"Lahme Ente" Obama und ein katastrophales Tea-Party-Experiment
Bei den US-Halbzeitwahlen stehen die Chancen für die Demokraten schlecht
Die Vereinigten Staaten erholen sich wirtschaftlich und die Arbeitslosenzahlen sinken. Auf den ersten Blick scheinen die USA damit auf dem Weg der Besserung. Doch die Stundenlöhne des normalen Arbeiters stagnieren, während die Reichen zu Megareichen werden. 66 Prozent der US-Bürger sind unzufrieden mit der Richtung, die die politische Elite mit ihrer Galionsfigur Barack Obama dem Land vorgibt. Die Mid-Term-Wahlen werden diesem Gefühl wie gewohnt Ausdruck verleihen. Die Demokraten könnten damit die Mehrheit im Senat an die Republikaner verlieren. Sie würden damit nach dem Verlust des Repräsentantenhauses 2010 ohne eigene Gestaltungsmöglichkeiten im US-Kongress dastehen.
In einem halben Dutzend Bundesstaaten werden sich die Mehrheitsverhältnisse des US-Kongresses heute Nacht entscheiden und damit auch die Frage, ob Obama seine zwei letzten Amtsjahre innenpolitisch im Abseits fristen wird. Die Republikaner müssen lediglich sechs Sitze dazu gewinnen, verlieren sie im Gegenzug keine, so wird die GOP mindestens bis zu Wahlen 2016 die Richtung im Land vorgeben.
Die Chancen dafür stehen gut. Laut Leo, einem neuen Wahl-Prognose-Tool des Projekts Upshot aus dem Hause der New York Times, haben die Republikaner eine 70:30 Prozent Chance, den Senat zu übernehmen und damit beide Kongresskammer zu kontrollieren.
Als besondere Herausforderung für die Demokraten gilt es, ihr demografisches Klientel zu mobilisieren: Jungwähler, Minderheiten und unverheiratete Frauen begeistern sich historisch erwiesen wenig für die Halbzeitwahlen, schreibt The Hill.
Gerade einmal 33 Prozent würden demnach über das demokratische Ereignis nachdenken ("giving 'some' though"), so eine Gallup-Umfrage - verglichen mit 46 Prozent vor vier Jahren und 42 Prozent 2006. Die Republikaner haben dazu noch einen weiteren Vorteil: Aufgespaltet in Parteien hält die GOP bei den erwähnten 33 Prozent einen Vorsprung von 12 Prozent.
"Battlegrounds"
Neben den umkämpften US-Bundesstaaten Colorado, Iowa und Alaska, liegen im Swing-State Florida, der wie immer auch 2016 den Unterschied machen kann, der Demokrat Charlie Chris und Gouverneur Rick Scott so eng beieinander, dass man bereits Bill Clinton zu Hilfe rief.
In North Carolina wetteifern die demokratische Senatorin Kay Hagan und ihr republikanischen Herausforderer Thom Tillis um die Vormacht, mit Vorteilen für Tillis. Die Ausgangslage ging zu Lasten der Demokratin: Der Bundesstaat besteht aus 70 Prozent weißer Wählerschaft und von denen sind nur 25 Prozent mit ihrem Chef Barack Obama zufrieden. In dieses Horn bläst Tillis: Wer mit Obamas Politik unzufrieden sei, propagiert seine Kampagne, der müsse Hagan abwählen. Für einen Sieg wird Hagan sich darauf verlassen müssen, dass die schwarze Bevölkerung heute ebenso reichhaltig an die Wahlurne tritt wie 2008, als 70 Prozent von ihnen für Hagan und Obama stimmten.
Ähnlich und gleichwohl anders sieht die Welt in Georgia aus. Dort kämpfen der Republikaner David "I represent a way forward" Perdue gegen die Demokratin Michelle Nunn um den Platz des in den Ruhestand tretenden republikanischen Senators Saxby Chambliss. Perdue werden paradoxerweise weiterhin die besseren Chancen auf den Sieg trotz der denkbar ungünstigsten Voraussetzung zugeschrieben: Der US-Bundesstaat hat eine Arbeitslosenquote von fast 8 Prozent und Perdue musste sich die vergangenen Wochen gegen seinen eigenen Kommentar aus dem Jahr 2005 zur Wehr setzen, wonach er stolz sei auf seine Leistung als Unternehmer, Arbeitsplätze auszulagern. Sollte er gewinnen, darf sich Perdues Kampagnen-Team auf die Schulter klopfen und Nunn bei Obama bedanken.
Tea-Party-Gouverneure
Am heutigen Dienstag in den USA aber werden nicht nur ein Drittel (36) der Senatoren und das gesamte Repräsentantenhaus neu bestimmt. Es stehen auch einige Gouverneure zur Wahl. Besonders interessant dürften diesbezüglich die Ergebnisse in jenen Staaten werden, wo sich vor vier Jahren die Welle der Tea-Party brach und ihre populistischen Gefolgsmänner in Rang und Orden schwemmte. Unter ihnen Scott Walker in Wisconsin und Sam Brownback in Kansas.
Sollte Walker, der vor zwei Jahren das Recht auf Tarifverhandlungen für öffentliche Angestellte massiv beschneiden ließ und die Proteste vor seiner Haustür aussaß, wiedergewählt werden, darf sich der Protegé der Koch-Brüder Chancen für 2016 als Vorrunden-Kandidat für die große Bühne ausrechnen. Letzte Prognosen zeigen, dass Walker in der Gruppe der "möglichen Wähler" mit 50 zu 43 Prozent vor seiner demokratischen Herausforderin Mary Burke liegt.
Keines der Rennen überbietet jedoch das Drama in Kansas, dem Heimatstaat und Firmensitz des Tea-Party-Finanziers Koch Industries. Dort steht nicht nur der Tea-Party-Kandidat Sam Brownback auf dem Prüfstand, sondern die ganze Geisteshaltung des Extremistenflügels der GOP.
"Great Kansas Tea Party Desaster"
Beginnend mit den Mid-Term-Wahlen 2010 hat Brownback als neuer Gouverneur den Prärie-Staat in ein neokonservatives radikal Experiment verwandelt: "Unsere neue wachstumsfreundliche Steuerpolitik wird wie ein Schuss Adrenalin ins Herz der Kansas Wirtschaft sein", sagte er damals.
Brownback verabreichte dem Bundesstaat in der Folge eine Rosskur aus den größten Steuererleichterungen in der Geschichte von Kansas und massiven Ausgabekürzungen. Doch statt einer Sauerstoffkur für die erlahmte Wirtschaft erstickten Brownbacks Maßnahmen die komplette Infrastruktur innerhalb kürzester Zeit. Boeing, der größte Arbeitgeber des Bundesstaates, schloss seine Hallen und flüchtete. Der Rolling Stone widmete dem "Great Kansas Tea Party Desaster" eine Titelgeschichte.
Wenn man wollte, könnte man den Koch-Brüdern anrechnen, dass sie die ad hoc Erschaffung eines neokonservativen Schlaraffenlandes nicht auslagern ließen und sich zumindest vor der eigenen Haustür vergingen. Näher mag jedoch die Vermutung liegen, dass die beiden ihr Paradies mit niemanden teilen wollten. Den Menschen vor Ort ist das freilich kein Trost; im Gegenteil, möchte man meinen: Jetzt, wo Brownback einen so miesen Job gemacht hat, könnte ein konventioneller Politiker - gleich ob Republikaner oder Demokrat - wieder eine attraktive Alternative sein. Doch der Schweinebauer aus dem Osten Kansas liegt nahezu gleichauf mit seinem demokratischen Herausforderer Paul Davis. Und das, obwohl sich angesichts seiner Agenda über 100 gestandene Republikaner nicht einfach nur von ihm abwandten. Öffentlich sprachen sie sich gar für seinen Konkurrenten Davis aus.
Verliert Brownback heute Nacht, ließe sich Kansas als Referendum dafür einstufen, wo die Grenzen einer ultrakonservativen Haushalts- und neokonservativen Wirtschaftspolitik überschritten wurden. Gewinnt Brownback, wird dies wohl - man mag es sich kaum vorstellen - als Bestätigung für dessen Experiment gewertet. Dem GOP-Establishment wird die Arbeit im Falle eines Erfolges des Tea-Party-Experiments nicht erleichtert werden.
Lame Duck Obama
Für Obama dagegen dürfte es ebenso schwer werden. Stellen die Republikaner ab heute Nacht die Mehrheit in beiden Kammern des US-Kongresses, wird er sich darauf einstellen müssen, dass man an seiner Gesundheitsreform "Obamacare" rütteln wird. Es ist fragwürdig, ob der US-Präsident zumindest diesen Eckfeiler seiner acht Jahre dann in sein politisches Vermächtnis retten kann.
Darüber hinaus könnte Obama als "lame duck" ein politisches Dasein im Abseits fristen, nur unterbrochen durch präsidiale Veto-Erlasse. Die GOP wird sich umgekehrt daran messen lassen müssen, ob sie Land und Bevölkerung in den kommenden zwei Jahren einen Weg vorwärts anbieten wollen oder weiterhin nur destruktive Politik betreiben. Letzteres würde den Demokraten erneut Angriffspunkte für 2016 eröffnen.