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Lawrow: USA wollen Nahen Osten neu formatieren

YPG und US-Armee im syrischen al-Hasaka. Bild: Qasioun News Agency / CC BY 3.0

Der russische Außenminister wirft der US-Führung vor, dass sie tatsächliche Pläne zur Aufspaltung Syriens verdeckt

"Russland verschärft den Ton im Syrien-Konflikt", berichtet [1] die Tagesschau am heutigen Sonntag. Zitiert wird der russische Außenminister Sergej Lawrow, der den USA vorwirft, dass sie den Nahen Osten "neu formatieren wollen" und dabei Syrien in Teile aufspalten wollen.

Erklärungen der USA zum Erhalt der territorialen Integrität Syriens seien bloße Worte, welche diese tatsächlichen Pläne verdecken, so die Einschätzungen Lawrows nach dem Treffen mit seinem iranische Kollegen Zarif und dem türkischen Außenminister Cavusoglu in Moskau, wie sie der Tagesschau-Bericht wiedergibt.

Die Luftangriffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs Mitte April auf Ziele in Syrien hätten die Lage sehr verschärft, so der Vorwurf des russischen Außenministers. Die beiden Themen Aufteilung Syriens und die Chemiewaffen hatte zuvor schon der französische Präsident Macron miteinander verbunden.

"Nichts zurückgeben"

Frankreich lässt seit längerer Zeit schon durch seinen Außenminister Le Drian wissen, dass es im Westen keinerlei Absicht gebe, das miliitärisch kontrollierte Gebiete in Syrien an eine Regierung unter Baschar al-Assad zurückzugeben (Rakka wird nicht an Baschar al-Assad zurückgegeben [2]). Macron verdeutlichte in seinen kürzlichen Aussagen [3], dass die Luftangriffe vom 14. April nicht bloß Vergeltung für einen Chemiewaffenangriff seien, sondern auch Teil einer Politik für ein "neues Syrien" (Macron: "Iran und al-Assad werden einen neuen Krieg vorbereiten" [4]).

Der gemeinsame Plan einer Neuordnung des Nahen Ostens wurde bei einer Pressekonferenz mit Trump und seinem Staatsgast Macron bekräftigt . Trump unterstrich noch einmal, dass es keine festgelegte Frist für den Abzug von US-Truppen aus Syrien gebe (Trump und Macron: Gegen die Hegemonie Irans den Nahen Osten neu ordnen [5]).

Es müssten bestimmte Bedingungen erfüllt sein, die nicht mehr wie noch vor wenigen Wochen allein von der Präsenz des IS abhängen, sondern nun deutlicher mit der Gefahr begründet werden, dass die Präsenz von Baschar al-Assad einen ständigen Nährboden für den Terrorismus liefere, der die Sicherheitsinteressen der USA und Frankreichs sowie anderer europäischer Staaten bedrohe.

Akzentverschiebung

Mit dieser Akzentverschiebung wird gerechtfertigt, was nicht mit dem Völkerrecht zu vereinbaren [6] ist. Jedoch wurde das Völkerrecht im Zusammenhang mit Syrien und der syrischen Regierung schon lange unterminiert. Es gab viele Medienberichte, welche den Standpunkt der US-Administration wiedergaben, wonach das Völkerrecht nur für Zonen gelte, in denen Baschar al-Assad tatsächlich auch die Herrschaft habe.

Die anderen Gebiete, die unter der Herrschaft des IS standen, würden als Territorium eines "gescheiterten Staates" nicht unter Maßgaben des Völkerrechts fallen. Dieses Argument findet sich, ohne eigens als Zitat gekennzeichnet zu sein, auch im neu erschienenen Buch "Arabisches Beben" des renommierten FAZ-Nahost-Experten Rainer Hermann wieder, was anzeigt, dass es ziemlich Boden gewonnen hat.

Die Legitimierung für die Kontrolle der USA eines nicht kleinen Teils von Syrien durch verbündete Kräfte, namentlich die SDF, wo die kurdische YPG dominiert, steht rechtlich auf sehr dünnen Brettern. Dessen ungeachtet lässt die US-Regierung augenblicklich unwidersprochen die Absicht über Medienberichte verbreiten, dass man erwägt, arabische Kontingente [7] in der "Kontrollzone" in Syrien einzusetzen, um den kurdischen Einfluss zu mindern, wie "Playbook-Schreiber" [8] der Think Tanks in Washington klarstellen.

Interessant ist, dass es zu Syrien immer wieder Aussagen gibt, die betonen, dass man den Konflikt politisch regeln müsse und die militärische Lösungen keine sind. Es zeigt sich aber, dass das Gegenteil wahr ist. Die Luftangriffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs haben dokumentiert, dass dieses Lager dazu bereit ist, seine Interessen in Syrien auch mit militärischer Gewalt durchzusetzen.

Interessen in Syrien militärsch durchsetzen

Es drängt sich der Eindruck auf, dass es sich dabei nicht so sehr um eine Abschreckung handelt, adressiert an Baschar al-Assad, keine Chemiewaffen mehr einzusetzen, sondern an die russische und iranische Führung, dass die Koalition aus USA, den Europäern, Israel und Saudi-Arabien bereit sind, ihre Interessen mit militärischer Gewalt in Syrien durchzusetzen.

Inwieweit das die Machtverhältnisse verändert hat, wird sich zeigen. Laut oben genannten Tagesschau-Bericht habe Lawrow "erneut die westlichen Staaten von der Suche nach einer Lösung ausgeschlossen". Macron, der - mit Einschränkungen - als Sprachrohr der Interessen des "Westens" gelten kann, hatte eine Syrien-Konferenz mit einem großem Tisch angekündigt, an dem auch Russland und Iran teilnehmen sollten.

Krieg gegen die OPCW

Auf die rechtliche Begründung der Militärschläge kommt es gar nicht so sehr an, wie der Streit um die Chemiewaffen-Angriffe in Ostghouta Anfang April und in Khan Scheichun vorführt. Der ständige russische Vertreter bei der Organisation für das Verbot der chemischen Waffen (OPCW), Schulgin, spricht [9], von einem "Krieg", den die USA, Frankreich und Großbritannien gegen die OPCW führen.

Dem drastischen, markanten Begriff steht aber gegenüber, dass das öffentliche Interesse an der Aufklärung des Auslösers für Luftangriffe ziemlich verblassen wird und bei nicht wenigen als Eindruck stehen bleiben wird, dass "das syrische Regime dafür verantwortlich ist". Die OPCW meldete [10] vergangene Woche, dass die Faktenfinder-Mission einen zweiten Ort in Douma untersucht habe. Die Ergebnisse der Untersuchung werden aber noch Zeit brauchen.

Eine russische Pressekonferenz bei der OPCW, die mit Zeugenaussagen und Fotomaterial, das - nicht nur in der Sicht Russlands oder Syriens [11] - Hinweise auf Manipulationen liefern soll, sollte bekräftigen, dass der Chemiewaffenangriff in Dhouma eine Inszenierung war. Sie wurde in der westlichen Öffentlichkeit so gut wie gar nicht wahrgenommen. RT berichtete [12].


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.tagesschau.de/ausland/lawrow-syrien-103.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Franzoesischer-Aussenminister-Rakka-wird-nicht-an-Baschar-al-Assad-zurueckgegeben-3868691.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Macron-lobt-perfekt-durchgefuehrten-Angriff-auf-Syrien-4024639.html?seite=all
[4] https://www.heise.de/tp/features/Macron-Iran-und-al-Assad-werden-einen-neuen-Krieg-vorbereiten-4030081.html
[5] https://www.heise.de/tp/features/Trump-und-Macron-Gegen-die-Hegemonie-Irans-den-Nahen-Osten-neu-ordnen-4032724.html
[6] https://www.heise.de/tp/features/Gutachten-des-Bundestags-Luftangriffe-in-Syrien-nicht-vom-Voelkerrecht-gedeckt-4028930.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/USA-suchen-arabische-Truppen-fuer-Syrien-4026068.html
[8] https://www.heise.de/tp/features/Die-beste-Option-in-Syrien-Russland-Iran-und-Assad-aus-dem-Land-vertreiben-4037292.html
[9] http://tass.com/politics/1002443
[10] https://www.opcw.org/news/article/opcw-fact-finding-mission-visits-second-site-in-douma-syria/
[11] https://climateaudit.org/2018/04/24/douma-videos-and-photos/
[12] https://twitter.com/EmbassyofRussia/status/990170858982461441