Lebenslänglich für Inhalte in Radiosendungen und Zeitungen, die töten

Medienchefs für Mordaufrufe von UN-Gerichtshof verurteilt

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Deutsches Radio erzeugt heute höchstens Hass, weil es dumm daherredet und dudelt (Stoppt den Dudel!). Von 1933 bis 1945 sah das anders aus. In den USA sind polemische Talk-Shows dagegen auch heute nichts ungewöhnliches und in unstabilen Ländern wird im Radio und in Zeitungen auch schon mal offen zu Mord und Völkermord aufgerufen.

In Ruanda hetzten die passenderweise "Radio Machete" und "Hate Radio" genannten Stationen der 1993 gegründeten "Radio Télévision does Mille Coulines" (RTLM) sowie die zweiwöchentlich erscheinende radikale Kangura-Zeitung 1994 kräftig gegen die größte Einwohnergruppe der Tutsi und die vermittelnd eingreifenden Hutu. Mit durchschlagendem Erfolg: Über 800.000 Tutsi wurden von April bis Juli ermordet. Zehntausende Ruander gingen auf ihre Nachbarn los, nachdem sie von Radio und Zeitung dazu angestachelt wurden, die die Tutsi als Zecken und Küchenschaben titulierten.

Da die Medienmacher ihre Propaganda ausdrücklich als "Krieg mit Worten, um den Krieg mit Kugeln zu unterstützen" organisiert hatten, wurden sie nun von der UN, genauer dem Internationalen Kriegsverbrecher-Gericht für Ruanda (ICTR, verurteilt: Wegen Völkermord, Anstiftung zum Völkermord, Verschwörung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verfolgung und Ausrottung der Tutsi wurde Ferdinand Nahimana, der Gründer und Chefideologe der RTLM, zu lebenslänglicher Haft verurteilt, ebenso Hassan Ngeze, Chefredakteur der Kangura-Zeitung. Jean-Bosco Barayagwiza, der im Aufsichtsrat der RTLM saß und zudem die CDR (Coalition for the Defence of Republic), eine radikale politische Partei, gegründet hatte, die die Hutu gegen die Tutsi aufhetzte, erschien nicht vor Gericht und wurde in Abwesenheit zu 35 Jahren Haft verurteilt.

Die ICTR betonte, dies sei die erste derartige Verurteilung, seit Julius Streicher 1946 in den Nürnberger Prozessen als Herausgeber der Nazipostille "Der Stürmer" von den Alliierten zum Tode verurteilt worden war. Der Vorsitzende Richter Navanethem Pillay sagte zu Ferdinand Nahimana, er habe die Macht des Radios mit voller Absicht genutzt, um mit faschistischen Reden und entsprechender Musik Hass und Gewalt zu säen und so ohne physische Waffen den Tod Tausender unschuldiger Zivilisten zu verursachen. Die Kungura-Zeitung wiederum brandmarkte in Cartoons die Tutsi regelmäßig als Lügner, Diebe und Mörder und die Tutsi-Frauen als Schlampen. Eine Ausgabe bezeichnete Hutu, die eine Tutsi heirateten, als Verräter. Da die drei Verurteilten hier systematisch zusammenarbeiteten, um die Tutsi auszurotten, fielen ihre Veröffentlichungen auch nicht mehr unter das Recht zur freien Rede, so das Gericht.

Der Prozess wurde im Oktober 2000 begonnen und durch Übersetzungsprobleme verzögert: Tausende Bandaufzeichnungen mussten von Kinyarwanda für die Jury in Englisch und Französisch übersetzt werden. Nahimana und Barayagwiza waren Ende März 1996 in Kamerun verhaftet worden, Ngese im Juli 1997 in Kenia.

Menschenrechtsorganisationen und die "Reporter ohne Grenzen" lobten das Urteil. auch wenn einige juristische und Medienberater befürchten, dass Unterdrücker-Regime das Urteil zu ihren Gunsten ausnützen könnten, um missliebige Journalisten kalt zu stellen. Reed Brody, Rechtsberater der Human Rights Watch, betonte:

Dies ist das erste Mal, dass Journalisten für ihre Beteiligung an Völkermord verurteilt wurden und ich denke, es wird die Hassprediger wachrütteln, dass sie nicht ungestraft zu Genozid oder "ethnischen Säuberungen" aufrufen können.