Länderregierungen gegen Informationsfreiheit
Auf absehbare Zeit keine "gläserne Bürokratie"
Trotz der vorläufigen Versenkung des Informationsfreiheitsgesetzes auf Bundesebene durch die SPD-Mehrheit in Bundestag und Regierung wird in einzelnen Bundesländern weiter an Landes-IFG gearbeitet. Allerdings nicht wirklich erfolgsorientiert, wie eine Telepolis-Umfrage zeigt. Die SPD sorgt sich lediglich als Oppositionspartei um den Informationszugang für alle Bürger. Bei CDU und CSU ist die Sache klar - sie lehnen die Akteneinsicht in Bund und Ländern kategorisch ab. Folglich gibt es in Hamburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Hessen, dem Saarland, Baden-Württemberg und Bayern auf absehbare Zeit keine "gläserne Bürokratie".
In den Ländern, in denen die SPD (mit)regiert, wird auf Zeit gespielt und auf den Bundesgesetzgeber verwiesen. Möglicherweise hat die Bund-Länder-Koordination der SPD eine entsprechende Devise ausgegeben. Jüngst, am 19. Juni 2002, beriet der rheinland-pfälzische Landtag einen Gesetzentwurf der Grünen, in dem ein weitgehendes Akteneinsichtsrecht gefordert wird. Zur Begründung erklärte der Abgeordnete Nils Wiechmann (B90 /Grüne):
Die halbherzig Korruptionsbekämpfung in Rheinland-Pfalz, der Kölner Spenden-Skandal oder die Mängel bei der Informationsweitergabe im Nitrofen-Skandal zeigen für Bündnis 90/Die Grünen im Landtag die Notwendigkeit von mehr Transparenz im Verwaltungshandeln. Nicht nur Behörden, Unternehmen und Parteien müssen gegen Korruption wirksamer tätig werden als bisher, sondern auch der Gesetzgeber. Deshalb hat die Fraktion jetzt einen Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz in den rheinland-pfälzischen Landtag eingebracht.
Der Entwurf wurde von der SPD/FDP-Mehrheit in die Landtagsausschüsse verwiesen. Axel Redmer (SPD MdL) befürwortet zwar grundsätzlich ein Informationsfreiheitsgesetz - möchte aber
abwarten, was in Berlin raus kommt. Wir wollen eine bundeseinheitliche Regelung, die auf dem aufbaut, was im Bund entschieden wird. Wir wollen verhindern, dass wir sonst möglicherweise in Bund und Land nachher unterschiedliche Zugangsvoraussetzungen bekommen.
FDP-Pressesprecher Horst Günter Herold erklärte, seine Fraktion lehne den Grünen-Entwurf als "zu weitgehend" ab. Grundsätzlich wolle die FDP aber ein solches Gesetz, jedoch in Abstimmung mit dem Bund, um einen "rechtlichen Flickenteppich zu vermeiden". Das kann dauern.
In Thüringen hatte die SPD als Oppositionspartei im Oktober 2001 ein "Thüringer Informationsfreiheitsgesetz (ThürIFG) in den Landtag eingebracht. In der Präambel heißt es:
Informationen sind (...) von zentraler Bedeutung für die Demokratie. Der freie Zugang zu Informationen soll die Transparenz und Akzeptanz behördlicher Entscheidungen erhöhen. Er ermöglicht die Kontrolle des Staates durch die Bürgerinnen und Bürger.
Auch in seiner kurzen Rede im Landtag gab sich der SPD-Abgeordnete Volker Schemmel pathetisch:
Ich erinnere an das Zitat vom Ende der Weimarer Republik, das Sie alle kennen, dass es dort an Verteidigern der Demokratie gemangelt habe. Verteidigung setzt aber voraus, dass ich das, was ich verteidigen will, innerlich akzeptiere. Diese Akzeptanz, die setzt voraus, dass mir das Geschehen transparent ist. Das heißt, nur wenn ich etwas durchschauen kann, kann ich es auch begreifen. Dann kann ich auch diese Demokratie verteidigen. Unser Entwurf , den wir Ihnen heute vorlegen ,der will nur dieses Ziel erreichen, dass wir die Transparenz für den Bürger herstellen und dass wir damit dem Bürger die Möglichkeit gegen über Akzeptanz auch für die Verteidigung unserer Demokratie einzutreten.
Soweit die SPD als Oppositionspartei. Als sie noch als Juniorpartner mit der CDU den Freistaat Thüringen mitregierte, gab es kein Gesetz über die Informationsfreiheit.
Das hat System. Dort, wo die SPD die Möglichkeit zum praktischen Einsetzen der "Demokratiestütze IFG" hat, passiert nichts. In Mecklenburg-Vorpommern ist ein solches Gesetz zwar mit dem Koalitionspartner PDS vereinbart - einen IFG-Entwurf gibt es aber auch dort nicht. Wann es einen geben wird, vermag der Fraktionssprecher nicht zu sagen. In Sachsen-Anhalt fand SPD-Ministerpräsident Dr. Reinhard Höppner bis zu seiner Abwahl im Frühjahr dieses Jahres auch kein Gefallen an zuviel Bürgernähe.
In Bremen, wo der Sozialdemokrat Henning Scherf eine SPD/CDU-Koaliton führt, wird ebenfalls auf Zeit gespielt. Ein Gesetzentwurf der Grünen schleppt sich dahin und wird seit Monaten beraten.. Auch in Niedersachsen, von der SPD allein regiert, ist kein Platz für Demokratie-Pathos. So heißt es in einer Stellungnahme der Regierung:
Die Landesregierung hat Zweifel, ob durch ein IFG die Informationsmöglichkeiten der Einzelnen gegenüber dem Staat (nachhaltig) verbessert werden können. ... Die notwendige Transparenz der öffentlichen Verwaltung wird nach Auffassung der Landesregierung bereits durch bestehende bereichsspezifische Informationsrechte und Veröffentlichungspflichten gewährleistet.(...) Ein allgemeines Informationszugangsrecht kann nicht schrankenlos gewährt werden...
Das sind Formulierungen, die sehr an die Antwort der Bayerischen Staatskanzlei an den Autor erinnern:
...Grundsätzlich gegen ein Informationsfreiheitsgesetz spricht, dass bereits das geltende Recht Zugang zu Informationen bei Vorliegen berechtigter Interessen gewährt. Dies gewährleistet auch, dass die Belastungen der Exekutive und damit der öffentlichen Haushalte durch den mit einem allgemeinen Informationszugangsrecht verbundenen Verwaltungsaufwand in angemessenem Verhältnis zu den Informationsbedürfnissen der Öffentlichkeit bleiben. Nach den Erfahrungen einzelner Länder, die bereits Informationsfreiheitsgesetze erlassen haben, ist die Bedeutung der Informationsfreiheit für die Meinungsbildung der Öffentlichkeit und die Kontrolle des Verwaltungshandelns gering geblieben. Die Informationsfreiheit würde im Übrigen, anders als in der öffentlichen Diskussion häufig vorgetragen, keinen erheblichen Beitrag zur Aufdeckung bzw. Verhütung von Korruption leisten, da die Täter in diesen Fällen gerade besonders bemüht sind, keine Spuren zu hinterlassen. Vielmehr wäre nicht auszuschließen, dass ein allgemeines Informationszugangsrecht von Kriminellen bzw. extremistischen Organisationen missbraucht wird, um Ermittlungen und Erkenntnisse der Behörden auszuforschen...
Tatsächlich sprechen die praktischen Erfahrungen in den Ländern mit IFG eine gänzlich andere Sprache. Die Datenschützer in Brandenburg, Berlin und Schleswig-Holstein ziehen eine deutlich positive Bilanz. Das IFG wurde von der Bevölkerung angenommen und wird unproblematisch angewandt. So zog der Landesbeauftragte für den Datenschutz in Schleswig-Holstein Dr. Helmut Bäumler bereits nach dem ersten Jahr eine positive Bilanz:
Die bisherigen Anwendungsfälle des Informationsfreiheitsgesetzes in Schleswig-Holstein zeigen, dass das Gesetz in der Praxis gut handhabbar ist. Obwohl seiner Verabschiedung keine ausreichende öffentliche Diskussion voranging und die meisten Behörden von den neuen Transparenzbestimmungen überrascht wurden, ist es bislang kaum zu Blockadehaltungen gekommen. Bürger und Behörden begreifen offenbar das Informationsfreiheitsgesetz weniger als Kampfinstrument gegen die Verwaltung, sondern vielmehr als einen Service, den die Gesetz und Recht verpflichtete Verwaltung ihren Bürgerinnen und Bürgern bietet. Dazu mag beigetragen haben, dass sich bei der Debatte anlässlich der Verabschiedung des Gesetzes praktisch alle Landtagsfraktionen prinzipiell für ein Informationszugangsrecht ausgesprochen haben. Es spricht für eine gut entwickelte Informationskultur in Schleswig-Holstein, dass die Behörden sich mehr und mehr auf die neue Rechtslage einstellen.
Eine Einschätzung, die auch von den Brandenburgischen und Berliner Datenschützern geteilt wird.
In NRW, wo die Bündnis-Grünen der SPD das IFG zum 1.1.2002 aufdrängten, zeigen sich Landes- und Kommunalbehörden in der Praxis eher ablehnend. Das lässt sich u.a. daran erkennen, dass einzelne Kommunen wie etwa Köln und Bonn den Informationszugang mit langsamer Bearbeitung und hohen Gebühren erschweren (vgl. Transparenz versus Korruption und Informationsfreiheit in NRW kaum gefragt).
Einem jüngsten Urteil des Oberverwaltungsgerichts für NRW in Münster (Az 21 B 589/02) zufolge müssen Behörden in Nordrhein-Westfalen Bürgern soweit wie möglich Einsicht in Unterlagen gewähren. Im jetzt entschiedenen Fall hatte ein Bürger gegen die Stadt Essen geklagt. Der Mann hatte der Stadt vorgeworfen, eine Baustelle vor seiner Apotheke unnötig lange aufrechterhalten zu haben, und die Kommune auf Schadenersatz wegen entgangener Kunden verlangt. Zur Untermauerung seiner Klage wollte er die Bautagebücher der Stadt einsehen. Dies lehnte die Stadt ab, weil die Bauarbeiten von einem Privatunternehmen durchgeführt wurden. Außerdem wollte die Stadt Essen als Beklagte ihrem Prozessgegner nicht mit Aktenöffnung bei dessen Schadenersatzklage unterstützen.
Das OVG entschied für die Akteneinsicht. Der Gesetzgeber habe mit dem Informationsfreiheitsgesetz das Ziel verfolgt, Transparenz und Akzeptanz behördlichen Handelns zu erhöhen. Außerdem sollten Mitspracherecht und Kontrollmöglichkeiten der Bürger gestärkt werden.
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