Langhaardackel mit Stromgitarren: Kulturkampf einst im Schwarzwald

Hansi Allgaier (lange Haare) und Rolf Stötzel. Foto: Jens Mattern

Skandalgeschrei um Frisuren und "amerikanische Verstärkermusik" liegt noch gar nicht so lange zurück – und doch eine Ewigkeit. Erinnerungen einer Band aus der deutschen Provinz.

Der Ort scheint ein konservativer zu sein: Die hoch aufragende Mauritius-Kirche aus Sandstein wirkt dominierend, ihr gegenüber mahnt eine Anzeige am Schaufenster des Elektroladens, man solle doch bitte nicht Youtube-Star werden wollen, sondern etwas "G’scheits" wie Elektroniker lernen. Und etwas "G’scheits" war das, was hier vor knapp 60 Jahren mittels UKW-Wellen über die Schwarzwälder Kleinstadt Hausach und ihre 72 umliegenden Bauernhöfe hereinbrach, auf keinen Fall. Es waren die Beatles.

"Rock’n Roll, das lief nicht bei uns im Radio. Aber als die Beatles auf Deutsch sangen, dann wurde das gespielt." so Rolf Stötzel, ehemaliger Schlagzeuger von "Fact", der ersten Rockband der Stadt. Der heute pensionierte Lehrer, Jahrgang 1951, blickt mit dem ehemaligen Gitarristen Hansi Allgaier in einem Café gegenüber der Kirche auf die alten Zeiten zurück.

"Niemand konnte ein Instrument spielen"

"Sie liebt Dich und komm gib mir Deine Hand, das war der Anfang", so der drei Jahre ältere Hansi, ebenfalls Ex-Lehrer, der weiterhin lange Haare trägt. Vor den Beatles hatte er noch "Da sprach der alte Häuptling der Indianer" gehört; seine erste Platte, was ihm heute peinlich ist. Radio Luxemburg sowie die französische Musikzeitschrift "Salut les copains" spielten noch eine Rolle für die neue musikalische Bewußtseinsbildung, die sich rasch änderte.

"Niemand konnte ein Instrument spielen", so Stötzel. Aber es gab den großen Drang, es den Rolling Stones, Who, Them, Beatles und Kinks nachzutun. Erspartes wurde "zemmegschmisse". In der nahen Mittelstadt Offenburg musste dann ein Vater als Bürge mit, damit in einem Geschäft für Musikinstrumente auf Pump eingekauft werden. Unterschiede zwischen Lead- und Bassgitarre waren noch nicht bekannt.

Sie waren damals Ende der Sechziger Jahre zu fünft. Zwei leben heute nicht mehr. So auch der Sänger Fritz Hiller, der erst kürzlich an Krebs verstarb. Am Telefon war er aufgeschlossen gewesen, über die alten Zeiten zu reden, doch schob er es immer wieder. "Melden Sie sich in einem Monat wieder!" Zuviel Arbeit mit seiner Firma für Elektrotechnik: "Qualitätsarbeit, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit". Das lebte er, schwerkrank bis zu seinem Tod. Typische Werte der Konservativen. Auf der anderen Seite war er auch "Revolutionär", der erste, der es damals wagte, lange Haare zu tragen und das Bandprojekt vorantrieb.

Für ihre Frisuren, ihre Musik konnten sie nicht viel Verständnis zu Hause erwarten, sie kamen alle aus einfachen Verhältnissen; die Eltern waren Heizer, Hausmeister, Näherin, manchmal gab es aber auch Unterstützung. So konnte ein Vater bei der Stadthalle eine Räumlichkeit fürs Proben möglich machen.

Joachim Jäckle hat heute einen Hörschaden von dieser Zeit. "Wir hatten Radioverstärker, das war sehr laut." Jäckle ist ebenfalls ein Veteran der lokalen Rockmusik, der später zu "Fact" als Gitarrist hinzukam und zu einem anderen Treffen auf einen Kaffee Zeit hat. Heute gibt der gelernte Drucker nur noch "Unplugged"-Auftritte, ohne Verstärkertechnologie.

"Wenn jemand gesagt hatte, mach‘ leiser, dann wurde noch mehr aufgedreht", erinnert er sich. Aufgedreht waren damals auch einige der Älteren: "Amerikanische Verstärkermusik", "Negermusik" "Radau", "Langhaardackel", "Gammler" "euch sollte man mit der Heckenschere die Haare abschneiden" so ihre Reaktionen.

"Ich hatte eine Verabredung mit den Eltern, die Haare bis zum Kragen wachsen lassen zu dürfen", so Stötzel, der auf seine Locken verweist. Es dauerte also mit dem Gang zum "Haarefresser", wie der Friseur damals hieß. Bei anderen lief der Krach zu Hause undiplomatischer ab.

"Beschimpft und geschlagen"

Den "Fact"-Mitglieder ging es mit den Frisuren nicht um Politik oder Revolution, so sagen sie heute. Doch allgemein galten die langen Haare galten in Deutschland als ein Politikum, verbunden mit linken Protestbewegungen und der Studentenrevolte. Ein Straßeninterview aus den späten Sechzigern im Rheinland dokumentiert die Aversionen und die Gewaltfantasien, welche die Frisuren damals auslösten.

Auch im Schwarzwald blieb es nicht beim Verbalen. Der Elektriker Fritz Hiller wurde auf dem Bau von einigen Handwerkern wegen seiner Haartracht zuerst verspottet, schließlich packten sie ihn und rasierten ihm eine Glatze. Auch im Lokal "Zum Schwabenhans", einer "Schankwirtschaft mit gutbürgerlicher Küche" krachte es.

"Hier wurden sie beschimpft und geschlagen" so der 69-jährige Fritz Mosmann und zeigt im Innenraum des Gasthauses auf einen massiven Tisch bei dem er als Jugendlicher die Angriffe auf die Bandmitglieder erlebte.

Heute ist der gelernte Industriekaufmann der Besitzer, er hat das Lokal mit einem Kompagnon 1985 gekauft und zu einer Rock-Kneipe umgebaut, wo Bands auftreten. Das Mobiliar von damals ist erhalten geblieben; zuviel Revolte muss nicht sein.

Nicht immer war der "Clash of Cultures" mit Aggression verbunden. Als der Bandleader in der Zeitung entdeckte, dass in einer nahen Kleinstadt dringend eine Kapelle gesucht werde, warnte er den Organisator der Hochzeit telefonisch vor, dass Stones und Who gespielt würde. Diesem schien es erstmals egal zu sein.

"Wir haben unsere Instrumente auf den alten Opel gepackt, einen Teppich darüber, es hat geregnet, und sind los", so Stötzel. Doch der Ausblick auf das Publikum in der vollen Gemeindehalle war nicht vielversprechend – allesamt im Trachtenjanker, beim Essen und mit fragendem Blick. Und "Fact" brachte sie mit ihrem Britrock nicht zum Schunkeln.

Nur bei dem vierten Stück, dem Who-Song "I’ve been away" wurde ein wenig auf den Bierbänken hin und her geschaukelt. Dann folgten die Stones und mit dem Schunkeln war es aus. "Des het kai Wert meh‘", meinte der Organisator, legte eine Schallplatte mit Volksmusik auf und schickte "Fact" nach Hause.

Chaos-Veranstaltung im Matsch

Doch die musikalische Revolution war nicht aufzuhalten. Woodstock schlug im Sommer 1969 ein. Ein ähnliches Festival unter freiem Himmel sollte dann August 1970 im Südwesten Deutschlands her, in Konstanz. Ein Student und ein Besitzer eines Tanzlokals in Reutlingen stellten die "Greatest Show at Bodensee" auf die Beine, immerhin vermochten sie den damaligen Superstar Manfred Mann zum Auftritt bewegen. Wegen sinnflutartigen Regenfällen konnten jedoch viele Bands aus England nicht anreisen, das zweitägige Konzert geriet zu einer Chaos-Veranstaltung im Matsch.

In der lokalen Berichterstattung war dies Wasser auf den Mühlen derer, die die "Stromgitarrenmusik" für Teufelszeug hielten. Mit den fortschreitenden Siebzigern nahm das Umfeld in der Kleinstadt wie auch sonstwo in Deutschland die Rockmusik und das Drumherum immer mehr als gegeben hin. Die Bundeswehr führte 1971 sogar für ein Jahr ein "Haarnetz" ein. Im "Schwabenhans" wurden Langhaarige nicht mehr geschlagen, sondern konnten dort einen Stammtisch etablieren, mit Mitgliedern der Band.

"Fact" ging als Band jahrzehntelang im lokalen Bereich durch die Decke. Dank des energetischen Frontmanns. "Fritz hätte Hänschen Klein singen können, das Publikum hätte getobt", so erinnert sich Joachim Jäckle.

"Träume gab es schon"

Und der Wunsch groß herauszukommen, bekannt zu werden, jenseits des Tales? "Träume gab es schon, aber es war klar, dass es relativ begrenzt abläuft." so Stötzel. Begrenzt war auch der Toleranzbereich des Publikums. Experimente und neuartige Stücke nicht so gern gehört, hier waren die Konzertbesucher bodenständig.

Andere kamen weiter – bei der später entstandenen Hausacher Band "Connection" spielte Chris Weller Keyboards, der später mit den Scorpions, Shirley Bassey, Jennifer Rush und anderen Stars zusammenarbeitete.

Von sich reden machte vor 14 Jahren auch Jürgen Winter von der ehemaligen Offenburger Band "Jud’s Gallery", deren Stück "Nordrach" der Südwestfunk 1974 in die Region sendete. Eine Passage davon übernahm Garry Moore und landete mit "I still got the Blues" einen Welthit. Im Jahre 2008 wurde Moore vom Landgericht München zu Schadenersatzzahlungen verpflichtet.

Was hat sich geändert? Das Publikum sei früher mehr mitgegangen meinen alle drei, die weiterhin Musik machen. Auch der Hang zur elektronischen Musik und die Sogkraft der Computerspiele zu Hause wirkte sich aus.

Und die Beatles, die Initialzündung? Von ihnen spielte "Fact" allein das rockige Stück "Revolution". Doch nein, Rebellen seien sie nie gewesen, zumindest nicht bewusst. Vor der Kirche lassen sich Stötzel und Allgaier jedoch nur widerwillig fotografieren, mit ihr hätten sie nichts zu tun.

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