Landesverteidigung wieder hoch im Kurs
"Gleichrangig" soll die Landesverteidigung künftig gegenüber den Auslandseinsätzen sein, mit der Entwicklungshilfe soll der Verteidigungshaushalt steigen
Nicht nur ein Heimatministerium hat die neue Bundesregierung, sondern jetzt auch Pläne, die Heimat besser zu schützen. "Gleichrangig" soll die Landesverteidigung künftig gegenüber den Auslandseinsätzen sein, heißt es im Entwurf von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zur "Konzeption der Bundeswehr", der der Süddeutschen Zeitung vorliegt.
Auslandseinsätze wie in Mali, gerade erst verlängert, gehen natürlich trotzdem weiter. Aber konzeptionell deutet sich hier erstmals eine neue Richtung an, seit der damalige SPD-Verteidigungsminister Peter Struck nach 9/11 formuliert hatte, dass die Sicherheit Deutschlands auch am Hindukusch verteidigt werde. Die Bundeswehr müsse "ihren Beitrag zur nationalen Sicherheitsvorsorge" leisten, heiße es in dem Papier. Begründet wird das mit der angeblichen Bedrohung aus Russland, aber auch mit Gefahren im Cyberspace:
Potenzielle Angreifer nutzen hybride Methoden wie Subversion, Desinformation, Propaganda und Angriffe aus dem Cyberraum gezielt und oftmals unerkannt und attackieren damit die Offenheit und Freiheitlichkeit der deutschen Gesellschaft.
Militärisches Schengen
Die Rückkehr zur Landesverteidigung ist also kein Defensivkonzept, sondern Teil der Aufrüstung gegen Russland. Dementsprechend fordert das Konzeptpapier mehr Mittel für die Bundeswehr. So sei Landesverteidigung die "anspruchsvollste Aufgabe mit dem höchsten Nachholbedarf". Deshalb soll bei der Bundeswehr wieder das Prinzip der Vollausstattung gelten anstelle von Obergrenzen bei der Ausrüstung, die einzuhalten sind.
Ganz so neu und überraschend ist die Neuausrichtung freilich nicht. Schon im Bundeswehr-Weißbuch 2016 schrieb die Ministerin in ihrem Geleitwort von neuen "Herausforderungen wie der hybriden Kriegführung, dem transnationalen Terrorismus, Cyberattacken oder Pandemien". Was die Bundeswehr mit Pandemien zu tun hat, sei jetzt mal dahingestellt. Die Bundeswehr müsse solche Bedrohungen jedenfalls bekämpfen, so von der Leyen weiter, "und zugleich den Notwendigkeiten einer verstärkten Landes- und Bündnisverteidigung" genügen. Dieses Wörtchen "zugleich" ist jetzt zu "gleichrangig" verschärft worden.
Denn Deutschland soll militärische Drehscheibe in einem europäischen militärischen Schengen-Raum werden. Auf diese Weise will die NATO schneller Rüstungsgüter innerhalb Europas transportieren. Und das heißt vor allem nach Osteuropa, an die russische Grenze, was für das atlantische Bündnis ja neu ist. Ursula von der Leyen hat angeboten, in Deutschland eine neue Kommandozentrale einzurichten, nämlich in Ulm. Die Entscheidung darüber fällt im Juni.
Reform ohne Parlamentsdebatte?
Die Opposition wittert jetzt ein Bundeswehrreform "durch die Hintertür", weil die Ministerin das Konzept per Erlass in Kraft setzen kann. Die Opposition argumentiert, dass so weitreichende Änderungen im Parlament diskutiert werden müssten. Als "Geldverschwendung und sinnlose Aufrüstung" kritisierte die Linkspartei das Konzept.
Aber auch regierungsintern ist der Kurs umstritten. Wobei mit dem Abgang von Sigmar Gabriel als Außenminister auch die SPD kaum noch etwas gegen die NATO-Pläne sagt, den Rüstungshaushalt auf 2 Prozent des Bruttossozialprodukts zu erhöhen. Die Kritik richtet sich eher gegen die Finanzpolitik des Verteidigungsministeriums: Man müsse das "Geld, was man kriegt, auch ausgeben können", meinte Johannes Kahrs, der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion. Fast jedes Jahr habe von der Leyen eine Milliarde aus dem Haushalt zurückgegeben, kritisiert er.
"im kern ein richtiger ansatz. leider viel zu spät. nach 12 jahren cdu/csu verteidigungsminister ist diese kehrtwende notwendig und ein eingeständnis des eigenen scheiterns", legte er auf Twitter nach. Und sein Fraktionskollege Ulrich Kelber twitterte: "Frau von der Leyen sollte eine Reparatur oder Ersatzteilbeschaffung benennen, für die Bundestag das Geld verweigert hat."
Pleiten, Pech & Pannen
Tatsächlich macht das Verteidigungsministerium weiter mit Misswirtschaft Schlagzeilen. So fanden die Grünen in einer Anfrage heraus, dass Hubschrauberpiloten der Bundeswehr immer wieder ihre Fluglizenzen verlieren, weil sie nicht genügend Flugstunden absolvieren können.
Probleme gibt es auch beim Eurofighter: Wie der Spiegel berichtete, sind die meisten der 128 Eurofighter nicht einsatzbereit wegen technischer Probleme. Allerdings widersprach die Bundeswehr dem Bericht dahingehend, dass mehr Eurofighter als im Vorjahr einsatzbereit seien und man den aktuellen Einsatzverpflichtungen nachkomme. Die genaue Zahl der einsatzbereiten Eurofighter sei im Übrigen geheim. Der Spiegel hält das jedoch für einen Rechentrick und Irreführung: Es gebe keine Anfragen nach Einsätzen, deswegen könne die Bundeswehr auch sagen, alle NATO-Anforderungen zu erfüllen, so das Magazin unter Berufung auf Insider.
Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger sagte der Nachrichtenagentur DPA, von der Leyen (CDU) bekomme die "desolate Situation bei den Hubschraubern kein bisschen in den Griff". Bestätigt sehen sich die Kritiker durch den Bundesrechnungshof. Der hatte erst kürzlich schlechtes Projektmanagement bei der Modernisierung von Fregatten moniert, mit der Folge, dass sich die Kosten pro Schiff von 6 auf 30 Millionen Euro verfünffacht hätten. Außerdem habe die Luftwaffe die Eurofighter-Flugsimulatoren nicht in dem Umfang genutzt, der möglich gewesen wäre. Mit der Folge, dass die Pilotinnen und Piloten nicht die NATO-Forderung nach 180 Flugstunden pro Jahr erfüllen konnten.
Teilweise verliert die Bundeswehr durch Fehlplanung sogar bares Geld: Weil sich Beschaffungsprojekte verzögerten, blieb das Geld ungenutzt im Haushalt. 2014 gingen 1,2 Milliarden Euro an das Finanzministerium zurück, jeweils 400 Millionen Euro in den beiden Folgejahren, 2017 rund 600 Millionen Euro. Allerdings legt das Verteidigungsministerium Wert darauf, dass davon nur 78 Millionen Euro wirklich verloren waren, der Rest sei umgeschichtet worden. Das soll sich sowieso ändern: Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD festgeschrieben, man werde "die notwendigen Voraussetzungen schaffen zur Gewährleistung überjähriger Planungs- und Finanzierungssicherheit für Rüstungsinvestitionen".
Ursula von der Leyens Staatssekretärin Katrin Suder, einst von McKinsey geholt, verlässt das Verteidigungsministerium dennoch: Am 5. Mai schied sie offiziell aus dem Amt. Dabei sollte gerade sie die Rüstungskäufe neu organisieren. "Die eingeleiteten Reformen im Beschaffungswesen sind bisher nur Papiertiger", bilanziert der Spiegel.
Grund für ihr Ausscheiden ist laut Spiegel eine Meinungsverschiedenheit: Suder machte sich dafür stark, eine private Firma zu gründen, die das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung (BAAINBw) in Koblenz bei der Beschaffung unterstützt. Die neue Firma solle ohne die bisherigen Regeln arbeiten und sich nur auf die Zielerfüllung konzentrieren, so der Vorschlag. Als erstes könnte die Firma ein neues taktisches Luftabwehrsystem als Ersatz für die Patriot-Raketen anschaffen. Doch die Ministerin habe sich gegen diese Idee gestellt.
Kein Kaputtsparen: Schon länger sind die Rüstungsausgaben gestiegen
All die Pleiten, Pech & Pannen, die seit Jahren die Schlagzeilen bestimmen, geschahen übrigens, während die Bundeswehr immer mehr Geld bekam. Das zeigt schon ein Blick in eine Grafik des Bundesverteidigungsministeriums: Die Kurve geht seit 2008 steil nach oben, von rund 30 auf 37 Milliarden Euro.
Eine andere Grafik mit dem gleichen Anstieg hielt Olaf Scholz in die Kameras, als er seinen ersten Haushaltsentwurf als Bundesfinanzminister vorstellte. Tatsächlich ist der Verteidigungshaushalt nach von Statista aufbereiteten Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI seit 2000 von 30,55 Milliarden Euro kontinuierlich gewachsen auf 35,52 Milliarden in 2015.
Nun kann man Militärausgaben unterschiedlich berechnen. Es gibt den Einzelplan 14 des Bundeshaushalts, andere Berechnungsarten beziehen auch versteckte Militärkosten in anderen Haushaltsteilen ein. Dementsprechend kursieren verschiedene Zahlen. Aber die Tendenz ist eindeutig. So zeichnet die Weltbank ebenfalls auf SIPRI-Basis eine Aufwärtskurve seit 1960. Der einzige Knick fand 1990 statt, als die Ausgaben von umgerechnet 34,96 Milliarden Euro auf 29,45 Milliarden in 1997 sanken. Aber da war auch gerade der Kalte Krieg zu Ende und nach Kriegsende sollten Rüstungsausgaben auch fallen. Trotzdem hatten die deutschen Militärausgaben 2010 schon wieder ungefähr das Niveau vom Ende des Kalten Krieges erreicht.
Auf ähnliche Zahlen kommt die NATO: Sie beziffert die bundesdeutschen Rüstungsausgaben in 1990 mit 68,37 Milliarden DM, bis 1995 sanken sie auf 58,98 Milliarden DM. 2009 sind sie auf 34,16 Milliarden Euro angestiegen, 2010 auf 34,92. 2017 sind es dann geschätzte 40,44. Nun argumentiert zwar die Bundeswehr, dass von der aktuell geplanten Erhöhung um 5,6 Milliarden Euro 3,2 Milliarden Euro auf Personalkosten entfallen, also auf höheren Sold. Echte Erhöhung seien also nur 2,5 Milliarden Euro. Aber von dem angeblichen Kaputtsparen, von dem in vielen Medien die Rede ist, kann trotzdem keine Rede sein.
Der deutschen Industrie ist das dennoch zu wenig "Deutschland ist hier klar in der Bringschuld. Lediglich 1,2 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes (BIP) investieren wir in die Verteidigung", kritisierte Volker Thum, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) Ende April anlässlich der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA). "Die stärkste Wirtschaftsmacht des Kontinents muss ihre Verantwortung wahrnehmen."
Entwicklungshilfe als Rüstungshebel
Doch Ursula von der Leyen hat die Hoffnung auf noch höhere Rüstungsausgaben längst nicht aufgegeben und dafür im Kabinett einen Verbündeten gefunden: Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU).
Verteidigungs- und Entwicklungsministerium setzen bei Haushaltsberatungen eine Protokollerklärung durch: "Den Eckwerten 2019 stimmen wir deshalb mit der Erwartung zu, dass im Rahmen des Haushaltsaufstellungsverfahrens die noch fehlenden Mitteln aufgebracht werden, um ein Absinken der ODA-Quote zu verhindern."
Ihr Argument: Die Koalition hat erstens vereinbart, dass der Anteil der Official Development Aid (ODA) am Bruttoinlandsprodukt nicht sinkt. Das wäre aber beim Entwicklungsministerium der Fall, dessen Etat von 0,5 Prozent auf 0,47 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sinken würde. Zweitens hat die Koalition vereinbart, dass Verteidigungshaushalt und Entwicklungsetat gemeinsam steigen: "Im Verhältnis von 1:1 beim Verteidigungshaushalt zu Ausgaben im Rahmen der ODA-Quote", heißt es im Koalitionsvertrag.
Diese Koppelung war eigentlich als fortschrittliche Maßnahme gedacht: Wenn Rüstungsausgaben erhöht werden, dann doch bitte auch die für Entwicklungshilfe. Jetzt geht es umgekehrt: Die Entwicklungshilfe wird vorgeschickt, um den Verteidigungshaushalt mitzuziehen. "Ob sich das die SPD-UnterhändlerInnen, die vermeintlich zur Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit diesen 'Eins-zu-Eins-Mechanismus' in den Koalitionsvertrag verhandelt hatten, auch so vorgestellt haben?", fragt sich nicht nur die taz.
Der Ansatz, Verteidigung und Entwicklungshilfe aneinander zu koppeln, hat keine gute Presse bekommen, von links bis konservativ. "Dem imperialistischen Ansatz entspricht auch die zynische Kopplung von Entwicklungshilfe an Aufrüstung", kritisierte die marxistische junge Welt. Und die konservative FAZ meint (30.04.2018, Printausgabe), die SPD habe die unpopuläre "Steigerung des Verteidigungshaushalts (Teufelszeug) an die Erhöhung des Entwicklungsetats (Himmelswerk) geknüpft". Mit der Folge, dass Ursula von der Leyen neue U-Boote kaufen könne, wenn Gerd Müller mehr Brunnen in der Sahel-Zone bauen kann.
Dabei hatten es die Berliner Koalitionäre gut gemeint: "Wir wissen, dass militärische Mittel zur Abwehr von Gewalt und Terror notwendig sein können. Zugleich wissen wir aber auch, dass für eine Befriedung von Konflikten insbesondere die nachhaltige Schaffung von Lebensperspektiven in den betroffenen Ländern von zentraler Bedeutung ist", heißt es im Koalitionsvertrag. Damals ging man allerdings nur von Erhöhungen aus.
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