Kritik am Missbrauch der Menschenrechte

In den kommenden sechs Wochen tagt in Genf die UN-Menschenrechtskommission. Das Gremium ist in den vergangenen Jahren zum Schauplatz politischer Auseinandersetzungen verkommen

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Seit Montag tagt in Genf zum 61. Mal die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen. Noch nie war die Arbeit des Gremiums von so schwerwiegenden politischen Konflikten überschattet wie in diesem Jahr. Nun wird eine Reform der Kommission gefordert, doch die könnte die Probleme noch verschärfen.

Zum Auftakt der Beratungen zog ausgerechnet die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Louise Arbour, eine vernichtende Bilanz. Man vermittle den Eindruck, dass Erklärungen abzugeben das voranginge Arbeitsziel sei, so Arbour. "Und wir geben uns mit der sporadischen und selektiven Umsetzung von Rechten zufrieden", kritisierte die UN-Kommissarin diejenige Institution, die ursprünglich im Zentrum der UN-Menschenrechtsarbeit stehen sollte. Mit Blick auf die USA bezeichnete Arbour den Trend als besonders beunruhigend, "bestimmte Rechte - etwa das Recht, nicht gefoltert zu werden - auf nie gekannte Art zu interpretieren".

Doch die US-Vertreter ließ das kühl. Der Gesandte Washingtons, Rudy Boschwitz, hatte bereits im Vorfeld der Kommissionstagung darauf verwiesen, dass die für Folter in Irak verantwortlichen Soldaten zur Rechenschaft gezogen worden seien. Human Rights Watch aber fordert eine Verurteilung Washingtons, weil die höheren Ebenen des Militärs vor strafrechtlichen Folgen verschont wurden.

In der Haltung zu den USA wird das Hauptproblem der UN-Menschenrechtskommission deutlich: Politisch marginalisierte Staaten werden verurteilt, während die "großen Fische" durchs Netz gehen. Schließlich hatte es schon im vergangenen Jahr für Unmut gesorgt, dass weder die Folterfälle im besetzten Irak noch die extralegalen Internierungen mutmaßlicher Mitglieder von Terrororganisationen auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo eine Rolle gespielt hatten. Statt dessen wird auf US-Initiative wohl auch in diesem Jahr wieder eine Resolution gegen die Menschenrechtspolitik der kubanischen Regierung eingebracht. Deren Außenminister Felipe Pérez Roque tut die Kritik der USA als Manöver ab, "mit dem Ziel, die Blockade der größten Macht des Planeten gegen ein kleines Land" zu rechtfertigen. Ein ähnliche Polarisierung hatte im vergangenen Jahr eine Debatte über die Menschenrechtslage in der sudanesischen Krisenprovinz Darfur verhindert. Die sudanesischen Vertreter wiesen einen entsprechenden Resolutionsentwurf der USA mit Verweis auf den damals aktuellen Folterskandal in Irak zurück, und konnten dafür die Unterstützung lateinamerikanischer, asiatischer und afrikanischer Vertreter gewinnen.

Dabei gäbe es durchaus Verhandlungsspielräume. Kubas Staatsführung etwa erkennt die Einschränkung der bürgerlichen Rechte im eigenen Land durchaus an, macht dafür aber die US-Blockade verantwortlich. Dass in diesem Zusammenhang eine andere Politik möglich ist, bewies unlängst die Europäische Union. Auf Initiative der spanischen Regierung wurden die Beziehungen zu Kuba nach einer zweijährigen Krise wieder aufgenommen. Die Regierung in Havanna akzeptierte daraufhin auch die Kontakte Brüssels zu Regierungsgegnern und stellte in Aussicht, das Internationale Abkommen über bürgerliche und zivile Rechte (Zivilpakt, 1966) zu unterzeichnen. Ein politischer Erfolg, den die USA trotz vier Jahrzehnten Blockade nicht erreicht haben.

Immer mehr Länder sperren sich gegen Resolutionen

Für Elisabeth Strohscheidt vom Forum Menschenrechte, einem Zusammenschluss deutscher Menschenrechtsorganisationen, sind Kuba und Sudan typische Beispiele. "Weil viele Anträge gegen Industriestaaten nicht konsequent verfolgt werden, sperren sich immer mehr Entwicklungsländer gegen Resolutionen, die sie selbst betreffen". Strohscheidt führt als Negativbeispiel den Bericht über Folter in spanischen Gefängnissen an. Die Vertreter Madrids hätten den Berichterstatter im vergangenen Jahr hart, sogar auf persönlicher Ebene, angegriffen, "und kein Land hat sich vor ihn gestellt".

Eine Blockbildung sieht auch Jochen Motte von der Vereinten Evangelischen Mission, die ebenfalls Teil des Forum Menschenrechte ist. Für Motte zählt vor allem die Mitsprache der Nichtregierungsorganisationen, um der Politisierung entgegenzuwirken. Eine reine Erweiterung der derzeit 53 Kommissionsmitglieder auf alle 191 UN-Mitgliedsstaaten hält Motte für nicht sinnvoll. "An der Politisierung würde das ja nichts ändern", sagte er im Gespräch mit Telepolis. "Unser Kriterium bei einer Reform der Kommission ist die Frage, ob das Gremium auch weiterhin für politische Interessen missbraucht werden könnte." Bislang versuchen die deutschen Organisationen mit Appellen an die Bundesregierung, "ein konsistentes und transparentes Vorgehen ohne politische Rücksichtsnahmen" zu erreichen. Im vergangenen Jahr hat sich die Bundesregierung als Teil des EU-Blockes aber sowohl bei in der Frage nach Guantánamo als auch beim Spanien-Bericht zurückgehalten. In diesem Jahr gibt es zumindest keine Anzeichen für eine veränderte Position.

Mehrere Staaten Lateinamerikas haben sich im Rahmen der Reformdebatte indes für eine Erweiterung des Menschenrechtsbegriffes eingesetzt. So wiesen die Vertreter von Honduras und Guatemala auf die Bedeutung der sozialen Menschenrechte hin. Die Armut in den mittelamerikanischen Staaten habe einen zunehmend negativen Einfluss auf die Lage der Menschenrechte, erklärten der Justizminister von Honduras, Jorge Hernández Alcierre, und die stellvertretende guatemaltekische Außenministerin Marta Altolaguierre. Der Vorstoß der beiden Kommissionsmitglieder ist nicht unbedeutend, denn tatsächlich wurde der Menschenrechtsbegriff im politischen Diskurs in den vergangenen Jahren auf die "erste Generation" der Menschenrechte, die bürgerlichen Rechte, verengt. Auch darin liegt eine Ursache der zunehmenden Instrumentalisierung des Menschenrechtsbegriffes durch politische Akteure.