Künstler raus!
Klage gegen Kunst- und Wissenschaftsnetzwerk Leonardo.
Schon wieder versucht ein großes Wirtschaftsunternehmen eine Kunstorganisation aus dem Netz zu verdrängen. Das Kunst- und Wissenschaftsnetzwerk Leonardo sieht sich von einer Klage wegen Markennamenverletzung bedroht. Ein französisches Finanzunternehmen will der 30 Jahre alten Künstlervereinigung untersagen, das Wort Leonardo auf ihrer Website oder für irgendein anderes Produkt oder eine Dienstleistung zu verwenden und beansprucht Schadenersatz in Höhe von über einer Million Dollar.
Nach dem Fall eToys gegen ETOY folgt damit innerhalb kürzester Zeit ein weiterer Rechtsstreit um Markennamenrechte im Internet. Die für die Kunstwelt schockierende Botschaft lautet: Künstler raus! Wiederum fühlt sich ein kommerzielles Unternehmen in seinen Interessen bedroht und antwortet mit einer Klage, die, wenn im Sinne des Klägers entschieden wird, das Ende für das Künstlernetzwerk bedeuten könnte. Ist die ETOY-Klage schon absurd genug, so erscheint der Fall Leonardo gar nicht mehr witzig. Denn diesmal handelt es sich nicht um eine provokante Netzkunstgang sondern um ein seit Jahrzehnten etabliertes Netzwerk mit über 3000 zum Teil prominenten Mitgliedern.
Leonardo/ISAST und Association Leonardo sind nichtkommerzielle Kunstorganisationen, die ein weltweites Netzwerk von Künstlern, Wissenschaftlern und Akademikern vertreten. Seit 1968 publiziert das Netzwerk die akademische Publikation Leonardo, die heute von MIT Press herausgegeben wird. Die Organisation vergibt Preise, organisiert Veranstaltungen und Konferenzen, gibt das Leonardo Musik-Journal heraus und betreibt verschiedene Websites, wie z.B. den Leonardo Electronic Arts Almanach (Nutzer i.d.: lea; password: animich). Das Netzwerk war in den sechziger Jahren von Frank Malina gegründet worden, als eines der ersten bahnbrechenden Projekte, das Kunst, Wissenschaft und neue Technologien zu verbinden versuchte. Publikationen von Leonardo erscheinen seit 1988 in verschiedenen Formen im Internet.
Die Klage wurde vom Unternehmen Transasia Corporation und Nebenklägern eingebracht, welche behauptet, kürzlich die Rechte für die Handelsmarken Leonardo, Leonardo Invest, Leonardo Finances, Leonardo Partners und Leonardo Experts eingetragen zu haben. Die vor einem Gericht in Nanterre, Frankreich, eingebrachte Klage von Transasia stützt sich darauf, dass bei einer Abfrage von Suchmaschinen mit dem Wort Leonardo nicht nur die eigenen Sites sondern auch Websites der Kunstorganisation Leonardo als Antwort ausgegeben werden. Die Firma behauptet, 50% ihrer Einnahmen über Internet-Marketing zu erzielen. Durch das ungünstige Ranking bei den Suchmaschinen würden Gewinneinbußen von 20% verursacht. Transasia will deshalb der Kunstorganisation die Benutzung des Wortes Leonardo auf allen Websites untersagen und beansprucht über eine Million Dollar Schadenersatz.
Als erstes Ergebnis kam es bereits zu einer Hausdurchsuchung im eingetragenen Hauptsitz des französischen Zweiges der Organisation Association Leonardo - die Wohnung der über 80 Jahre alten Witwe des Gründers in einem Vorort von Paris. Die Witwe und der achtjährige Enkelsohn sahen sich mit einer Truppe von 8 Polizeibeamten und einem Schlosser konfrontiert. Die Beamten hatten den Auftrag, alle Papiere, auf denen das Wort Leonardo erscheint, zu kopieren. In dem Haus befinden sich allerdings Teile des umfangreichen frühen Leonardo Archivs, welches Dachboden, Keller und Garage füllt und das zu kopieren wohl einige Zeit beanspruchen würde. Sarkastisch kommentierte Roger Malina, Vorsitzender und Sohn des Gründers, dass die Polizei das Archiv leider nicht entsorgt habe, nachdem er, sein Bruder und ihre Mutter seit Jahren keine Lösung für die Lagerung oder Entsorgung der Unterlagen gefunden hätten.
Die in Frankreich und San Francisco, USA, registrierten Leonardo-Organisationen sammeln nun Spenden für einen Leonardo-Rechtsfonds, um sich mit allen zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln zur Wehr zu setzen. Internet-Aktionismus im Stile von Toywar ist von der alteingesessenen Leonardo-Organisation nicht zu erwarten, weil damit höchstens die seriöse Reputation beeinträchtigt werden könnte.