Kurdistan: Zusammenrücken im Kampf gegen IS
Der von den USA ausgerufene Krieg gegen IS hat bei den Kurden zu neuen Bündnissen geführt
Die Mutter des von der Terrororganisation "Islamischer Staat" entführten und später ermordeten US-Journalisten James Foley hat der Regierung ihres Landes schwere Vorwürfe gemacht. Nach ihrer Version hat die Regierung den Fall nicht besonders ernst genommen und die Familie versucht davon abzuhalten, Lösegeld für ihren Sohn zu sammeln.
Doch nun wird alles anders, könnte man meinen, wenn man die vollmundigen Ankündigungen eines Krieges gegen IS liest. Doch von den Kräften vor Ort ist auffällig wenig die Rede. Einzige Ausnahme ist die kurdische Autonomieregion, die nun mit Waffen beliefert und mit Bundeswehrausbildern beglückt wird. Die deutschen Soldaten sollen die Peschmerga der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) trainieren, eben jene Truppe, die sich Anfang August sich aus der Jesiden-Stadt Schengal zurückgezogen hatte, was daraufhin ein Sprecher der dortigen Bevölkerung als eine Einladung zum Massaker bezeichnete. Womit er leider nur recht behalten sollte.
Lässt man einmal die geopolitischen Ambitionen und Interessen außer Acht, die mit der neuen westlichen Initiative verbunden sind, so bleibt natürlich das unbeschreibliche menschliche Leid, das der IS-Terror über Hunderttausende von Menschen gebracht hat und gegen das etwas unternommen werden muss. Doch nach den Erfahrungen in Afghanistan, Libyen und dem Irak fragt sich, was bei einer erneuten Intervention europäischer und US-amerikanischer Truppen herauskommen kann, die mit einiger Sicherheit neue Feindseligkeiten schüren und zivile Opfer kosten wird. Und vor allem: Wessen und welche Interessen werden verfolgt und welche Kräfte werden vor Ort mittelbar oder unmittelbar gestärkt?
Syrische Kurden gegen IS
Eine ausländische Intervention könne jedenfalls nicht die Popularität brechen, die der IS bei einem Teil der sunnitischen Moslems besitze, ist sich Dilar Dirik sicher, eine kurdische Kommentatorin auf Al-Dschasira, die ansonsten beschreibt, wie kurdische Milizen in Syrien seit fast zwei Jahren ohne Unterstützung aus Südkurdistan gegen IS gekämpft haben. Die Menschen in der Region müssten sich selbst befreien.
Im syrischen Teil Kurdistan, in Westkurdistan oder Rojava, wie die Kurden diesen Landesteil nennen, ist dies zum Teil schon gelungen, nachdem die Regierungstruppen dort bei Beginn des Bürgerkrieges abzogen. Dort hat die mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK verbundene Partei der Demokratischen Union (PYD) eine Selbstverwaltung und Milizen aufgebaut, die bisher zumindest einen Teil der kurdischen Gebiete im Nordosten des Landes und zwei Enklaven an der türkischen Grenze unweit von Aleppo gegen IS verteidigen konnten. Besonders bemerkenswert für die Region ist, dass in diesen Kämpfen auf der kurdischen Seite Frauenbataillone eine wichtige Rolle spielen. Diese beteiligten sich im August unter anderem auch an der Rettung der Jesiden aus den Schengal-Bergen.
Türkei hat die Versorgung der syrisch-kurdischen Gebiete blockert
Der Türkei, deren Grenzen für IS und deren Rekruten bisher offen standen, ist so viel kurdisches Selbstbewusstsein ein Dorn im Auge. Entsprechend war die Versorgung der syrisch-kurdischen Gebiete über die Grenze hinweg bisher äußerst schwierig. In den letzten Wochen sei der Widerstand der türkischen Behörden aber geringer geworden, berichtete letzten Freitag in Berlin Martin Glasenapp von Medico International, der die Region zuletzt im August im Auftrag der in Frankfurt ansässigen Hilfsorganisation besucht hatte.
Auch in Erbil, der Hauptstadt der irakisch-kurdischen Autonomieregion hatte Ankara seinen Einfluss entsprechend geltend gemacht, um die syrischen Kurden zu isolieren. Noch im April hatten Peschmerga der irakisch-kurdischen KDP an der Grenze auf protestierende Kurden aus Syrien geschossen, berichtete seinerzeit das Nachrichtenportal Your Middle East.
Der Protest hatte sich gegen einen Graben gerichtet, der im Auftrag der Kurdischen Autonomieregion an der Grenze zu Syrien gezogen wurde und die Lieferung von dringend benötigten Ausrüstungen und Lebensmitteln in die benachbarten kurdisch-syrischen Gebiete unterbinden sollte. In den türkischen Gefängnissen seien seinerzeit tausende kurdische Gefangene in den Hungerstreik getreten, um gegen die Aktionen der Autonomieregierung im irakischen Kurdistan zu protestieren.
In der Autonomieregion war der Graben offensichtlich ebenfalls heftig umstritten. An den Grenzprotesten hatte sich auch die Patriotische Union Kurdistans (PUK) beteiligt, die seit rund zwei Jahrzehnten gemeinsam mit der KDP die Autonomieregion regiert.
Die Fronten sind in Bewegung geraten
Sowohl zwischen den diversen kurdischen Kräften als auch in Syrien bahnen sich neue Allianzen, berichtet der kurdische Nachrichtendienst Rudaw, der in der kurdischen Autonomieregion im Irak angesiedelt ist. In der Region Schengal, die zum irakischen Teil Kurdistans gehört - die dort ansässigen Jesiden sind eine kurdische Glaubensgemeinschaft - haben sich die KDP-Peschmergas mit den Milizen der PYD auf die Zusammenarbeit der Rückeroberung der Stadt und der umliegenden Dörfer geeinigt. Außerdem hat eine Delegation der in der Türkei aktiven und bei Wahlen in den dortigen kurdischen Gebieten sehr erfolgreichen Kurdischen Demokratischen Volkspartei (HDP) Gespräche mit der KDP, der PUK und der PKK geführt, um ein gemeinsames Vorgehen gegen IS zu erreichen.
Derweil konnte die PYD in Syrien Mitte letzter Woche mit insgesamt sieben oppositionellen Milizen ein Bündnis gegen den IS schmieden. Das ist auch insofern bemerkenswert, als es in der Vergangenheit oft zu Spannungen und auch zu bewaffneten Zusammenstößen gekommen war, weil sich einerseits die PYD zunächst nicht als Teil des Aufstands gegen Assad gesehen hatte und andererseits viele arabische Nationalisten Schwierigkeiten haben, kurdische Autonomiebestrebungen zu akzeptieren. Nun will das von einigen Euphrat-Vulkan genannte neue Bündnis ein gemeinsames Kommando für den Kampf gegen IS bilden.