Kursker Offensive der Ukraine: Kratzen am "russischen Narrativ"

Präsident Selenskyj vor F-16

Präsident Selenskyj vor F-16. Bild: photowalking, Shutterstock.com

Was hat der Vorstoß gebracht? Die Chefs vom CIA und MI6 gaben eine Einschätzung. Mit den Zielen von 2022 hat die nur noch wenig zu tun.

In einem gemeinsamen Auftritt in London haben sich die Chefs der Geheimdienste CIA und MI6, Bill Burns und Richard Moore, erstmals zu den Auswirkungen der jüngsten ukrainischen Offensive im russischen Oblast Kursk Stellung genommen. Beide versuchten, die Effektivität des gewagten Manövers zu betonen.

Der Vorstoß auf russisches Territorium habe nicht nur die Moral der Ukraine gestärkt und Schwächen Russlands aufgezeigt. Auch seien innerhalb der russischen Elite Fragen über den weiteren Verlauf des Krieges aufgeworfen worden, so Burns

Moore ergänzte, dass es eine typisch kühne und gewagte Aktion der Ukrainer gewesen sei, um das Blatt zu wenden, es jedoch zu früh sei, um die Dauerhaftigkeit der Kontrolle über das eroberte Gebiet zu beurteilen. Beide betonten, dass diese Aktion den Krieg "den gewöhnlichen Russen nähergebracht" habe.

Burns, ein Karrierediplomat, der nun als Spion arbeitet, und Moore, ein Karrieregeheimdienstler mit diplomatischer Vergangenheit, beide Absolventen der Oxford University, haben parallele berufliche Laufbahnen in Bezug auf Russland, den Nahen Osten und Asien.

Sie denken, dass man trotz Putins fester Machtbasis nicht von einer unbedingten Stabilität iun Russland ausgehen sollte. Vor allem die Kursker Offensive habe den Krieg "nach Hause zu den gewöhnlichen Russen gebracht".

Geheimdienstler sehen Putin als "Rowdy"

Die beiden gaben auch zu bedenken, dass man Putins Drohungen mit nuklearer Eskalation ernst nehmen, aber sich nicht unnötig einschüchtern lassen sollte. Burns beschrieb Putin als einen "Rowdy", der weiterhin mit dem Säbel rasseln werde.

Auf die Frage, ob der Iran ballistische Raketen an Russland geliefert habe, sagte Burns, dass dies eine "dramatische Eskalation" darstellen würde. Moore fügte hinzu, dass, sollte Russland iranische Raketen in der Ukraine einsetzen, dies "sehr offensichtlich" wäre.

Trotz der Bedrohungen durch Russland und der Gefahr eines Flächenbrands im Nahen Osten betonten Burns und Moore, dass ihre größte Herausforderung der Aufstieg Chinas sei. Burns erwähnte, dass die CIA in den vergangenen drei Jahren die Mittel für China verdreifacht habe, und hob hervor, dass regelmäßiger Kontakt mit chinesischen Amtskollegen "essenziell" sei.

Die beiden spiegelten die Stärke der britisch-amerikanischen Beziehungen wider, besonders in Zeiten beispielloser globaler Risiken. "Die internationale Weltordnung ist in einer Weise bedroht, wie wir es seit dem Kalten Krieg nicht mehr gesehen haben", schrieben die beiden in einem Artikel, der am Samstag im FT veröffentlicht wurde.

Sie betonten, dass die Bekämpfung dieses Risikos fest in der "Special Relationship" verankert sei, auf die man sich auch im nächsten Jahrhundert verlassen könne.

Die seltene gemeinsame Präsentation der Geheimdienstchefs ist vergleichbar mit einer Pressekonferenz, die von Ken McCallum, dem Leiter des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5, und seinem US-Pendant, Christopher Wray, dem Leiter des FBI, im Juli 2022 in London abgehalten wurde.

Die Einschätzung zu Kursk indes wirkte ungewöhnlich oberflächlich. Die ukrainische Kursk-Offensive habe Wladimir Putins "Narrativ" erschüttert und in der russischen Elite "Fragen" über den Sinn des Krieges aufgeworfen, so die beiden führenden Spionagechefs.

Keine Antwort oder auch nur weitergehende Einordnung aber kam zu Stand und Perspektive der Operation im Kontext des gesamten Kriegsgeschehens. Ein wenig davon konnte man dieser Tage in einem Bericht von Christian Esch aus dem ukrainischen Pokrowsk erfahren – hinter einer Paywall.

Eigentlich sollte der Vorstoß über die russische Grenze die eigenen Linien im Donbass entlasten, Putin zum Abzug seiner Truppen vor Pokrowsk zwingen. Nun wirkt es auf viele, als sei es gerade umgekehrt gekommen: Nicht die russische, sondern die ukrainische Seite wurde geschwächt. Droht im Donbass ein Zusammenbrechen der Front? Und ist der Fall von Pokrowsk womöglich der Preis für Selenskyjs Kursker Wagnis?

Christian Esch, Der Spiegel

Vielleicht muss man gedanklich und zeitlich einen Schritt zurücktreten, um von der notwendigen Distanz aus zu sehen: Vor zweieinhalb Jahren ging es der Ukraine und ihren westlichen Unterstützern – vorwiegend jenen in Washington und London – um einen Sieg gegen die russischen Invasoren.

Inzwischen geht es nur noch darum, am Narrativ Putins zu kratzen.