Lawrow: Afghanen müssen selbst für Frieden sorgen
Eine Konferenz in Moskau soll dazu beitragen, dass sich die Staatsführung in Kabul und die Taliban unter multinationaler Aufsicht näherkommen
In Afghanistan herrscht seit über 41 Jahren mehr oder weniger ununterbrochen Krieg. Um diesem Zustand zu ändern haben heute Mittag in der russischen Hauptstadt Moskau Gespräche begonnen, an denen neben afghanischen Staatsführungsvertretern, Stammesführern, Warlords und Taliban auch Politiker und Diplomaten aus Russland, den USA, China, Pakistan, der Türkei und dem islamistischen Golfemirat Katar teilnehmen.
Afghanische Regierung: Katar zu talibanfreundlich
Dort, in Katar, begannen im letzten Jahr vom paschtunischen US-Sondergesandten Zalmay Khalilzad vermittelte Gespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung. Letzere zeigte sich mit dem Standort zunehmend unzufrieden und kritisierte unter anderem, dass die Führung des Emirats zu talibanfreundlich sei. Deshalb forderte sie, die Gespräche auch woanders stattfinden zu lassen.
Ein Ort, in dem das im nächsten Monat geschehen soll, ist die alte osmanische Hauptstadt Istanbul. Hier herrscht eine Staatsführung, die einerseits islamistisch, aber andererseits auch Mitglied der Nato ist. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu betonte jedoch im Vorfeld, dieses Treffen sei aus seiner Sicht keine Alternative, sondern eine Ergänzung zu den Gesprächen in Katar.
Beteiligung der Taliban an einer Übergangsregierung?
Der russische Außenminister Sergej Lawrow äußerte sich dazu heute bei der Eröffnung der Konferenz nicht und meinte stattdessen, Fortschritte im Friedensprozess könnten nur die Afghanen selbst machen. Vor Beginn der Veranstaltung hatte seine Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa die Beteiligung der Taliban an einer Übergangsregierung als "logische Lösung" bezeichnet. Damit bezog sie sich auch auf ein Schreiben Antony Blinkens an die Staatsführung in Kabul, in dem der neue US-Außenminister eine "inklusive" Regierung anregt.
Blinkens Chef Joseph Biden überprüft gerade ein von seinem Vorgänger Donald Trump geschlossenes Abkommen mit den Taliban, das einen Abzug der in Afghanistan stationierten US-Soldaten bis zum 1. Mai 2021 vorsieht. Dem Sender ABC sagte der US-Präsident, das sei möglich, aber "schwierig". Die Taliban haben für den Fall, dass Biden die Soldaten bis dahin nicht abzieht, bereits verlautbart, sich dann nicht mehr an ihre Waffenstillstandszusage gebunden zu fühlen.
Niederländer sollen Bundeswehr schützen
Die deutsche Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nimmt das nach eigenen Angaben "sehr sehr ernst", wie sie der Presse gestern nach einer Videokonferenz mit Vertretern 15 anderer Länder sagte, die Soldaten in Afghanistan stationiert haben. Die Szenarien, auf die man sich vorbereite, begännen "bei Selbstmordattentaten mit selbst gebauten Sprengfallen" und gingen "bis hin zu einem wirklich komplexen und an mehreren Stellen gleichzeitig ausgeführten Angriff [mit] Geiselnahmen". "Um auf eine mögliche Verschärfung der Sicherheitslage unmittelbar reagieren zu können" werde die deutsche Infanterie in Masar-i-Scharif nun "um einen Mörserzug sowie weitere Anteile aus den Niederlanden" verstärkt.
Massoud Andarabi, der Innenminister Afghanistans, hält nichts von einem US-Truppenabzug bis zum 1. Mai: Seinen Angaben nach unterhalten die Taliban immer noch Kontakte zu al-Qaida und verstoßen damit gegen ihre im Abkommen mit den USA eingegangenen Pflichten. Außerdem könnten die afghanischen Sicherheitskräfte die Bevölkerung zwar auch alleine vor den Taliban schützen, müssten dabei aber mit schweren Verlusten rechnen.
Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network geht dagegen davon aus, dass die Taliban schon jetzt 50 bis 70 Prozent der Fläche Afghanistans kontrollieren. Genauere Angaben dazu könne man schwer machen, weil die Grenzen fließend seien und manche Afghanen sowohl an die Regierung als auch an die Taliban Abgaben entrichten müssten. Grundsätzlich beherrschten die Taliban aber eher die Dörfer, während die Regierung die Städte kontrolliere.
Anders als in den 1990er Jahren bestünden die Islamisten auch nicht mehr fast ausschließlich aus Paschtunen (vgl. Das Erbe des "Eisernen Emirs"): Im Norden des Mehrvölkerstaats hätten nun häufig Tadschiken und Usbeken die lokale Führung übernommen.
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