LED there be light
Neue interaktive Weihnachtsbeleuchtung mit 375 Lichtsäulen wirft Zürich in die Moderne
„The World`s largest timepiece“ ist den Zürchern noch nicht ganz geheuer. Zum ersten Mal illuminiert eine 2.4 Millionen Franken teure Weihnachtsbeleuchtung die dortige Bahnhofstraße und scheidet die Geister. Denn nur beleuchten war gestern. Heute ist Konzeptkunst. Leider.
Wer sich am mit Glassteinen erwürgten Tannenbaum der Bahnhofshalle noch nicht satt gesehen hat, der kann in diesem Advent zum ersten Mal die neue Weihnachtsbeleuchtung der Bahnhofstrasse in Zürich bestaunen. "The World`s largest timepiece" aus 275 senkrecht montierten, sieben Meter hohen Lichtsäulen erstreckt sich über 1.1 Kilometer bis zum erlösenden See hin und illuminiert mit 8.000 Lichtpunkten aus insgesamt 240.000 Dioden den vorweihnachtlichen Kaufrausch. Aus und vorbei ist es mit den geradezu simpel anmutenden 20.640 Glühbirnen, die noch bis letztes Jahr an der gleichen Stelle als so genannter „Goldregen“ über den Köpfen der staunenden Besucher baumelten. Jetzt aktualisiert ein Computer alle 44 Millisekunden das Licht und kann rein technisch 22 Licht-Bilder pro Sekunde in der Installation wechseln.
Die Bahnhofstraße ist sich hier selbst genüge. Drei Bewegungsmelder übertragen die Hektik der Einkäufe und verrechnen sie mit einer sich immer mehr auf Weihnachten hin beschleunigenden Frequenz zu einer großen Interaktion mit dem Publikum. Nur am Eröffnungsabend – nach missglückter Generalprobe – wirbelten die Lichter zur Musik von Boris Blank (Yello) und mit großem Festredner TammTamm. Ansonsten ist die Resonanz der Umstehenden bisher weniger feierlich. Und der große Lichtzauber entpuppt sich als müde vor sich hinwandernde dunkle Stelle in jeweils einem der Lichtstäbe.
Zu kalt sei das Licht, und es sei ja auch nicht wirklich was los mit diesem Licht. Eine Anwohnerin nennt die Installation nun auch deshalb einen „großen Reinfall“, eine andere „eiskalt und steif“. Keine guten Noten für eine Werbemaßnahme, die ein wenig Licht ins Dunkle bringen und die Kauflaune anheizen soll. Vielleicht waren nach einer Ausschreibung und entsprechend Publicity bei der Entscheidung die Erwartungen über den Wettbewerb und die tatsächliche Installation auch ein wenig hoch, vielleicht wollte man auch mehr sehen als das in der nächsten Diskothek eh schon immer der Fall war. Aber so wie es aussieht ist sogar das aktuelle Depeche Mode-Video besser ausgeleuchtet. Und mit Großtaten ausländischer Beleuchtungshysterie kann das müde Lichtchen eh nicht mithalten.
Man steht also vor dem kalten Schluck aufgekochter Interaktion, die sich nur mühsam gegen das optische Geklimpere der anderen Beleuchtungen durchsetzen kann, und wundert sich, dass man nun auch noch „Teil der Inszenierung“ sein soll. Das Konzept der Interaktion baut stillschweigend immer darauf auf, dass niemand gefragt wird, ob er denn eigentlich als Teil einer Masse in eine Lichtinstallation hineingemengt werden will. Man kann nicht nicht interagieren, sobald sich ein Kunsthaus-Direktor an Konzeptkunst erwärmt und damit die Bahnhofstraße behängen lässt. Also weiß ich ab jetzt, dass die hellen Gitterstäbe mir sagen wollen, ich sei auch Teil eines kommerziellen Advents, es dann unversehens nach irgendeinem Algorithmus dunkel oder hell wird und nicht von mir zu stoppen ist. Oder von Mehreren oder von den Zürchern, die das alles schlichtweg langweilig finden. Echte Interaktion wäre ja dazu fähig, darauf zu reagieren und sich deshalb vom Netz zu nehmen.
Aber die neue Weihnachtsbeleuchtung, die einem als modern - und da müsse man eben hin - verkauft wird, ist so interaktiv wie das parallel im Fernsehen angebotene DVD-Lernzeug, bei dem die Kindlein auch einen Riesenspaß haben, auf drei Tasten zu drücken und der Knuddelhund auf dem Bildschirm macht es ihnen vor oder nach. Insofern ist das alles eine kindische Aktion. Und insofern macht es dann zu Weihnachten, dem Fest der Kleinen, schon wieder Sinn. „Mama schau mal, wenn wir alle ganz hektisch laufen, fällt schräg hinten am 3411. Gitterstab das Licht aus.“
Die LEDs drohen übrigens eine Haltbarkeit von 150 Jahren an. Und das bei einer Stromrechnung von nur 2.640,- CHF pro Saison... Sein Vorgänger verbrauchte seit 1974 zehnmal mehr Energie und ließ seine Fußgänger in Frieden. Vielleicht mochte man die Beleuchtung deshalb so.