Lebensretter werden zu Kriminellen erklärt

Seite 3: Selbst wenn ein Krimineller einem Flüchtling hilft, macht es dessen Flucht nicht kriminell

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Die Bundestagsexpertise weist auf ein grundsätzliches Problem hin. Der vorgebliche Kampf gegen kriminelle Schleuser kollidiert, wenn er sich gegen Flüchtlinge richtet, mit Jahrhunderte alten maritimen Traditionen und einem entwickelten internationalen Seerecht, das streng human ausgerichtet ist. Die Rettung von Menschenleben hat oberste Priorität. Wer aber Flüchtlingsabwehr um jeden Preis betreibt, sorgt dafür, dass dieses See-Menschenrecht geschliffen wird.

Der Kern des Widerspruches liegt bereits darin, dass zwischen Maßnahmen gegen kriminelle Schleuserbanden und dem legitimen Recht von Menschen, in Europa Schutz zu suchen, nicht unterschieden wird. Selbst wenn ein Krimineller einem Flüchtling hilft, macht es dessen Flucht nicht kriminell und sein Asylrecht nicht illegal. Diesen Unterschied zu respektieren, würde jede Flüchtlingshilfe vom Vorwurf befreien, Schmuggler zu sein oder Schmugglern zu dienen.

Inzwischen mischt sich in die Auseinandersetzungen um Rettung oder Nicht-Rettung von Schiffbrüchigen ein weiterer Akteur ein: Die rechtsradikal gesinnte "Identitäre Bewegung" (IB). Sie will mit einem eigenen Schiff Rettungsaktionen der NGO-Schiffe stören und selber Flüchtlinge aufzunehmen, um sie dann nach Libyen zurückzubringen. Man könnte das auch als Hilfsassistenz der EU und ihren einschlägigen Politikern werten - die Identitären setzen um, was die Etablierten fordern.

Zugleich könnte man der IB für diese Zuspitzung fast dankbar sein, denn was sie vorhat, ist illegal. Auch das hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in seinem Gutachten festgestellt. Der Kapitän eines Schiffes, das ein anderes Schiff bei einer Seenotrettung behindert, mache sich strafbar. Und die Rückführung von Menschen nach Libyen ist nach deutschem Recht unzulässig, solange die menschenrechtliche Situation in dem nordafrikanischen Land ist, wie sie ist. Das Auswärtige Amt spricht mit Blick auf Libyen von "allerschwersten Menschenrechtsverletzungen" und von "KZ-ähnlichen Verhältnissen in Flüchtlingslagern".

Jedoch: Dass die IB überhaupt in dieser provokativen Art und Weise auftreten und die Situation im Mittelmeer, wo sich unablässig menschliche Dramen abspielen, lächerlich machen kann, hängt ganz wesentlich mit der repressiven EU-Politik und der sie begleitenden entsprechenden Rhetorik gegen die zivilen Lebensretter zusammen.

Nachdem das Schiff der IB zunächst in Nordzypern kurzzeitig von den Behörden festgehalten wurde, weil es Probleme mit den Dokumenten gab, soll es jetzt wieder auf dem Weg Richtung Libyen sein.

Warum wurde die "Iuventa" aus dem Verkehr gezogen? Eine Erklärung gibt es bisher nicht. Noch ist nicht bekannt, was der Crew konkret vorgeworfen wird. Vielleicht ist es ein Exempel, ein Testballon, um zu schauen, ob es Proteste gibt.

Vielleicht wurde die Organisation Jugend rettet ausgesucht, weil sie einen neuen Typus des Seenotretters verkörpert. Aktivisten, die auf die politisch motivierten Angriffe gegen die NGOs offensiv reagieren und ihre Rettungsaktionen ihrerseits mit politischen Botschaften verbinden. Jede Mission widmen sie einem Politiker, der ihrer Ansicht nach gegen Flüchtlinge handelt. Die erste galt dem deutschen Innenminister, die zweite der deutschen Verteidigungsministerin, eine andere dem österreichischen Außenminister.

Derweil lassen sich weitere Rettungswillige durch das fragwürdige Vorgehen des EU-Landes Italien nicht einschüchtern. Mit "Mission Lifeline" steht eine deutsch-spanische Organisation in den Startlöchern, um ab September mit einem eigenen Schiff Rettungseinsätze im Mittelmeer zu fahren. Den Code of Conduct unterschreiben sie nicht. "Wir nehmen keine bewaffneten Leute auf unserem Schiff mit", erklären sie.