Kubrick 2 0 0 1
Über den cineastischen Mythos der "Weltraum-Oper"
Als Stanley Kubricks und Arthur C. Clarkes "2001: A Space Odyssey" 1968, ein Jahr vor der Mondlandung, in die Filmtheater kam, stieß diese neue, völlig unirdische Stummfilm-Cinemascope-Weltraum-Oper auf ein geteiltes Echo. In wahrhafter Konvergenz von Fiction und Science, zu Walzerklängen und postserieller neuer Musik, drifteten Raumschiffe und Astronauten nach wissenschaftlich exakt interpolierten Angaben in die Unendlichkeit, in unsicherer Erwartung einer Begegnung mit den Außerirdischen. Die technologische Präzision in jeder einzelnen Einstellung und die schwerelose Unfassbarkeit der filmischen Gesamtaussage machten aus "2001" einen cineastischen Mythos. Von den einen wurde das Werk gefeiert und von den anderen verdammt: als ultimative Neuschöpfung des Science-Fiction-Kinos oder als handlungsarme und sinnentleerte "Weltraum-Oper".
You made me dream eyes wide open
Franco Zeffirelli aus Rom 1968 an Kubrick
Dieser Disput gehört der Vergangenheit an. Wie auch immer: "2001" wurde zur Herausforderung, zum Prototyp und Gegenbild für die nachfolgenden Genre-Ausprägungen, die je auf ihre Weise die Bühnen des Alls, der Erde, der Technik und des Körpers mit menschlichen, außerirdischen und maschinellen Entitäten bevölkerten.
Steven Spielberg holte Kubricks Vision vom Himmel herunter
Spielberg lieferte einen Effekt-Mix, der die Tricktechnik der erhabenen Erscheinungen mit dem irdischen Humanizing, mit der emotionalen Schwerkraft und Sentimentalität des familiären Alltags verband. Die professionellen Astronauten, die die Erde und ihre familiären Beziehungen längst hinter sich gelassen hatten, wurden durch den Typus des verrückten Hans-guck-in-die Luft ersetzt. Spielberg kümmerte sich weder um Kubricks unterkühltes Szenario der Ankunft der Außerirdischen auf der Erde und dem Mond noch um die geschichtsphilosophische Frage nach der Tragweite ihres möglichen Eingriffs in die zivilisatorische Evolution der menschlichen Gattung. Er destillierte aus "2001" die Sehnsucht pur und verbrachte sie in ein publikumswirksames Stadion auf einem indianischen Betzenberg, in dem man von jedem Rang aus zum Ufo-Liebhaber werden konnte. Für ihn wurde Science-Fiction zu zwei mit Thriller- und Horror-Elementen aufgeladenen Gegenwarts-Familien-Rührstücken, in denen das Herz und der Wunsch zur Antenne für den Kontakt mit dem All wurde: "Ufos for all, now on screen. My Family cares for my personal alien pet."
Das waren Spielbergs demokratische Marketing-Devisen, und die Kids aller Kontinente gaben ihm Recht: "Encounters of the Third Kind" mit dem unvergesslichen Richard Dreyfuss. Er rackerte sich empor, vom treulos-schizophrenen US-Familienvater, der sein Wohnzimmer zu einem Gebirge aus Gartenlehm verunstaltete, über den wilden Ufo-Tramp bis zum endgültigen übernationalen Testreisenden im Mutterschiff aller Klein-Ufos am Berg Sinai/Devils Tower dank dem einsichtig-kultivierten Expertokraten Lacombe (alias François Truffaut). Dagegen musste die heutige "Drei-Engel-für-Charlie"-Produzentin Drew Barrymore als betörende Göre dem christologisch verbrämten Lieb-Alien "E.T." im gleichnamigen zweiten Werk nur ein Heimweh linderndes Küsschen zum Abflug verabreichen, um zu dem damals ertragreichsten Streifen aller Zeiten beizutragen, bevor der Saurier-Spielberg sich selbst noch einmal, in Vor-"Titanic"-Zeiten, auf Platz 1 der Welt-Hit-Liste schlug.
Lukas' "Star-Wars"-Saga verlegte die Vermenschung direkt ins All
George Lukas überbevölkerte mit heldischen Fantasy-Formen den von Kubrick zelebrierten unendlichen Raum mit guten und bösen Kampfgeschwadern, Todessternen und belustigenden oder ekeligen Alien-Kumpel-Figuren auf zahllosen planetarischen Nebenschauplätzen. Damit erst war die vielaktige Space Opera, das Techno-Walhall in einem wahrhaft Wagnerianischen Sinne geschaffen, nicht zuletzt durch die neoromantisch-leitmotivische Instrumentation von John Williams, der Spielbergs und Lukas Projekte in der Tradition Erich Korngolds, einem nach Hollywood emigrierten Mahler-Adepten, vertonte. "Star Wars" hat auf dem kulturellen Highway und Mainstream der mittleren Milch-Sesam-Straße Kubricks abstrakt-relativistische, am Museum of Modern Art orientierte Raum-Zeit-Vision zwischen Jedi-Duell, Muppet-Show, Video-Pod-Race und Darth-Vader-Genealogie so erfolgreich animiert, dass heute ein junges Publikum bei lautlosen Allausflügen "Tonausfall" und bei Bildkonstanz von mehr als 8 Sekunden eine "Filmstörung" vermutet. Damit wurde natürlich der allererst zu entdeckende Ereignisraum aus "2001" normalisiert und zum Spielfeld von Eroberungen verkürzt.
Kubrick ebenbürtig hat Ridley Scotts in "Alien" die befremdend-selbstverlorene Ankunft auf einem fernen Gestirn dargestellt
Allerdings geht bei Scott die Dimension des Erhabenen aus "2001" sogleich in das Bedrohliche und Giftige eines sozialreportageförmigen Katastrophen-Dramas mit Bürgerkriegsauswüchsen und Horrorszenarien über, wie sie Kubrick und Clarke gerade nicht intendierten. Unter Scotts Regie und mit Gigers Biodesign wird auf die Schönheit, Idealisierung und Spiritualisierung von Mensch und Alien verzichtet. Die Proletarisierung der klinisch sterilen Weltraum-Staats-Kreuzer zu unökologisch verschmutzten Industrie-Privat-Frachtern zieht in die Kinobildwelt ein.
Die irdischen Unzulänglichkeiten und Unerträglichkeiten der 70er-Familien Spielbergs kehren wieder in den Teamdialogen genervter Söldner und hinterlistiger Manager. Für sie alle ist Raumfahrt keine lichte Mission zu mitreissenden Entdeckungen und Eroberungen, sondern die dunkle Routine ewiger Unbehaustheit im Banne weltumspannender Profitgier. Die Menschheit ist das blinde anfällige Opfer. Das All eine biopolitisch ausbeutbare Kloake. Die Verseuchung der Schiffe durch drachengestaltige Aliens, die noch im Embryostadium Menschen als lebende Wirtseier anzapfen, sind den Konzernen und den Militärs nur recht, wenn sich mit interstellaren Erzlieferungen keine Geschäfte mehr machen lassen. "Aliens" sind willkommene Testwaffen im Dienste des artenübergreifenden Klonens auf dem Markt kommender interstellarer Bio-Battles-Techs. In den vier Alien-Filmen (Scott, Cameron, Fincher und Jeunet) gehen Loch Ness, Seveso, Harrisburg, Tschernobyl in ein interstellares Vietnam einander über.
Schwarzenegger und Cameron brachten den Cyborg mitsamt einem paranoiden Plot ins Spiel
Auf die Vietnamisierung des Bio-Gen-Marktes reagierten Arnold Schwarzenegger und wiederum James Cameron mit dem technoiden Komplementär-Gebilde: dem Cyborg als wertekonservative Kampfmaschine, als Gladiator von weltumspannenden Netzkonflikten, der in den Spielfechtereien der Futurologie gegen die eigene Destruktionslogik eingesetzt wird. Der Supercomputer HAL erlitt gleichsam Amnesie, lernte gehen, und als er wieder zu sprechen ansetzte, siegte die weise Dummheit von Alf.
Nach mehreren Konkurrenzen zwischen Stallone und Schwarzenegger entstanden die revisionistischen Robot-Rambo-Action-Balladen "Terminator 1 und 2" im Heavy-Metal-Stil. Der Science Fiction degenerierte zum lautstarken No-Future, zum Visions-Pessimismus, der sich bewusst zirkulär auf die digitalen Spezialeffekte der primitiven martialischen Handlung eines Videospiels zurückzieht. Der spärliche spekulative Hintergrund dieses Schrumpfungsprozesses: ein klappsmühlenverdächtiges mariologisches Zeitmaschinen-Paradox, eine fast keimfreie Heldengeburt John O'Connors, die bevorstehende atomare Killer-Apokalypse durch Skynet und ferngesteuerte Robot-Geschwader. Science Fiction wurde zum paranoiden Plot, zu dem der Golfkrieg weltweite Infopolitik gemacht hatte: zum ideologisch abgeschotteten Background einer lokal ausgegrenzten gewaltsamen Action.
Handeln, nicht mehr als komplexes Trial, als Suche, Verunsicherung, Befreiung, Erhöhung, Aufklärung oder Verklärung, sondern als Sondermüll, als Abfall, der verzweifelt auf Entladung, auf gewaltsame Lokalisierung der im Netz zusammengebrauten Konflikte drängt. Der Golfkrieg und der spätere Schlag gegen Serbien lehrten die westlichen Zuschauer, wie schön es ist, auf der richtigen, d.h. der überlegenen Seite nach dem Ende des Kalten Krieges zu sitzen und sich durch die neue Führungsrolle des Westens gut beschirmt zu fühlen. Dergleichen war auf der Leinwand nur negativ und nur automatisch, maschinell darzustellen. Adorno für Konservenknilche: "In einer wahnsinnig gewordenen Welt war der Terminator die einzige Alternative."
Wenn der Terminator "Modell T 800" schon aus der Zukunft zurückkehrt, um den jungen Heldenmenschen für den späteren Endsieg gegen die Maschinen zu töten, dann kann eine immer cleverer werdende Gegenwart, im zweiten Teil, den auf Null gebrachten Cyborg der Reeducation unterziehen und im minimal invasiven Verteidigungsrückschlag gegen die Anbahnung der bösen Zukunft durch die böse digitale Industrie einsetzen.
Ausflüge in die Schöne, Neue Welt
Die sanfteren und differenzierteren Sci-Fi-Töne eines feinsinnigen Kunstanspruchs im Sinne von "2001" konnte nur "Gattaca", die neuartige Human-Bio-Design Parabel mit Ethan Hawke und Uma Thurman anstimmen. Die psychologischen und biologischen Schwächen ließen die Menschen in der Schönen Neuen Welt zu austauschbaren Passagieren für den heißersehnten fernen Flug zum Saturn werden.
Auch Luc Bessons autistisches Science-Fiction-Märchen "Das fünfte Element" kann, trotz bestimmter eindrucksvoller musikalisch-visueller Momente, als parodistischer Euro-Kult-Baller-Mix aus Kubrick-, Spielberg- und Emmerich-"Stargate"-Elementen verstanden werden, ohne an das visionäre Potential von "2001" heranzureichen.
Cybermodell der manipulierten Netzkultur
Erst mit "Blade Runner" gelang Ridley Scott Mitte der 80er Jahre ein bedeutender Sci-Fi-Film, der an die reflexive Tiefe von "2001" anknüpfte und doch in seiner aufwendigen Darstellung in eine andere Richtung wies. Nach Philipp Dicks literarisch bedeutendem, aus der ungeschminkt-subjektiven Perspektive erzähltem Klassiker "Do Androids dream of electric sheep?" entstand ein postmoderner, vom Punk inspirierter Film-Noir. Er inszenierte die drohende Unterunterscheidbarkeit von Mensch und Android mitten im Dickicht von Los Angeles in nicht allzu ferner Zukunft.
Rund zwei Jahrzehnte später schafften die Warchowski-Brüder mit "Matrix" ein Cyber-Modell der manipulierten Netzkultur, der fast aussichtslosen Scheinhaftigkeit der maschinenbeherrschten Alltagsgegenwart im Gehirn der ausgebeuteten humanen Spezies, eine Art Brain-Alienation, womit die Frage nach Echtheit oder Simulation von Wirklichkeit wiederum im Anklang zu "2001" zum philosophischen Mysterium des Auserwählten wurde, zum Politikum des Widerstands im fluktuierenden Underground und zum filmischen Mathematicum der Bullett-Photography, ganz im Sinne der jüngsten Cyberkultur mit ihren überschnellen Raubzügen durch das Netz.
Die Rasanz der "Matrix"-Stunts und die majetätische Ruhe des "2001"-Weltraum-Balletts liegen, trotz unterschiedlicher Zeitraffer- und Zeitlupentechnik, in ihrer jeweiligen Bewusstseinsverstörung durch infinitesimal verzögerte Vorgänge nicht so weit auseinander. HAL 9000, der in "2001" die Discovery-Astronauten noch per Multi-Screen-Display und Raumschiffsteuerung sanft in die tödliche Defensive drängte, hatte ein Riesenheer irdischer Verbündeter bekommen, die mit dem Humanen nicht lange fackelten.
Abdriften in die Zone der Stummheit und Indifferenz
Verglichen mit den angeführten und weiteren Sci-Fi-Filmen aus drei Jahrzehnten ist die Botschaft von "2001" nicht halb so greifbar, wie es die Gegner und Neider, aber auch manche Fans wahrhaben wollen. Kubrick hat seinem Werk einen - Szene für Szene variierten - Code eingeprägt, den erst ein mehrmaliges Sehen überhaupt ans Licht bringt.
Erst nach einer halben Kino-Stunde ertönt das erste, weiterhin spärliche menschliche Wort. Vom anfänglichen Start, ausgerechnet in der Prähistorie der Affenmenschen, denen ein erster außerirdischer Monolith erscheint, erhole sich, so die damalige Kritik, die Filmhandlung in der Folge nicht mehr. Daran könne auch die werbeförmige Verfilmung des Rendezvous von "Orion III", einem Pan-Am-Shuttle, mit der kreisförmigen Raumstation V ändern, - eine kostspielige Demonstration der Wirkungsweise von noch analoger (nicht digitaler) Einzelbild-Tricktechnik, Cinerama-Format in Verbindung mit dem Karajan-Johann-Strauß-Walzer "An der schönen blauen Donau", der in damals ausgewählten Theatern als Musac im Sechs-Kanal-Ton erklang.
Die Seelenlosigkeit des Films, so die Kritiker, gehe weiter im kalten Krisenmanagment Dr. Heywood Floyds (William Sylveser), sei es auf der längst zur Stadt ausgebauten Mondbasis Clavius oder im Mondbus auf dem Weg zum Krater Tycho. Am hochzerklüfteten geologischen Fundort "Tycho Magnetic Anomaly-One" (TMA-1) ist im Dunkel der Mondnacht unter hochgleißenden Hochleistungsstrahlern ein Jahrmillionen alter schwarzer Stein mit den Maßen 1:4:9 ausgegraben worden, den außerirdische Intelligenzen dort absichtlich deponiert haben mussten. Ein geheimer Fund, der Spekulationen über Unterlegenheit und Überlegenheit der Menschheit, zwischen Hoffnung und Angst, Erlösung und Verdammung auslösen könnte, wäre da nicht die psychopathische Innenpolitik der Top-Secret-Routine, die später in der menschenfeindlichen Computer-Psychose von HAL 9000 bündelt.
Und wenn schließlich auch während der Routine im interplanetaren Nuklear-Raumschiff "Discovery" unterwegs zum Jupiter in der Zentrifuge einer der beiden "aktivierten" Astronauten (Frank Poole, dargestellt von Garry Lockwood) endlos zu Aram Katschaturians melancholischem "Adagio" aus der "Gayane Ballett Suite" an den drei im Kälteschlaf eingesargten Kollegen vorbeijoggt, so scheint die Abwesenheit des menschlichen Maßes, von Dialog, Handlung, Plot und Action erneut Triumphe zu feiern, während der Film selbst immer weiter in die Zone der Stummheit und Indifferenz abdriftet. Diese Wirkung wird noch verstärkt durch die suggestiv einfühlsam stereophone Stimme des Bordsupercomputers HAL 9000, der mit seinem überall gegenwärtigen Kameraaugen die beiden menschlichen Kollegen kontrolliert und ihnen das Gefühl gibt, dass sie angesichts der Übermacht des Elektronengehirns überflüssig geworden sind.
Das mathematisch Erhabene im Kino
Was sich hier filmsprachlich ereignet, i s t 2001. Und dieses 2001 war schon 1968, mitten in der national-militärisch angeheizten US-Raumfahrtbegeisterung Aktualität: In einem durch IBM-Großrechner gesteuerten Technikuniversum verhalten sich die Menschen "eindimensional" (Herbert Marcuse), so dass sie das individuelle und menschheitliche Bewusstsein ihrer eigenen Existenz, ihrer dringlichsten Ziele, Werte und Projekte verlieren, um in wohlversorgter Routine und in umhegtem Halbschlaf dahinzudämmern: wie Floyd in der "Orion III" und David Bowman (Keir Dullea) im Schneewittchensarg der "Discovery"-Zentrifuge.
Die Technik als die Amme, an der die unmündigen Säuglinge angeschlossen sind, um versorgt, aber auch irgendwann gleichgültig zerdrückt und ausgeklinkt zu werden. Gab es einen besseren Wortwitz dafür als die Verschiebung der Marke IBM um je einen Buchstaben im Alphabet rückwärts zu "HAL" ("Heuristically programmed ALgorithmic Computer"), Hail und Hell, Heil und Hölle des Unternehmens Jupiter?
Wie verträgt sich die instrumentelle Vernunft der Großrechner und des eindimensionalen Menschen mit der Erscheinung des Außerirdischen und der Prähistorie im Prolog "Dawn of man - Aufbruch der Menschheit"? Kubrick hat die Erscheinung des Monolithen und die Auswirkungen auf die Menschenaffen ebenso wie seine Wiederentdeckung durch die Technologen des 21. Jahrhunderts in strenger Regie drakonisch auseinander gehalten, um mehrere Bild- und Bedeutungsebenen zu trennen. Trotzdem sind die Kritiker auf die Raum- und Sprachfallen des Films reihenweise hereingefallen.
Der rund zweieinhalbstündige, um 15 Minuten nach den ersten Previews von Kubrick selbst gekürzte Mammutfilm enthält mindestens vier verschiedene, scheinbar völlig heterogene Teile, deren Spannungskurven jeweils überraschend kippen oder versickern, aber in wechselnden Konstellationen motivisch wieder aufgenommen, verstärkt und weitergeführt werden. Insofern lässt sich von einer "sinfonischen" Komposition sprechen, die den Identifikationsmechanismus einer "Oper" überschreitet.
Nie zuvor hat das Kino die Dimension des mathematisch Erhabenen so extrem aufgegriffen, um so weit auseinanderliegende Phänomene als fernste Echos aneinander anklingen zu lassen. Aber indem das Kino dies bei äußerster handwerklicher Plastizität tat, gab es kein Zurück mehr: alles Sichtbare wurde zur Allegorie, zum Zeichen für anderes.
Das Publikum des Jahres 1968, aufgespalten in die ältere Star-Theater-Fraktion und die jüngere, medial ausgelassen-gewitzte Mc-Luhan-Mafia, hatte den technologisch fortgeschrittenen Menschen des Jahres 2001, den Science-Bürokraten Floyd, auf den vier Millionen Jahren älteren Affenmenschen zurückzubeziehen. Wer war sich damals und wer ist sich heute über das Ausmaß an Ironie und Kritik im klaren, angesichts der Verwandlung der Primaten in den ersten homo erectus, der weniger einen homo sapiens, sondern einen Hobbesscher homo homini lupus darstellt?
Und inwieweit stellt die vier Millionen Jahre alte Erscheinung der beiden Monolithen auf der mondähnlich ausgedörrten Erde und dem erdähnlich besiedelten Mond wirklich das Missing Link in der evolutionären Geschichte des Films dar, einen Grenzstein für die Inspiration oder für die spirituelle Quarantäne des ewigen Versuchstiers Mensch, in dem großen Verwirrspiel Geschichte für eine nach Nietzsche ehedem höchst irrtumsanfällige Rasse? Worin sollte der Einfluss des Steins auf die Affenmenschheit bestehen? Wurde das Publikum hier nicht mit einer Art n-dimensionalen Denkraum konfrontiert, zwischen Darwinismus und Platonismus, Determinismus und Freiheit, Szientismus und Hermeneutik, Empirismus und Rationalismus, Faschismus und Kritischer Theorie, die die Interpretation des zukünftigen Encounter mit den Außerirdischen sowohl in der Selbst- wie der Fremdeinschätzung der imaginären Gattungen einschneidend beeinflussten?
Ungetrübte Ekstase
Clarkes parallel zum Film ausgereifter und aufs Kubricks Drängen erst nach dem Filmstart veröffentlichter Science-Fiction-Roman, zeichnet sich durch hohe Sprachsensibilität gegenüber der vegetativ-unbewussten Reise durch Raum und Zeit und in das Halbwachbewusstsein von Tier, Mensch, Gattung, Technik und Gestirn aus. Immer wieder setzt er auf philosophische Bewunderung und astronomisches Staunen, lässt er die Wesen, Dinge und Phänomene so, wie sie aus der Entfernung eines adligen und adelnden Respektes sind oder sein könnten, anstatt das Ereignis durch technische Beschreibung und logische Erklärung "totzuschlagen". Doch bei aller Eleganz stellt Clarkes Monolith ein hypnotisches Computer-TV-Gerät dar, dass den Affen neben abstrakt-psychedelischen Kunsteinlagen auch konkret vormacht, was sie nachzuahmen haben. Bild, Vorbild, Zweck, Mittel, Schulung.
Von alledem ist bei Kubrick nichts zu sehen und nichts zu spüren. Die Ekstase ist ungetrübt. Es gibt keine selbstgefällige Teleologie, sondern nur überraschende, diskontinuierliche Wendepunkte, qualitative Sprünge, alle und alles elektrisierende Funken, die den Kreis der Vor- und Folgeereignisse in völlig neuem Licht erscheinen lassen. Das große musikalische Leitmotiv des Films (die berühmte Einleitung aus Richard Strauss' spätromantischer, Friedrich Nietzsches gleichnamigem Werk gewidmeter Programmmusik "Also sprach Zarathustra") markierte in ihrem siderischen Crescendo eine aufstrebende Konstellation des Anfangs, den Blick, der über die Rückseite des Mondes "hinauf" zur Erde und zur dahinter aufgehenden Sonne schweift. Die Begriffe "Auf- und Untergang" bleiben relativ, angesichts der freischwebenden Kamera-Perspektive.
Wenig später erscheint diese Konstellation in variierter Gestalt wieder, diesmal, besetzt durch Sonne und Mondsichel, und spendet dem auf die wüste Erde niedergestiegenen Monolithen ein erstes Tageslicht. Doch nicht die heroisierende Fanfare "Also sprach Zarathustra", sondern das "Kyrie", das bedrängend multiphone "Herr erbarme dich" aus György Ligetis "Requiem", einer modernen "Totenmesse" erklingt, ein musikalisches Portal des Eingangs, des Abschlusses, des Endes, der Verabschiedung. Erst wenn Moon-Watcher (Daniel Richter) einen Knochenfund ergreift, kehrt die Richard-Strauss-Musik zurück: in dem Augenblick, als das Leittier der Menschenaffen, in Erinnerung an den Monolithen, in erstmals aufrechter Positur einen ausgebleichten Tapirschädel zertrümmert, das Zerstörungs- und Jagdwerk einleitet und damit den ersten Schritt zur bewaffneten und fleischfressenden Bestie Mensch unternimmt.
Wenn Moon-Watcher wenig später den Anführer der Gegengruppe an der versiegenden Wasserstelle tötet und sein Mordwerkzeug, den Knochen mit triumphalem Röhren in den mattblauen Himmel schleudert, setzt jener vielbewunderte Match-Cut über Jahrmillionen ein. Doch bloßes Zahlenspiel allein kann die Wirkung des Erhabenen nicht erklären. Der kühne Bildschnitt findet ein ästhetisches und ethisches Echo in den folgenden versteinerten technologischen Bildwelten. Die naturwüchsig-aggressiv Urgeschichte des technischen Fortschritts zeigt überdeutlich das spirituelle Vakuum einer kaum vernünftig zu nennenden Menschheit an.
Millionen Kilometer weiter, im Bereich des Riesenplaneten Jupiter und seiner gigantischen Monde, leitet der diesmal durchs All fliegende, nur im Reflex ferner Lichtquellen aufscheinende (Riesen-) Monolith wiederum mit Ligetis Musik dem "Requiem", der vokalen Totenmesse, und dem Instrumentalwerk "Atmosphères" ein neues Ende und einen anderen Anfang ein: David Bowmans Fahrt in den vor- und zurücksirrenden Lichtkorridor, in dem Raserei und Stillstand, sinfonische Nähe und Ferne im Auge des Betrachters und Reisenden ein- und dasselbe werden.
Es ist diese absolute musikalische Strenge des Films, aus der eine neue Dimension geboren wird: eine projektive, milchig überbelichtete und verzerrte Suite, eine postatomare Kompressionskammer, eine galaktische Discothek der beißenden Stille, der grinsenden extraterrestrischen Töne (Ligetis "Aventures" verzerrt und angereichert) und der animalischen Geräusche, in der Raum und Zeit, die biographische Logik des Alterns und des rückbezüglichen Erinnerns paradox ineinander und nach außen gestülpt werden. Nicht die Menschaffenhorde, nicht die Mondwissenschaftler, verpackt in ihre Astronautenanzüge, sind es diesmal, sondern Bowmans eigene Körper- und Gedankenbilder, die den noch unsichtbaren Monolithen spiegelnd umringen, in seinem Umkreis geradezu verglühen und die letzte Reflexion auf und durch den wiedererscheinenden Wunderblock ermöglichen: Die Umkehrung des Wunders, die Stabilisierung der explosiven informatischen und atomaren Energien des Universums in einem neuen lebenden und sehenden Zentrum, dem "Star-Child". Nur wo das Irdische selbst außerirdisch geworden ist, hat es die Begegnung mit dem Anderen erreicht.
Wer sich auf Kubricks reflexive Filmsprache in "2001" einlässt, erfährt, dass es dem 1999 verstorbenen Produzenten-Regisseur um mehr geht als um die Verfilmung eines linearen Science-Fiction-Plots. Die Zukunft ist keine versteckte Größe hinter dem Horizont. Aber sie unterwandert auch jedes ausgestaltbare Wissens-Design. Sie ist ein dem Kino zugängliches Gedankenbild, eine durch Vergangenheit und Gegenwart vermittelte labyrinthische Krümmung des Zeit- und Ereignisraums, die Verästelung von zweitausendundeiner Alternative.
Kubrick stellt die Antizipation der Zukunft her, indem er austestet, ob die Gegenwart dem intensiv-verfremdenden Blick der Zukunft standhält. Beim Blick auf die Spuren der Vergangenheit erweist sich die Gegenwart als eine unter anderen Zukunftsoptionen. Die Gegenwart in ihrer Extension zu verstehen, bedeutet die Entscheidung des Übergangs um der sich ausreifenden Alternativen willen maximal offen zu halten, bis der Übergang sich schließlich, wie von selbst, ereignet hat: Eyes - Wide - Cut. Mit Kubricks "2001" beginnt die gelebte Science-Fiction. In seiner labyrinthischen Filmsprache, seinem Netzwerk der Zeichen und Dimensionen, können Wissen und Poesie zu einem einzigen Ereignis verschmelzen, weil das Ungewöhnliche sei es als das Außerirdische, das Spirituelle, das Apokalyptische, das Entsetzliche in seiner Selbstverständlichkeit zur höchst durchdachten Sichtbarkeit wird, zur Lesbarkeit der Zukunft im Hier und Jetzt.
"2001" kehrt jetzt digital restauriert in die Kinos zurück, nachdem der Film von MGM über Turner seinen jüngsten Konzern-Verleih bei Warner, auch eine Medien-Odyssee, gefunden hat. Steven Spielberg wird mit dem verbliebenen Kubrick-Team um Executive Producer Jan Harlan das letzte große Vorhaben, Kubricks "A-I" ("Artificial Intelligence"), realisieren, ein Riesendrehbuch zu einem digitalen Pinocchio-Abenteuer. Bevor Kubrick das längst offiziell angekündigte Projekt "A-I" zugunsten der überschaubareren" Schnitzler-Adaption "Eyes Wide Shut" zurückstellte, äußerte er, Steven Spielberg sei der geeignete Regisseur für "A-I". Nur er? Nein. Man hätte ausführlich über eine Zusammenarbeit gesprochen, berichtet Jan Harlan. Ausgerechnet nach Kubricks Tod wird sie möglich. Wir werden sehen.