Labour: Zurück zur Linie Tony Blairs?

Früherer Parteichef Tony Blair. Bild (2019): Web Summit - CG1_9792/CC BY 2.0

Die britische Arbeiterpartei auf dem Weg zum B-Team; 160.000 Austritte und der Rauswurf linkslastiger Parteimitglieder

Finanznot, Mitgliederschwund, Streikdrohungen und der Rauswurf linkslastiger Parteiströmungen. Das sind die Schlagworte, mit denen die britische sozialdemokratische Labour-Partei und deren Vorsitzender Keir Starmer derzeit in Verbindung gebracht werden. Nur wenige Wochen vor dem Ende September anberaumten Parteitag gibt das ein zerrüttetes Bild. Dabei hängen all diese Probleme miteinander zusammen, im Zentrum der Gemengelage steht der Parteichef selbst, sowie dessen zunehmend offen präsentiertes neoliberales Programm.

Ein Programm, das unter der Mitgliedschaft nicht eben populär ist. 160.000 Menschen sollen die Partei seit dem Amtsantritt Starmers bereits verlassen haben. Fünf Millionen Pfund müssen die britischen Sozialdemokraten unter anderem deshalb einsparen. Deshalb sollen 90 von insgesamt 360 Hauptamtlichen gehen. Bis Ende August werden Freiwillige gesucht. Wenn sich nicht genug melden, sind Kündigungen angedroht.

Die Gewerkschaften UNITE und GMB konsultieren inzwischen ihre Mitgliedschaft unter den Partei-Hauptamtlichen zu der Frage, ob diese zur Verteidigung ihrer Jobs streikbereit sind. Diese Konsultation läuft jedoch ebenfalls bis Ende August. Eine darauf eventuell folgende Urabstimmung würde sich, sollten die Gewerkschaften die in Großbritannien geltenden Antigewerkschaftsgesetze befolgen wollen, ebenfalls über Wochen bis Ende September hinziehen. Bis dahin könnte die der Labour-Parteivorstand längst Fakten geschaffen und sein Personalabbauprogramm weitgehend durchgezogen haben.

Für zusätzliches Feuer sorgen in dieser Situation Medienberichte, wonach Labour auf sechs Monate befristete Stellenangebote auf der Homepage einer Leiharbeitsfirma angeboten haben soll. Außerdem werden Labour-Hauptamtliche zunehmend wieder zur Arbeit im Großraumbüro aufgefordert, den Betrieb im Home Office will die Partei weitgehend einstellen. Dem stehen Ängste der Belegschaft vor unzureichender Belüftung und dem damit zusammenhängenden Infektionsrisiko mit Covid-19 gegenüber.

Labour-Hauptamtliche stehen gemeinhin nicht unter Verdacht dem linken Parteiflügel nahezustehen. Im Gegenteil nominierte die UNITE-Betriebsgruppe der Labour-Parteizentrale den Rechtsausleger Gerard Coyne als Wunschkandidat für die gerade beendeten Wahlen für den Posten des Generalsekretärs in dieser Großgewerkschaft, die gleichzeitig größter Finanzier der Labour-Partei ist. Coyne gilt als Wunschkandidat von Parteichef Starmer, der sich durch ihn eine handzahme und linientreue Gewerkschaftsführung erwartet. Das Wahlergebnis wird am 26. August verkündet. Dann wird sich zeigen, ob Starmers Rechnung hier aufgeht.

Zuwachs von interner Disziplinarverfahren

Der schmorende Arbeitskampf in der Labour-Parteizentrale ist nicht ganz ohne Ironie, gerade weil die Beteiligten mehrheitlich Starmer und dem blairistischen Parteiflügel nahestehen. In den vergangenen Jahren haben sie das Ihre dazu beigetragen, die Parteilinke rund um Starmers Vorgänger Jeremy Corbyn zu demontieren. Für diesen war die Zentrale während seiner gesamten Amtszeit feindliches Gebiet.

Die dort verankerte Abteilung für Rechts- und Disziplinarfragen durchforstete systematisch die Social-Media Accounts von linken Parteimitgliedern, um Gründe für deren Ausschluss zu finden, und um so die soziale Basis Corbyns innerhalb der Partei zu schwächen (Independent).

Die vom Parteivorstand gesuchten Leiharbeitskräfte sollen ausgerechnet in dieser Abteilung eingesetzt werden - aufgrund eines starken Zuwachses von internen Disziplinarverfahren, wie die Zeitung Independent Quellen aus dem Parteivorstand zitiert. Gleichzeitig wird die "Community Organising Unit" ersatzlos aufgelöst.

Hierbei handelte es sich um eine Abteilung in der Parteizentrale, deren Aufgabengebiet in der Graswurzelorganisierung in den Wahlkreisen bestand. Die Abteilung war eine Erfindung Corbyns, die einfachen Parteimitgliedern unter anderem bei der Durchführung außerparlamentarischer Aktivitäten vor Ort in den Wahlkreisen helfen sollte.

Neutralisierung der Reste des linken Parteiflügels

Letzteres hat unter Starmer keine Priorität, die Neutralisierung der Reste des linken Parteiflügels hingegen schon. Bereits Ende Juli wurde eine Reihe kleinerer, in der Labour-Partei aktiver sozialistischer und linker Gruppen vom Parteivorstand zu "verbotenen Organisationen" erklärt, deren Mitglieder und Unterstützer automatisch und ohne vorherige Anhörung oder Widerspruchsrecht aus der Partei auszuschließen seien.

Außerdem stimmte die große Mehrheit des Parteivorstandes dafür, zukünftige Parteiausschlussverfahren an eine kleine, exklusive Gruppe von Vorstandsmitgliedern aus dem direkten Umfeld Starmers auszulagern. Starmer hat sich somit das exklusive Recht gesichert, missliebige Mitglieder oder Strukturen aus einer Partei hinauswerfen zu können, ohne darüber einem demokratisch legitimierten Gremium gegenüber Rechenschaft ablegen zu müssen.

Dagegen protestierte unter anderem die Gewerkschaft UNITE, die diesen Beschloss als "schockierende und repressive" Maßnahme bezeichnete, die "keinen Platz in einer modernen demokratischen Partei" haben dürfe. Jeremy Corbyn nannte das Vorgehen des Parteivorstands in einem Tweet "spalterisch" und verlieh der Befürchtung Ausdruck, dass daraus die "Bedrohung weiterer Angriffe auf die Parteidemokratie" entstehen könne.

Ken Loach: "Säuberung"

Ein prominentes jüngeres Beispiel dafür ist der englische Filmemacher Ken Loach. Der hatte schon immer ein kritisches Verhältnis zur Labour-Partei. Als Tony Blair dort das Ruder übernahm, kehrte Loach Labour aus Protest für mehrere Jahre den Rücken, um dann mit dem Antritt Jeremy Corbyns wieder einzutreten. Sogar Wahlkampfspots drehte der Regisseur für die britischen Sozialdemokraten.

Nun wurde Loach ausgeschlossen, weil er aus Sicht der Führungsgruppe um Starmer die falschen parteiinternen Freundschaften pflegt, und weil sich Loach nicht von Mitgliedern ausgeschlossener Gruppierungen distanzieren wollte. Er sei "stolz" darauf, mit den "guten Freunden und Genossen" zusammenzustehen, die von der "Säuberung" betroffen seien, so Loach in einer Twitter-Nachricht.

In einem Interview für das amerikanische sozialistische Magazin Jacobin analysierte Loach, dass Starmer mit den Parteiausschlüssen "die Reproduktion von Blairs Partei" anstrebe. Starmer wolle "eine kleine Partei ohne problematische Aktivisten." Das sei "ein Rückzug von linken Positionen in den Bereichen öffentliches Eigentum, dem Wohnbereich, dem Wohlfahrtsstaat und der Umwelt. Ein Rückzug von einer Außenpolitik die auf internationalem Recht und den Menschenrechten basiert".

Linke Kritiker Starmers zitieren dieser Tage oft den linken Labour-Politiker Tony Benn, der in den 1980-er Jahren fast einmal Parteivorsitzender geworden wäre:

Wenn die Labour-Partei gezwungen oder überredet werden könnte, ihre Marxisten zu denunzieren, würden die Medien, die Blut geleckt haben, als Nächstes fordern, dass sie alle ihre Sozialisten ausschließt, um eine harmlose Alternative zu den Konservativen zu bilden, die dann hin und wieder an die Macht kommen könnte, wenn die Konservativen in der Gunst der Öffentlichkeit fallen. Auf diese Weise, so wird argumentiert, würde der britische Kapitalismus für immer gesichert und der Sozialismus von der nationalen Agenda verdrängt werden.

Tony Benn

Dieser Satz steht im Kontext der parteiinternen Auseinandersetzungen der 1980-er und 1990-er Jahre, die im Zeichen eines brutalen Machtkampfes zwischen den linken und rechten Parteiflügeln standen. Linke und marxistische Kräfte hofften damals, Labour auf einen sozialistischen Kurs orientieren zu können. Stattdessen endete die Auseinandersetzung mit dem Rauswurf ganzer Organisationen, allen voran der marxistisch orientierten "Militant Tendency".

Ein zuverlässiges B-Team für die Wirtschaft

Nachdem der linksradikale Flügel beseitigt war, konnten auch reformistisch orientierte Parteiströmungen befriedet und dem blairistischen Lager der Aufstieg ermöglicht werden. Die heutigen Auseinandersetzungen sind im Vergleich zu den damaligen Zerwürfnissen nur ein leichter Abklatsch, der Widerstand der verbliebenen Linkskräfte wird eher symbolischer Natur sein.

Widerstandsfähige Strukturen sind während der Amtszeit Corbyns kaum entstanden. "Normale" lohnabhängige Menschen wenden sich längst wieder zunehmend von der Partei ab. Starmers restriktives Vorgehen gegen abweichende Meinungen dient präzise dem Zweck, dafür zu sorgen, dass das auch so bleibt.

Labour soll so zu einem aus der Sicht britischer Wirtschaftsverbände zuverlässigen B-Team geformt werden, sollten die derzeit regierenden Tories einmal abgewirtschaftet haben. Das Konzept einer aktivistischen Massenpartei scheint vorerst gestorben.