingegen den billigen Tipp, ggf. im eigenen, etwas "aufgepreppten" Keller Schutz zu finden. Oder wahrscheinlich noch besser: Als Kanonenfutter "mitzuspielen" und bereit zu sein zum finalen Einsatz für Vaterland und Standort.

Im Westen wieder mal nichts Neues? Erich Maria Remarque sagte vor mehr als 60 Jahren, in einer Art anti-militaristischem Sprach-Spiel:

Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg. Bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind. Besonders die, die nicht hineingehen müssen.