Kulturrevolution auch mit Faschisten?
Einsatz für gute Lebensmittel und gegen die allgegenwärtige Beschleunigung - über die weltweite Bewegung Slow Food kommt nun ein Film ins Kino
Das Bemühen um ökologisch und fair hergestellte Lebensmittel, die möglichst aus der Region kommen, ist Menschen verschiedener politischer Ausrichtung gemeinsam. Ebenso der Kampf für Entschleunigung. Emblematisch ist dabei ein Name: Slow Food. Die weltweit erfolgreiche Bewegung ist passenderweise so sehr um Überparteilichkeit bemüht, dass sich Fragen zu ihrer Ausrichtung und ihren Bündnispartnern stellen. Die Slow Food Story umgeht diese Fragen zwar fast vollständig, ist aber eine interessante filmische Einführung in die italienischen Ursprünge der Bewegung und ihre weltweiten Aktivitäten.
Vergangene Woche war es der Papst, der Carlo Petrini seine Solidarität aussprach. Seit langem schon erfährt der 64-jährige Italiener auch außerhalb Italiens Unterstützung aus höchsten Kreisen. Im Film "Slow Food Story" ist er etwa an der Seite von Michail Gorbatschow zu sehen, und Prinz Charles gibt sich in einer Rede auf einem von Petrini angestoßenen Kongress als Anhänger seiner Bewegung zu erkennen.
Petrini ist Weltvorsitzender von Slow Food, einem Netzwerk für gute Lebensmittel und Respekt vor ihren Produktionsverhältnissen, für die Rettung kulinarischer Traditionen und Genüsse, für Entschleunigung und das Stellen der Wachstumsfrage. Da vor allem Petrini die Bewegung Ende der 1980er anstieß, da er ihr Ideengeber blieb und zentrale Einrichtungen auf seiner Initiative beruhen, ist es möglich, die Geschichte von Slow Food als seine Geschichte zu erzählen. Das macht "Slow Food Story".
Keine Revolution ohne gutes Essen
Der Film zeigt Petrini als umtriebigen Organisator und Aktivisten schon in Jugendjahren. Später wird er für die "Proletarische Einheitspartei" Stadtrat in seiner Heimatstadt Bra in der Region Piemont – mit einem Stimmenanteil, der mehr als fünfmal so hoch ist wie alles, was die Partei woanders erreicht. Daraufhin betreibt er einen freien (und somit illegalen) Radiosender mit.
Ende der 1970er wendet er sich den von Industrialisierung und Landflucht stark dezimierten Landwirten zu und lässt lokale kulturelle Traditionen wiederaufleben. Auf der Grundlage seiner Erfahrung mit der Vermarktung lokaler Spezialitäten und mit ersten kulinarischen Führern steigt Petrini Mitte der 1980er in den Lebensmittelaktivismus ein, nachdem mit Methanol vermischter Wein viele Menschen getötet und den Absatz von italienischem Wein auf ein Rekordtief gedrückt hat.
Die kulinarischen und geselligen Veranstaltungen waren eine wohltuende Abwechslung vom üblichen politischen Kampf, erinnert sich der heutige Vizevorsitzende von Slow Food Italien im Film. Doch Petrini und Co. machen auch Ärger: Sie besuchen Kongresse der Kommunistischen Partei, um das dortige Essen zu kritisieren. Kurz darauf erfindet ein Mitstreiter eine regelmäßige Feinschmeckerbeilage für die kommunistische Zeitung Il Manifesto, die reißenden Absatz findet. In Abwandlung eines Satzes der US-amerikanischen Anarchistin Emma Goldman ließe sich sagen, dass das Motto von Petrinis Gruppe war: Wenn ich dabei nicht gut essen kann, ist es nicht meine Revolution.
Das Milieu, aus dem Ende der 1980er Slow Food hervorgeht, scheint also eindeutig zu sein. Die Bewegung schaffte aber erstaunliche Grenzüberwindungen. "Es ist nicht einfach zu beschreiben, was passiert ist", sagt Stefano Sardo. "Jeder weiß, dass Slow Food aus einem linken Umfeld kommt. Aber aus vielen Gründen haben sie einen Zugang zu Leuten von den Rechten gefunden." Sardo lebt in Rom, stammt aber ebenfalls aus Bra. Er arbeitete selbst schon für Slow Food und ist ihr sogar familiär verbunden. Nun hat der hauptberufliche Drehbuchschreiber seinen ersten Dokumentarfilm über die Bewegung gemacht: die 72-minütige Slow Food Story.
Slow Food ist weltweit in angeblich 150 Ländern vertreten. Die Mitglieder schließen sich in lokalen oder regionalen Gruppen zusammen, die "Convivien" genannt werden, was den Gemeinschafts- und Geselligkeitsaspekt betont. In Deutschland ist Slow Food ein Verein mit nach eigenen Angaben rund 13 000 Mitgliedern und über 80 Convivien. Die größte lokale Gruppe ist in München, berichtet die Deutschlandvorsitzende Ursula Hudson. Das größte Convivium sei jedoch ein regionales: Mainfranken-Hohenlohe.
Die Zahl der Bauern und "Lebensmittelhandwerker" nehme in Slow Food zu. "Slow Food ist in Deutschland als gastrophile und italophile Bewegung entstanden, hat sich aber sehr verändert. Das zeigt sich daran, dass wir eine wachsende Mitgliedschaft unter jungen Erwachsenen haben, die nicht die Mittel haben, die das Klischee rechtfertigen würden, Slow Food bestehe nur aus Mittelklasse und "Zeit"-Lesern", erklärt die Vorsitzende. Hudson bleibt der für Slow Food typischen parteipolitischen Zurückhaltung treu: Trotz ihrer massiven Kritik an "industrieller Tierhaltung und Lebensmittelproduktion, die zum Schaden der Tiere, der Umwelt und am Ende der Volksgesundheit sind", wollte sie im vergangenen Bundestagswahlkampf nicht zur Abwahl der Merkel-Regierung aufrufen.
Ein Kulturwandel, der auch im Sinne der Konservativen ist
Darin erwähnt er kurz diese politische Ambivalenz, die in Italien auch Kritik auf sich zieht. Demnach war ein prominenter und wichtiger Unterstützer von Terra Madre, dem weltweiten, von Slow Food angestoßenen Netzwerk von Kleinproduzenten, der damalige Landwirtschaftsminister (und bis vor kurzem Bürgermeister von Rom) Gianni Alemanno von der postfaschistischen Partei MSI. "Der Präsident der Region Piemont war von Berlusconis Partei, und er glaubte als erster an den "Salone del Gusto", Terra Madre und die Universität", fügt Sardo hinzu.
Die Lebensmittelmesse "Salone del Gusto" und die (angeblich weltweit einzige) "Universität der gastronomischen Wissenschaften" sind zwei erfolgreiche Großprojekte der Bewegung. Die Universität wurde 2003 in Zusammenarbeit von Slow Food und der Region Piemont gegründet und ist ein staatlich anerkanntes Ausbildungs- und Forschungszentrum, das sich interdisziplinär mit Ernährung und Lebensmittelproduktion beschäftigt.
Slow Food habe mit jedem Landwirtschaftsminister Italiens versucht zusammenzuarbeiten, sagt der 1972 geborene Regisseur: "Vielleicht waren sie sogar erfolgreicher bei Leuten, die anscheinend nichts mit ihnen zu tun hatten. Paolo de Castro, ein Minister unter Prodi, war viel mehr an den großen Brüsseler Lobbys ausgerichtet." Gegen diese Lobbys kämpft Slow Food auf überstaatlicher Ebene, um Kleinproduzenten zu schützen. "In Italien hat Slow Food eine neue kulturelle Umgebung für Essen geschaffen, sie haben die Wahrnehmung von Essen verändert", hält Sardo fest. Das Land habe so seine Kleinproduzenten und lokales Essen wiederentdeckt. Die von Slow Food seit langem veröffentlichten Wein- und Osteria-Führer waren kommerziell schon immer sehr erfolgreich.
Gutes Essen in unpolitischem Rahmen?
Leider erörtert der Film nicht die Frage nach dem Verhältnis von Slow Food und Weltanschauung. Gegen mangelhafte Nahrungsmittel und ökologische Verwerfungen zu kämpfen, ist offensichtlich eine Notwendigkeit, unabhängig von politischen Ideologien. Dass das Faschisten gleichermaßen wie Antifaschisten tun, kann nicht verwundern. Wir sitzen alle im selben Boot (sofern wir nicht in der Parallelwelt der Reichen leben). Ist es also eine gute Option, sich gemeinsam solchen grundsätzlichen und drängenden Problemen zuzuwenden und ideologische Grenzen, soweit es nur geht (es wird nicht in allen Fällen gehen) zu überwinden? Oder stärkt eine Zusammenarbeit mit faschistoiden Berlusconianern und ähnlichen Rattenfängern deren Potenzial, mit falschen Auspinselungen einer besseren Vergangenheit die Massen für sich zu gewinnen?
Ein Großteil des Marxismus (und sein heute mächtigster Abkömmling, die Sozialdemokratie) hat sich bereits durch Technik-, Fortschritts- und Staatsgläubigkeit blamiert. Dass der (damalige) Kommunist Petrini im besten Sinne des Wortes konservative Initiativen ergriff, die vorstaatliche lokale Gemeinschaft betonte und hedonistisch-gesellige Veranstaltungen organisierte, ist also löblich. Nicht zu leugnen ist auch, dass Slow Food erfolgreich war und ist – und nicht nur in finanzieller Hinsicht oder im Sinne von unpolitischen Feinschmeckern. Aber wie weit darf der Tanz mit dem Teufel gehen?
Zur Unterstützung durch den Faschismusapologeten Gianni Alemanno sagt Stefano Sardo: "In der faschistischen Kultur ging es viel um landwirtschaftlichen Stolz. Das macht also Sinn. Aber die Konsequenz seiner Solidarität mit der Idee Slow Food ging viel weiter: Terra Madre brachte 5000 Landwirte aus der ganzen Welt in Italien zusammen, viele davon aus Afrika. Petrini war also fähig, diesen Minister zu verführen."
Da kommt also ein bunter Haufen aus aller Welt zusammen, unterstützt von einem Minister einer postfaschistischen Partei. Ist das ein Erfolg, weil das möglicherweise rassistische Denkschema des Ministers sprengend? Nein. Der Minister braucht mit der multi-ethnischen Versammlung kein Problem zu haben – die Fremdlinge gehen ja nach ein paar Tagen wieder zurück. Die so genannte Neue Rechte hat sich seit Jahrzehnten dem "Völkerpluralismus" verschrieben, der voneinander entlang vermeintlich kultureller Grenzen getrennte Kollektive vorsieht. Sie hat kein Problem damit, kulturelle Eigenheiten zu achten, betont diese vielmehr gerne. Solange die "Völker" sich nicht mischen, ist es doch schön, wenn sie alle für sich ihre kulinarischen Traditionen erhalten. Nichts gegen eine ökologisch-kulinarische Bewegung – aber solche Denkschemata sollte sie bekämpfen.