Lebenstipps: Philosoph Dr. Christoph Quarch über Einsamkeit

SWR-Frühstücks-Quarch fordert proaktives Suchen nach Kontakten. Auf zu den Doppelaxtfreunden Rippolingen e.V.?

Der Philosoph Dr. Christoph Quarch hat kürzlich auf SWR unter dem Titel "Frühstücks-Quarch" ein Interview zum Thema Einsamkeit gegeben. Er sieht den Grund für die derzeit so hohen Einsamkeitswerte in unserer "geistigen Matrix".

Moderne Einsamkeit sei so etwas wie der "lange Schatten des neuzeitlichen Subjektivismus", einer Denkweise, die den einzelnen Menschen "zum Dreh- und Angelpunkt der ganzen Welt erklärt".

Raus aus der Komfortzone, rein in die "Schwarzwald-Klinik"

Dabei seien heutzutage doch durch die medialen Möglichkeiten unzählige Angebote vorhanden, um sich zu vernetzen, sozial einzubringen und dann nimmermehr einsam zu sein. Darum sei an seiner Einsamkeit jede(r) selber schuld.

Man müsse eben einfach die eigene Komfortzone verlassen und proaktiv nach Kontakten und irgendwelchen Vereinen Ausschau halten. Dann ist alles wieder gut.

Tatsächlich überkommt einen bei Quarchs Worten wirklich der Gedanke an den Spontaneintritt in einen Verein. Beispielsweise in einen Schützenverein. Oder die Doppelaxtfreunde Rippolingen e.V. böten sich fast noch ein wenig mehr an.

Denn es ist ein klein wenig verletzend, was dieser Sascha Hehn der Philosophie da verlauten lässt. Der Vergleich mit dem in den 1980ern von Hehn gespielten Arzt aus der "Schwarzwald-Klinik" ist nicht der beide einenden Yuppi-Seitenscheitel-Frisur geschuldet – sondern der Parallele des Ratschlags von einem Doktor.

In der "Schwarzwald-Klinik" hätte der Rat auch gefruchtet. Da hätten die Einsamen noch dazu in das Vereinsangebot vor Ort gepasst. Aber im heutigen Alltag klappt das oft nicht so gut. Würde der Eintritt in einen Briefmarkenverein oder eine Suppenküche Einsamen helfen, würden solche Institutionen überquellen.

Aber wann und wie sollten Einsame auch noch anderen helfen, wenn sie den Tag über für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen – und vielleicht vor lauter Einsamkeit schon so ausgebrannt sind, dass erst ihnen geholfen werden müsste, um sie dann anderen helfen können?

Käfiggeruch

Auch Briefmarken und Suppenküchen stellen Mindestanforderungen an geistige Leistungsfähigkeit und Frustrationstoleranz. Gerade die. Noch dazu liegt das Vereinsleben nicht jedem und in noch so manchem Verein ist man ein Paria, wenn man nicht mit dem halben Vorstand verwandt ist.

Schon Kierkegaard wusste, dass eine solche Einsamkeit inmitten von Artgenossen die schmerzhafteste aller möglichen ist. Da wäre man dann lieber allein daheim geblieben.

Denn Menschen sind nicht immer nur nett. Manchmal sind sie wie Wellensittiche und wirken liebenswert. Aber wenn einer unter ihnen keinen anerkannten Käfiggeruch hat, Schwäche zeigt oder gar krank ist, wird der gnadenlos zerhackstückt. Das ist unter Menschen viel zu oft genauso.

Wer in einer Fußgängerzone zusammenbricht, dem hilft meist erstmal keiner. Wer auf dem Standstreifen einer Autobahn liegen bleibt, wird allein dort bleiben, bis ein ganz rechts außen fahrender Schweizer auf ihn trifft.

Wer für einen Artikel über Einsamkeit entsprechende Forschungsstellen kontaktiert, bekommt keine Antwort. Rechercheanrufe bei der Telefonseelsorge schlagen fehl, weil die Leitungen dauerbesetzt sind. Fachstellen von der Caritas oder der Diakonie raten bei Einsamkeit zur Konsultation von Freunden und Familie.

Gäbe es solche, gäbe es zwar die Einsamkeit nicht. Trotzdem ist dieser Rat sinnvoll. Er erinnert an die Vorteile der Einsamkeit. Denn "wer einsam ist, der hat es gut, weil keiner da, der ihm was tut" (Wilhelm Busch).

Praise Schopenhauer!

Einsamkeit ist ein stärkeres Gesundheitsrisiko als Rauchen oder Trinken. In archaischen Gesellschaften war es sogar die grausamste Art der Todesstrafe, Menschen aus der Gemeinschaft auszuschließen, viel schlimmer als die Konsultation eines hauptberuflichen Henkers. Wurde jemand verurteilt und in den Wald geschickt, starb derjenige meist innerhalb von drei Tagen.

Dass das heutzutage anders ist, liegt am neuzeitlichen Subjektivismus. Da ist es doch dann wieder schön, dass wir ihn haben. Praise Schopenhauer! Denn wer es sich auch als alleinstehendes Subjekt wert ist zu leben, der hält deutlich länger durch als drei Tage – aber nur solange, bis ihn das unausweichliche Defizit an bestimmten Hormonen herunterdrosselt, die nur im gepflegten Miteinander ausreichend produziert werden.

Längere Defizite in den Melatonin- und Serotonin-Kurven sind ab einem bestimmten Punkt nicht mehr ohne Medikamente auszugleichen, so dass dann ein Vereinsabend die Lage eher verschlimmert als verbessert.

Wer lange genug einsam ist, funktioniert in seiner Welt völlig anders als im Kollektivverband eines Sozialnetzes, egal wie groß oder engmaschig das ist.

Parallelwelt

Eine Konversation in der Parallelwelt der "normalen" Menschen zu führen und dann nach Abbruch des Gesprächs nicht jedes gefallene Wort sofort wieder zu vergessen, ist unmenschlich groß. Die Welt der anderen und die eigene trennt ein tiefer Abgrund. Beides gleichzeitig geht nicht.

Irgendwann erledigt sich das Problem von alleine, weil der Betroffene ohne Hilfe von außen seelisch und geistig zusammenbricht. Nicht ohne Grund muss im Rahmen einer Isolationshaft im Gefängnis eine halbe Stunde am Tag Kontakt mit anderen Menschen gewährleistet werden, weil das Ganze sonst in Folter übergehen würde.

So mancher Einsame wäre also im Gefängnis besser dran als daheim. Er würde auf der Suche nach einem Lächeln am Tag nicht völlig unschuldige Verkäuferinnen immer wieder über die derzeitige Wetterlage unterrichten oder anderen Menschen auf der Straße nachlaufen, um scheinbar zufällig ins Gespräch zu kommen.

Wer Kontaktierungs-Tricks kennt, bei denen man nicht Gefahr läuft, als Stalker angezeigt zu werden, möge die bitte in die Kommentare schreiben.

Dass man als Einsamer bei anderen, nicht einsamen Menschen in der Nachbarschaft unterkommt, ist ein denkbar seltener Glücksfall und in den Städten sicher fast unmöglich. Denn meistens übersehen Menschen die Einsamen unter ihnen wie PALs in den Büchern von Douglas Adams.