Künder des "Dritten Reichs"

Seite 2: "Der deutsche Sozialismus wird die Demokratie, den Liberalismus und Parlamentarismus ablösen."

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Der nächste Begriff unter Moellers Seziermesser ist "sozialistisch".

Marx, so Moeller, hielt Geschichte für vorausberechenbar und planbar, das ist sie aber nicht: "Die Menschheit ist immer ein Aufbruch gewesen, zu dem sie sich entschloß, ohne des Weges sicher zu sein, geschweige denn des Ziels."

Moeller kommt zu einer Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung: Es gibt ein Primat des Geistigen. Nicht das Sein bestimmt das Bewusstsein, sondern das Bewusstsein schafft sich ein Sein. Der Mensch macht die Geschichte, nicht die Geschichte den Menschen. Nicht die Wirtschaft, sondern die Politik bestimmt die Geschichte. Der Weltkrieg hat bewiesen, dass nicht die Klassen, sondern die Nationen die geschichtsmächtigen Kräfte sind.

Marx muss man Moellers Ausführungen nach aus seinem Judentum heraus verstehen: Er stand den Völkern Europas fremd gegenüber. Deshalb wandte er sich an das Proletariat, das ohne Vaterland zu sein schien und entnationalisierte es wirklich. Es stellt sich aber die Frage, ob nicht Sozialismus erst möglich ist, wenn es ein Sozialismus der Völker ist. Ein jedes Volk hat seinen eigenen Sozialismus.

Der Sozialismus verdrängt das Überbevölkerungsproblem, obwohl es die wichtigste soziale Frage ist. Und er verleugnet, dass Imperialismus eine logische Lösung für dieses Problem ist.

Mit dem Terminus "liberal" ist der Hauptfeind des konservativen Theoretikers benannt.

Die "westlerische" liberale Idee und deren Vertreter sind ihm besonders verhasst. Der Liberalismus ist eine moralische Erkrankung der Völker und verdirbt deren Charakter, wenn er seine Herrschaft in einer Nation antritt. Opportunismus und Prinzipienlosigkeit zeichnen ihn aus, während er heuchlerisch von Werten redet: "Der Liberalismus ist die Freiheit, keine Gesinnung zu haben und gleichwohl zu behaupten, daß eben dies Gesinnung ist."

Dabei ist liberal nicht nur die ursprünglich so benannte politische Partei. Alle Parteien, sogar die Konservativen, sind von dieser Krankheit befallen.

Dem Liberalismus geht es Moeller zufolge eigentlich gar nicht um Freiheit, sondern um Macht. Freiheit ist für Moeller nämlich in erster Linie die Freiheit des Volkes. Und das bleibt auch in liberalen Ländern bevormundet. Der Liberalismus dort bedeutet dem Theoretiker der Konservativen Revolution nach nur die Freiheit einer kleiner Clique Herrschender, rücksichtslos ihre Interessen durchzusetzen.

Beispiele für die Werteheuchelei des Liberalismus sind für Moeller der Weltkrieg und seine Folgen: Im Versailler Vertrag ist von der Rede vom Völkerfrieden und der Völkergerechtigkeit nichts geblieben.

Den Liberalismus sieht er Ausdruck einer Gesellschaft, die sich aus den minderwertigen Bestandteilen des Volkes zusammensetzt. Als Zersetzung, die Kulturen untergraben, Religionen vernichtet, Vaterländer zerstört und zur Selbstauflösung der Menschheit geführt hat.

Deutschland, so Moeller, lief dem Liberalismus nach. Es wollte liberaler sein als alle Liberalen. Und in seiner Naivität und Gutgläubigkeit hat es sich zum Opfer ausländischer Politik gemacht.

Der deutschen Jugend traut Moeller zu, den Liberalismus zu durchschauen: In allen Parteien, Kreisen und Klassen wächst ihre Distanz zu ihm. Es gibt keine liberale Jugend in Deutschland, nur eine revolutionäre und eine konservative. Für die formale Demokratie hat die Jugend nur noch Verachtung übrig. Revolutionäre und konservative Jugend nähern sich an, in ihrer Gegnerschaft zu Liberalismus und Parlamentarismus. So bildet sich eine neue Front, in der sich Rechte und Linke verbinden.

Moeller wendet sich nun dem Begriff "demokratisch" zu.

Seine knappe Definition lautet: "Demokratie ist Anteilnahme eines Volkes an seinem Schicksal". Das meint aber nicht die formale Demokratie westlicher Prägung, sondern eine organische, "deutsche" Demokratie im Sinne Moellers.

Seiner Wahrnehmung nach hat kein Begriff im deutschen Volk so abgewirtschaftet wie "Demokratie" (Zu ergänzen wäre hier formale, liberale Demokratie). Trotzdem unterstützen die Massen vorerst die Republik. Es sind immer Führer, Einzelne, die dem Volk die Richtung weisen. Das Volk sieht jedoch diese Führer noch nicht. Herzensdemokraten sind aber in der Republik nur wenige - eine dünne Schicht Demokratiegewinnler und Opportunisten, die Krieg und Revolution nach oben gespült hat.

Im Parlamentarismus ändert sich durch Wahlen gar nichts. Der rein quantitative Wahlvorgang einer atomisierten Menge bringt nur die Demagogen ans Ruder. Er führt zur Vermassung:

"Demokratie ist ein liberales Chamäleon, ein Moloch, der Massen und Klassen und Stände und alle Unterschiede der Menschen frisst."

Moeller stellt sich die Frage echter Demokratie. Die Deutsche waren seiner Vorstellung nach ursprünglich ein demokratisches Volk, Diese Demokratie ging aber nicht auf einem Vertrag zurück, sondern auf das Blut. Demokratie und Volksgemeinschaft gehören zusammen und zur Demokratie gehört nach Moeller ganz wesentlich der Führer. Als Ausdruck der ursprünglichen deutschen Demokratie sieht Moeller die Volksversammlung. Im Mittelalter konstatiert er eine gegliederte, körperschaftliche und organische Gesellschaft.

Der Absolutismus zerschnitt diese Verbindung zwischen Volk und Herrschaft. Im Bismarckreich wurde leider kein Ständestaat ausgebildet, sondern der Parlamentarismus nachgeahmt, die Trennung der Nationen in Parteien zum Prinzip erhoben.

Doch Parlamentarismus ist nicht gleich Demokratie. Wirkliche Demokratie überwindet nach Moellers Vorstellung den Parlamentarismus. Sie braucht eine Volksvertretung, die sich durch einen organischen, nicht mehr mechanischen Aufbau in ständiger Beziehung mit dem Volk befindet. Ein moderner Ständestaat könnte korporative und syndikalistische Vorstellungen einbeziehen und von der Linken auch den Rätegedanken übernehmen.

Als nächstes nimmt sich Moeller des Begriffs "proletarisch" an.

Noch hängt das Proletariat an den marxistischen Dogmen. Es wird aber zunehmend irre an Revolution und Demokratie. Es sieht die Folgen der Revolution und verwahrt sich dagegen, dass es die Schulden von Versailles abarbeiten soll. Das Proletariat kann sich selbst nicht führen. Es braucht Führer außerhalb und oberhalb seiner selbst.

Dem Proletariat wurde der Sozialismus versprochen. Er wurde aber nicht verwirklicht, weil es dem Proletariat nicht gegeben ist, die gestaltende Funktion des Unternehmers zu übernehmen.

Proletarier sein ist zuerst eine Frage des Bewusstseins. Proletarier ist, wer es sein will. Das Proletariat kann zu einer Stellung in der Gesellschaft nur kommen, wenn es sich nicht mehr als Klasse, sondern als Volksteil begreift, nicht mehr als Proletariat, sondern als Arbeiterschaft.

Moeller glaubt an eine Beziehung zwischen Nationalismus und Kommunismus. Beide bekämpfen den Liberalismus. Der Nationalist steht dem einfachen Mann mit einer gewissen Sympathie gegenüber. Ob Nationalismus und Kommunismus zusammengehen können, hängt am Kommunismus. Ein Hindernis ist dessen Internationalismus und Auslandsfixierung: Er versteht nicht, dass der Kampf gegen den Ententekapitalismus über die Nation führt.

Der deutschen Arbeiterschaft wurde gesagt, sie besitze kein Vaterland. Sie muss wissen, dass sie heute vielleicht nichts anderes mehr besitzt. Die Misshandlungen durch die Entente peitschen dem Proletariat die Einsicht ein, dass es nicht nur unterdrückte Klassen, sondern auch unterdrückte Nationen gibt und das deutsche Volk das unterdrückteste ist. Der Deutsche Kommunismus beginnt, zur Nation zu erwachen. Auch die Weltrevolution kann nur national verwirklicht werden. Es wird aber keine Weltrevolution sein, wie Marx sie sah, sondern wie sie Nietzsche vorschwebte.

Danach wendet sich Moeller dem Begriff "reaktionär" zu.

Reaktionäre und Konservative werden oft verwechselt. Dabei unterscheidet sich der Reaktionär deutlich vom Konservativen. Erstere Richtung ist eine Verfallsform von letzterer.

Der konservative Mensch lebt im Bewusstsein der Ewigkeit, die alle Zeitlichkeit umschließt. Aber er sieht die Gegenwart nach der Seite der Zukunft geöffnet. Der reaktionäre Mensch bezieht sich nur auf sein ideales Gestern. Der Reaktionär lehnt die Revolution ab. Der Konservative lehnt sie ab, sieht aber, dass sie Kräfte freisetzt, die, gegen sie, Neues, Positives schaffen können. Reaktionär ist, wer die Welt vor 1914 immer noch für schön und groß hält. Konservativ ist, wer sieht, dass sie abscheulich war. Er sieht den Dilletantismus der Herrschaft, die Erstarrung der Gesellschaft, das aufgeblasene Selbstbewusstsein, das Traditionsgetue bei einer gleichzeitigen rein äußerlichen Fortschrittlichkeit. Die Politik war zerfahren und entschlusslos.

Der Reaktionär blockiert den Weg des Proletariats zur Nation. Er weiß nicht, dass der Freiheitskrieg, den das Proletariat als unterdrücktester Teil einer unterdrückten Nation führt, ein Kampf gegen die Weltbourgeoisie ist, der Deutschland geopfert werden soll.

Als letzten Begriff verhandelt Moeller den Terminus "konservativ".

Der Liberalismus lebt von Beständen, die andere geschaffen haben. Er ist der Nutznießer eines Konservativismus, der voranging. Der revolutionäre Mensch denkt mit dem Liberalen dem Fortschritt entgegen, nach dem alles Leben auf Entwicklung beruht. Das ist aber ein Wahn.

Für den konservativen Menschen gibt es nicht Entwicklung, sondern nur Entstehung. Werte sind nicht das Ergebnis eines Fortschritts, sondern von Anfang an. Es gibt höchstens einen Verfall. Fortschritt ist Rückschritt.

Der konservative Mensch denkt vom Menschen gleichzeitig sehr hoch und sehr niedrig. In Gemeinschaft kann der Mensch viel erreichen. Ist sein Ich freigesetzt und bricht sich seine Begierde Bahn, ist das Dasein bald herabgewürdigt.

Der Konservative ist also Menschenkenner. Alle seine politischen Forderungen nehmen von hier seinen Ausgang: Sicherung der Nation, Erhaltung der Familie, Bekenntnis zur Monarchie, Ordnung des Lebens in Disziplin und Schutz des Lebens durch Autorität, so wie die Erkenntnis ständischer, körperschaftlicher, selbstverwaltungsmäßiger Verfassungsgliederung.

Auch die Konservativen tragen eine Mitschuld am Zusammenbruch des Reiches: Eine Schuld ist, dass sie das Proletariat nicht an die Nation herangeführt haben. Die Konservativen haben es versäumt, sich aus ihrer überlegenen Geistigkeit im Krieg den Liberalen entgegenzustellen. So wurden die Kriegsbemühungen von Liberalen und Linken untergraben. Der Konservativismus hat weiterhin Idee und Tradition seiner Richtung verwechselt, ist also ebenfalls erstarrt.

Eigentlich ist der Konservative zugleich Erhalter und Empörer, Bewahrer und Schöpfer. Die Formel ist: "Konservativ ist es Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt."

Das letzte Kapitel des Buches trägt denselben Titel wie das gesamte Werk: "Das Dritte Reich". Doch hier wird Moeller nicht konkreter, was die Ausgestaltung eines solchen Reiches angeht. Der Begriff des Drittes Reiches bleibt im mystischen Dunkel. Er hat einen utopischen Charakter:

"Der deutsche Nationalismus ist Streiter für das Endreich. Es ist immer verheißen. Und es wird niemals erfüllt. Es ist das Vollkommene, das nur im Unvollkommenen erreicht wird."

Das macht wohl auch teilweise den Erfolg dieses Begriffes aus. Jeder - gerade auch der Nationalsozialismus - konnte in den Begriff hineinlesen und hineinlegen, was er wollte. Der Gewalttheoretiker George Sorel hat auf die Kraft des Mythos in der politischen Auseinandersetzung hingewiesen.

Teilweise kann man aus dem Buch mit seiner polemischen Beschreibung des Status Quo der Weimarer Republik indirekt herauslesen, was Moeller in etwa vorschwebt. Aus dem, was er nicht will, kann man erkennen, was er will. Auch hat er im Rest des Buches doch einiges an Andeutungen gemacht, wie er sich eine gute Verfassung von Gesellschaft und Staat vorstellt:

Das Dritte Reich soll danach antiparlamentarisch, antiliberal, antimarxistisch sein, eine "organische", körperschaftlich-ständische "germanische Demokratie" und ein nationaler "Sozialismus" autoritären, führerorientierten Zuschnitts. Dieses Dritte Reich soll Österreich und weitere "unerlöste" deutsche Gebiete außerhalb Weimar-Deutschlands enthalten. Es soll sich eine hegemoniale Machtstellung in Europa erkämpfen, durch geistige Ausstrahlung, aber durchaus auch mit imperialistischen Mitteln.

Moeller van den Bruck gilt vielen als Wegbereiter des Nationalsozialismus. Bei allen Schnittmengen, die Moellers Weltanschauung zur Nazi-Ideologie aufweist, wie die Liberalismuskritik und die Ablehnung der Weimarer Republik, bleiben aber doch deutliche Unterschiede. Ein Unterschied ist die Ostorienterung. Moeller war als Dostojewski-Herausgeber ein Verehrer russischer Literatur und Mystik. Er ersehnte sich ein Bündnis der "jungen Völker" Deutschland und Russland. Auch die Rassenfrage, die Moeller sowieso nur am Rande interessiert hat, unterscheidet ihn von den Nationalsozialisten.

Werte schaffen für Moeller nicht Rassereinheit, sondern Rassenmischung. Er lehnte die Idee der biologischen Überlegenheit bestimmter Rassen ab. Überhaupt stand für ihn die Kultur über der Rasse. Ein weiterer Unterschied ist sein Wille, mit der Linken zu einer Einheitsfront gegen "Westlertum" und Ententekapitalismus zu kommen. Auch tendenziell demokratische, auf dem Stände- und Rätegedanken aufbauende Elemente, die es in Moeller van den Brucks Weltanschauung neben autoritären Vorstellungen gibt, lassen sich mit dem Gesellschaftsbild des Nationalsozialismus eher schlecht vereinen.

Moellers früher Tod hat seine Wirksamkeit nicht behindert. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg trafen und treffen seine Ideen auf Interesse. Armin Mohler, der Chronist der Konservativen Revolution, war sehr umtriebig, was die Propagierung Moeller'scher Gedanken angeht. Mit einer Studie über den konservativen Ideologen, die im neurechten Regin-Verlag erschienen ist, versucht Sebastian Maaß, ein heutiges Publikum für dessen Ideen zu interessieren. Der wichtigste "Meisterdenker der Neuen Rechten", Alain de Benoist, verwendet in seiner Polemik gegen den Liberalismus regelmäßig Argumente seines Theorie-Vorgängers. Er hat auch einen Sammelband mit Textauszügen aus Moellers Werk in französischer Sprache vorgelegt. So führt er den Kampf gegen den Liberalismus weiter.

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