Landet der Echelon-Ausschuss als Bettvorleger?
Wie befürchtet erweist sich der Untersuchungsausschuss über Echelon im Europaparlament bislang als zahmer Tiger
Der Echelon-Untersuchungsausschuss im Europäischen Parlament hat seit September eine Reihe von Experten angehört. Die ersten Anhörungen waren zunächst den technischen, dann den politischen Experten gewidmet. Die Abgeordneten stellten, wie Telepolis von Insidern erfuhr, wohl die richtigen Fragen, allein die Experten beantworteten in der Regel nur die am wenig verfänglichsten. In die eigentlich interessanten technischen Details und Verfahren erging sich niemand. Es ist deshalb zu befürchten, dass der Ausschuss, der zunächst als Tiger antrat, als Bettvorleger endet. (siehe auch "Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet")
Der nicht-ständige Ausschuss, der vom Europäischen Parlament eingesetzt wurde, muss klären, inwieweit die Rechte der Bürger gegen Geheimdienstaktivitäten geschützt sind, ob Verschlüsselung einen geeigneten und hinreichenden Schutz der Privatsphäre darstellt und ob das Bewusstsein der europäischen Behörden für entsprechende Risiken gestärkt werden kann. Ebenso muss er klären, ob das Abhören der globalen Kommunikation für die europäische Industrie Risiken beinhaltet. Schließlich kann er politische und gesetzesgeberische Initiativen vorschlagen.
Für den Berichterstatter, den Regensburger SPD-Europaabgeordneten Gerhard Schmid, ist das eine "schwierige Aufgabe". "Wir sollen Licht in etwas bringen, das der Sache nach im Dunklen stattfindet", sagte er zu Beginn der Anhörungen. Er zeigte sich jedoch auch vorsichtig skeptisch, was die Erfolgschancen des Unterfangens betraf:
"Wir berühren bei den Geheimdiensten den Kernbereich der nationalen Souverenität."
Anders als ein Untersuchungsausschuss kann der nicht-ständige Ausschuss das Thema inhaltlich breiter und politischer behandeln. So kann er sich auch damit beschäftigen, wie Unternehmen und Privatleute sich künftig vor unerwünschten Lauschangriffen schützen können. Für die grüne Abgeordnete Ilka Schröder ist jedoch genau dies der Grund zu glauben, dass sich der Ausschuss in einer Vielzahl von Aktivitäten verzetteln wird. Sie stellte deshalb vor wenigen Wochen eine Strafanzeige gegen Echelon.
Datenschutzrichtlinie veraltet
Es ist naheliegend, sich zunächst mit Aufgaben zu beschäftigen, die man selbst bewältigen kann: So wies EU-Kommissar Antonio Vitorino in einer ersten Anhörung im September darauf hin, dass die aktuelle europäische Datenschutz-Richtlinie keinen einheitlichen Schutz der Privatsphäre gewährleiste. Der Schutz personengebundener Daten und der Rechtsrahmen für das Abhören müsse daher harmonisiert werden. Die Datenschutzrichtlinie von 1995 berücksichtige zudem noch nicht die neuesten technologischen Entwicklungen des Mobilfunks und des Internet. Der ehemalige portugiesische Verteidigungsminister, der als Kommissar für das Innen- und Justizressort zuständig ist, sagte gegenüber der Presse, dass er in seinen früheren Ämtern nichts von Echelon gehört habe.
EU-Kommissar Erkki Liikanen, zuständig für das Ressort Unternehmen und Informationsgesellschaft, betonte, dass Europa über wirksame Verschlüsselungsinstrumente verfügen müsse. Auch er wies darauf hin, dass die Richtlinien über den Datenschutz und die Telekommunikation überarbeitet werden müssen. Konkrete Schritte wurden hierzu jedoch noch nicht unternommen.
Nationale Echelon-Untersuchungen
Der Ausschuss beobachtet auch, inwieweit sich die nationalen Parlamente mit Echelon beschäftigt haben. Derzeit liegen dem Ausschuss Antworten aus Belgien, Frankreich und Italien vor. Für das größte Aufsehen sorgte der französische Bericht des Berichterstatters Arthur Paecht. Aus ihm ergeben sich vor allem zwei Schlussfolgerungen: Zum einen habe man Software produziert, um Echelon die Arbeit zu erleichtern, zum anderen müsse die EU deshalb eigene Software entwickeln, die sicher ist. Vielleicht wurde aufgrund dieser Erkenntnisse in Frankreich beschlossen, die Verschlüsselung frei zu geben. Paecht stellte am heutigen Dienstag seinen Bericht dem Ausschuss ausführlich vor.
Schutz durch Kryptografie
In einer weiteren Sitzung am 12. Oktober wurde eine Reihe externer Experten angehört. Dabei versuchte Schmid die Behauptungen, die Duncan Campbell in seinem Stoa-Bericht über Echelon aufstellte, zu hinterfragen. Laut Aussage von Roland Genson, der in der Ständigen Vertretung Luxemburgs in Brüssel für justizielle und innere Angelegenheiten zuständig ist, wurde das europäische Rechtshilfeabkommen, das die grenzüberschreitende Überwachung ermöglicht, durch die Einführung des Iridium-Systems notwendig. Falls ein ähnliches System wie Iridium künftig in Betrieb genommen werden würde, müsse man auch das rechtliche Rahmenwerk wieder überprüfen.
Bart Preneel, Kryptoprofessor an der belgischen Universität Löwen wies darauf hin, dass es keine unfehlbaren Verschlüsselungssysteme gebe. Mobilfunksysteme seien sogar nur durch schwache Verschlüsselungssysteme geschützt. Er wies zudem daraufhin, dass Open-Source-Software einen besseren Schutz gegen Hintertüren biete, da sie in vollem Umfang überprüfbar sei. Hintertüren seien jedoch bei geschlossenen, proprietären Systemen nicht auszuschließen.
Schließlich wies Mendes Vera, technischer Direktor der Banco Espirito Santo aus Portugal, darauf hin, dass sich die Abhörmethoden trotz des technologischen Fortschrittes kaum geändert haben, da der Schutz der Telekommunikation immer noch gering sei. Er sei tief besorgt darüber, dass Europa in Sachen Telekommunikationsschutz hinter den Vereinigten Staaten hinterherhinke.
Verschiedene Experten, darunter Clive Feather, verantwortlich für die legale Überwachung an der Londoner Internet Exchange, betonten die Notwendigkeit für eine systemintegrierte Sicherheit. Technische Maßnahmen allein genügten nicht, die Sicherheit müsse auch Bestandteil des organisatorischen Prozesses sein. Zudem müsse der Ursprung von verwendeten Softwarewerkzeugen überprüft werden, ebenso wie die benutzten Netzwerke.
Echelon stellt Vertrauensfrage innerhalb der Nato
In weiteren Sitzungen Ende November beschäftigte sich der Ausschuss mit den Erkenntnissen der nationalen Nachrichtendienste und parlamentarischen Kontrollkommissionen. Diese Anhörungen fanden hinter verschlossenen Türen statt. Technische, bislang geheim gehalten Details von Überwachungseinrichtungen wurden jedoch nicht preis gegeben. Vielmehr hielten sich die Beamten an bereits vorher öffentlich gewordene Details. Deutlich wurde allerdings, wie sensibel die Echelon-Problematik für die nationalen Dienste selbst sowie für die künftige politische Entwicklung Europas ist.
Nach Ansicht eines Mitglieds der belgischen parlamentarischen Kontrollkommission stelle sich durch Echelon die Vertrauensfrage innerhalb der Nato. Es gäbe demnach innerhalb der Nato drei Arten von Bündnispartnern: Jene wie Großbritannien und die USA, die über alle Informationen verfügen. Manche wie Deutschland, die mit weniger Informationen ausgestattet werden und wiederum Länder ohne jegliche Informationen. Die Europäische Union müsse auf diese Situation eine Antwort finden.
Schon im Vorfeld hatte Gerhard Schmid angekündigt, Javier Solana, den Repräsentanten für die europäische gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und ehemaligen Nato-Generalsekretär zu fragen, ob die Gemeinsame Verteidigungspolitik auch eine gemeinsame nachrichtendienstliche Politik fordere. Zu klären ist in diesem Zusammenhang, ob auch eine Zusammenarbeit, wie sie zwischen den USA und Großbritannien existiert, fortbestehen kann.
Gibt es eine nachrichtendienstliche Politik in der EU?
Vor allem Frankreich zeigte sich verärgert über die britischen Aktivitäten, die eine Illoyalität gegenüber dem europäischen Partner sei. Frankreich und Deutschland versuchen sich schon seit Jahren an einer Abnabelung von der US-amerikanischen Aufklärungsdominanz. So starteten sie das gemeinsame Raumaufklärungsprojekt Osiris, das nach Ansicht von Experten wie Erich Schmidt-Eenboom zur Keimzelle für einen europäischen Geheimdienst werden könnte. Laut französischen Presseberichten hören zudem Deutsche und Franzosen schon heute gemeinsam von Französisch-Gouayana und Neukaledonien aus den Satellitenverkehr über Amerika per Inmarsat und Intelsat auf.
"No comment"
Großbritannien lehnt es nach wie vor ab, Vertreter zu dem Ausschuss zu entsenden. Auch das US-amerikanische FBI wurde vor den Ausschuss geladen, um über das Internet-Überwachungstool Carnivore zu berichten. Das FBI lehnte die Einladung jedoch vorerst ab. Die Frage, ob das Abhören über das Echelon-System durch die Erarbeitung der "International User Requirements" durch das "International Law Enforcement Telecommunication Seminar" (ILETS) erleichtert wurde, konnte bislang keiner der geladenen Experten eindeutig beantworten. Jedoch wurde bestätigt, dass aus fast allen EU-Mitgliedstaaten Vertreter an ILETS-Treffen teilgenommen haben.