Macron lobt "perfekt durchgeführten" Angriff auf Syrien

Screenshot des Interviews, Mediapart/YouTube

Der Angriff sei legitim gewesen, habe keine Kollateralschäden verursacht und die Russen von den Türken getrennt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Frankreich ist ein bedeutender Akteur in Syrien, die Angriffe in der Nacht vom 13. auf den 14 April waren legitim und "perfekt durchgeführt". - der französische Präsident Emmanuel Macron zeigte sich in einem Interview am Sonntagabend (YouTube, ab 1:46:41) über jeden Zweifel an der Militäraktion erhaben.

Wie häufig zuvor zog er ehrgeizige Pläne aus der Tasche, von denen nicht klar ist, wie sie angesichts der herrschenden Kräfteverhältnisse umgesetzt werden sollen. Augenscheinlich hat Macron im Sinn, der Astana-Konferenz mit eigenen Vorschlägen Konkurrenz zu machen.

Das Thema Syrien war gleich der Auftakt des langen Gespräches mit dem Thema ein Jahr Amtszeit, das zwei Mediapart-Journalisten mit Macron führten. Das ausführliche Interview ist Teil einer gegenwärtigen Medienoffensive des Staatschefs, mit der er die französische Öffentlichkeit von seiner Politik überzeugen will. Seine Umfrageergebnisse sind schlecht. Macron wollte die Sache mit groß aufgezogenen Interviews selbst in die Hand nehmen.

Bei den Fragen der Mediapart-Journalisten Jean-Jacques Boudin und Edwy Plenel war die Absicht zu erkennen, dass beide darauf aus waren, Macron auf den Zahn zu fühlen. Mediapart, bekannt für Enthüllungsgeschichten, legt Wert auf seine journalistische Unabhängigkeit. Hofberichterstattung ist nicht ihre Sache, das wollten Boudin und Plenel von Anfang an dokumentieren.

Allerdings: Bei wichtigen Aspekten schonten sie Macron, so der Eindruck. Macron ist ein Interviewpartner, der schwer dazu zu kriegen ist, vom ausgeklügelten Script abzuweichen. Das war auch hier zu bemerken.

"Nur wenige Armeen in der Welt können das"

Wie man Frieden in Syrien machen kann, wenn man militärisch angreift - noch dazu im Zusammenwirken mit Trump -, war die kritische Linie, die die Interviewer bei Komplex Syrien ansetzten. Wie legitim die Angriffe waren, lautete eine Schlüsselfrage, die andere fragte danach, wie der politische Plan dazu aussieht.

Macron, der gleich zu Anfang die professionelle Arbeit der Soldaten lobte, dachte gar nicht daran, sich auf unsicheren Boden zu begeben. Einen derartigen Angriff, wie ihn Frankreich zusammen mit den USA und Großbritannien durchgeführt habe, würden nur wenige Armeen der Welt durchführen können.

Der Angriff sollte Werbung für das französische Militär und das strich Macron, der erst kürzlich mit einem Milliarden-Waffen-Deal mit Saudi-Arabien eine Erfolgsschlagzeile hatte, auch deutlich heraus. Bei Empfindlichkeiten gegen Gräueltaten im Jemenkrieg hält man sich sehr stark zurück. Der Vorwurf der Menschenrechtsverletzung ist eng mit politischen Interessen verbunden. Aber Moral, so lässt Macron auch verstehen, sei nicht seine Hauptsache.

Russland im Visier: Der "Komplize des syrischen Regimes"

Schnell wurde dazu klar, dass der Adressat der Aktion hauptsächlich Russland ist, dem die Nato ein öffentliches Zeichen setzen wollten: "Auch wir haben tolle Waffen, auch wir können zuschlagen". Macron griff in diesem Zusammenhang zu einem Topos der russischen Verhaltensweise, der spätestens seit der Ukraine-Krimkrise 2014 kursiert.

Der Westen wird in diesem Bild als zu nett ("trop gentil") dargestellt, weil der Kreml davon ausgehen kann, dass von dieser Seite nichts Tatkräftiges kommt, während man dort selbst für Zuschlagen ist und "weiter vormarschiert". Macron kann damit rechnen, dass die französische Öffentlichkeit mehrheitlich mit dieser Ansicht einverstanden ist.

Russland habe die Arbeit des UN-Sicherheitsrates durch seine Veto-Politik, die sich auf Seiten Syriens gestellt hat, unterminiert. Damit habe es sich zum "Komplizen des Regimes" gemacht - das Stichwort für "complice" lieferten die Journalisten, mit mehrfacher Insistenz - und die Resolutionen zu Syrien seien schließlich wirkungslos ("lettre mort") gewesen.

Damit legitimiert Macron die Angriffe von der Nacht von Freitag auf Samstag. Die UN-Resolution 2118 würde einen militärischen Einsatz als Reaktion auf einen Einsatz von Chemiewaffen unterstützen. Da Russland zusammen mit den USA eine Garantiemacht für die Einhaltung des Nicht-Einsatzes von Chemiewaffen ist, sei es seinen Pflichten nicht nachgekommen.

"Auch der Westen kann zuschlagen"

Bei den Angriffen sei es darum gegangen, zu zeigen, dass Baschar al-Assad nicht alles machen dürfe, so Macron. Die internationale Gemeinschaft müsse respektiert werden. Dafür habe man mit "extrem präzisen Angriffen" gesorgt, die "keinerlei kollateralen Schaden" angerichtet hätten.

Was er angekündigt habe - dass die Alliierten Syriens, Russland und Iran, durch die Angriffe keinen Schaden erleiden dürfen, sei auch so durchgeführt worden, betonte Macron. Daher sei es auch zu keinen eskalierenden Reaktionen gekommen. Zwar hätten Russland und Iran den Angriff schärfstens verurteilt, aber zu mehr hätten sie sich nicht entschlossen.

Es war Macron anzumerken, dass er sich an dieser Stelle über die Anwendung einer beinahe russischen "ruse" (Gewitztheit) freute, die wie oben erwähnt, Macrons Meinung nach darauf baut, dass der Gegner der eigenen Vorwärtsaktion keine harte militärische Antwort folgen lässt.

Bemerkenswert ist, dass Macron als Erfolg der Aktion nannte, dass man die Türkei von Russland getrennt habe ("separé les russes des turcs"). Eine solche Offenheit ist nicht selbstverständlich; die meisten Politiker, die sich bislang hinter den Angriff stellten, verwiesen lediglich auf das "Giftgas-Problem".

Dass Macron diesen taktischen Erfolg - die Türkei hatte sich nach dem Raketenangriff auf die Seite ihrer Nato-Partner gestellt und damit gegen Russland - herausstrich, zeigt an, wie sehr die Nato-Länder durch die Annäherung der Türkei an Russland bei der türkischen Intervention in Afrin irritiert waren.

Die Nato will in Syrien mitreden

Macrons Aussage verdeutlicht auch, dass der Militärschlag der drei Nato-Länder in der strategischen Bedeutung und Ausrichtung weit über das "Giftgasproblem" hinausgeht.

Der unterstellte Giftgasangriff war ein Anlass. Politisch ging es darum, kräftig auf den Nahost-Tisch zu hauen, um deutlich zu machen, dass man bei der Zukunft Syriens mitreden wird, wenn es sein muss mit eigenen direkten militärischen Interventionen, nicht nur über Milizen-Proxies. Pläne ohne Einbeziehung der Interessen des Westens, ohne die Nato, gehen nicht, heißt die Botschaft.

Dazu passt, dass Macron gestern diplomatische Ideen auftischte, deren Konkurrenz zur Astana-Konferenz unübersehbar ist. Nachdem die Genfer Gespräche deutlich an Relevanz verloren hatten, weil sich die Oppositionellen stur an ihre Forderung hielten, dass Baschar al-Assad gehen müsse, war Astana die internationale Zusammenkunft, auf deren Ergebnisse geachtet wurde, die Deeskalationszonen sind ein Beispiel dafür.

Putin hatte Astana gegen die Genfer Gespräche ausgezeichnet, in dem er rühmte, dass dort die Nationen zusammenkämen, die tatsächlich Einfluss in Syrien hätten: Russland, Iran und die Türkei, die USA waren auch eingeladen, spielten aber auf der offenen Bühne mehr oder weniger die Rolle des Zaungastes.

Gestern kündigte Macron an, dass er schon lange die Idee zu einer großen Konferenz habe, wo auch Iran und Saudi-Arabien am Tisch sitzen. Als die Journalisten darauf drängten, wie schwer es zu realisieren sei, dass der Kronprinz als Vertreter der sunnitischen Regionalmacht am selben Tisch mit einem iranischen Vertreter sitzen werde, schraubte Macron seine Ambitionen etwas zurück und sprach davon, dass er auf jeden Fall mit türkischen und iranischen Vertretern verhandeln wolle. Man müsse sprechen. Im Hintergrund dieser Initiative steht Macrons Absicht, das Nuklear-Abkommen mit Iran aufrechtzuerhalten.

"Unser Ziel ist es, den sunnitischen und schiitischen Islam an einen Tisch zu bringen. Frankreich hat seit Beginn eine Rolle in der internationalen Gemeinschaft: Weiterhin mit allen Teilnehmern zu sprechen und im Nichteinverständnis mit den USA zu sein, was die Abmachung mit Iran angeht."

Ein langsamer Regime Change

Wie Macron im Interview veranschaulichte, verweigert sich die offizielle Position des Westens, wie Trump und die USA gleich nach dem Angriff auch erklärten, selbstverständlich dem Vorwurf mit dem Reizwort "Regime change". Man setzt dennoch auf langfristige Veränderungen an der Führungsspitze in Damaskus, wie Macron sehr deutlich machte.

Man sei langfristig auf eine friedliche Lösung in Syrien ausgerichtet, so Macrons Antwort auf die Frage, wie der Militärschlag zu mehr Frieden beitrage. Das "Regime" habe jetzt gemerkt, dass es sich nicht alles erlauben dürfe; mit den Angriffen seien die Resolutionen zu Syrien neu belebt worden - und die sähen einen Übergang vor ("Transition"), eine neue Verfassung, Reformen und, so deutete Macron vernehmbar an, eine neue Regierung.

Zu schließen ist daraus, dass man einiges tun wird, um Assad nicht als glänzenden Sieger aussehen zu lassen. Zumindest sieht so die Rechnung ohne die andere Seite aus.

Zweifel am Chemiewaffenangriff: Einfach zur Seite wischen

Macron konnte weitgehend unbelästigt die genannten großen Linien vorstellen. Die Journalisten ließen ihn gewähren, als er erklärte, dass Baschar al-Assad für einen Chemiewaffenangriff verantwortlich sei, über den es noch immer kein tatsächlich solides Wissen gibt.

Zentrale Vorwürfe und Aussagen der Anklage stammen von "open source"-Quellen, namentlich von den Weißhelmen und ihrem Kooperationspartner, der Syrian American Medical Society (SAMS). Beide sind keine verlässlichen, unabhängigen Quellen. Das ist auch in der französischen Öffentlichkeit bekannt, dennoch gab es keine kritischen Nachfragen zur Sache.

Anlass dafür hätte es genug gegeben. Auch das französische Gutachten, das eindeutige Beweise liefern sollte, stützt sich fundamental auf Material der beiden Organisationen, bei denen eine Nähe zur syrischen Opposition offenkundig ist.

Zum anderen hätte es für das öffentliche Vertrauen in den Journalismus gut getan, wenn die beiden Mediapart-Journalisten bei der Behauptung nachgehakt hätten, dass die Angriffe vom 13/14. April tatsächlich die verbotene syrische Produktion von Chemiewaffen unterbunden haben.

Und die Erkenntnisse eines OPCW-Berichts?

Zwar hat Macron nicht verraten, welches Ziel die französischen Raketen trafen, aber wie gestern in kritischeren französischen Journalistenkreisen verbreitet wurde, gibt es einen OPCW-Bericht von März 2018, wonach ein Ziel der Angriffe, Barzeh, im November vergangenes Jahr untersucht und dort nichts gefunden wurde, keine Spur einer Produktion.

Das unterstützt die Aussage der syrischen Regierung, wonach man keine Chemiewaffen mehr hergestellt habe und dass in der Forschungstelle in Barzeh längst nicht mehr an Chemiewaffen gearbeitet wurde. Zum Beweis des Gegenteils hätte es auch andere Möglichkeiten gegeben, statt mit einem Angriff die Beweisaufnahme zu erschweren.