Lebten auf dem Mars Myriaden von Mikroben?
US-Forscherteam ist sich sicher: In dem Mars-Meteoriten ALH 84001 sind Spuren von Leben vorhanden
Die unendliche Geschichte um den kontrovers diskutierten Mars-Meteoriden ALH84001 ist um ein Kapitel reicher geworden. Nach mehrfachen Untersuchungen der in Karbonat-Einschlüssen eingelagerten mikroskopischen Magnetit-Kristalle, die von Bakterien produziert worden sein sollen - so jedenfalls die Behauptung einiger NASA-Forscher -, wurden jetzt die im Marsgestein eingeschlossenen ovalen Magnetit-Kristalle so gründlich untersucht wie noch nie zuvor. Nach dreijährigem intensiven Studium stellt die US-Wissenschaftlerin und Projektleiterin Kathie Thomas-Keprta in der Fachzeitschrift "Applied and Environmental Microbiology" nunmehr die Forschungsergebnisse vor. Und diese haben es in sich: Für das neunköpfige Wissenschaftler-Team besteht jetzt kein Zweifel mehr daran, dass der legendäre Mars-Meteorit ALH84001 Kristalle enthält, die von Bakterien generiert wurden. Mit anderen Worten: Der Mars war in seiner Jugendzeit ein Planet des Lebens.
Über die Nachricht staunten seinerzeit selbst Insider nicht schlecht. Als die NASA der Weltöffentlichkeit am 6. August 1996 in einer überraschend einberufenen, aber dennoch vielbeachteten Pressekonferenz vor laufenden Kameras einen kleinen, unscheinbaren Stein präsentierte, der nach Auskunft der NASA-Forschergruppe um David S. McKay vom Johnson Space Center vom Planeten Mars stammte und in dessen Innern man auf wurmartige Strukturen gestoßen war, die von bakterienartigen marsianischen Lebensformen herrührten, schien die Sensation perfekt. In Windeseile verbreitete sich die Meldung rund um den Globus, dass in dem tausendneunhundertvierzig Gramm schweren und kartoffelknollen-großen Meteorit offensichtlich fossile Überreste einer mikrobenähnlichen außerirdischen Lebensform schlummerten. Bis in die abgelegensten Winkel der Welt drang die Kunde vor, dass wir Menschen in unmittelbarer Nachbarschaft einmal Brüder im All gehabt haben, wenngleich diese anno dazumal nicht über das Stadium einer Mikrobe hinausgekommen waren.
Herkunft des kosmischen Fossils unzweifelhaft
Wohl kaum ein anderer Stein in der Menschheitsgeschichte wurde bis auf den heutigen Tag so eingehend und kritisch unter die Lupe genommen, wie der inzwischen schon fast legendäre Mars-Meteorit ALH84001, der am 27. Dezember 1984 von einem Team der National Science Foundation in der Antarktis aufgelesen wurde und dessen Herkunft chemische Labortests bestätigten: Die Isotopenverhältnisse des Sauerstoffs in dem Meteoriten und die dort eingeschlossenen Edelgase sowie und die Isotopencharakteristik der Stickstoff-Einschlüsse korrespondierten mit den "Viking"-Ergebnissen von 1976. ALH84001 war ein Abgesandter des Roten Planeten. Auch das Alter des kleinen Gesteins sprach für eine marsiane Abstammung.
Die Untersuchungen ergaben, dass der graubraune, kantige Brocken schon stolze 4,5 Milliarden Jahre auf dem Buckel hatte, also unmittelbar nach der Entstehung des Roten Planeten entstanden sein musste. Alles sprach dafür, dass das Gestein nach einem Impakt-Ereignis auf dem Mars auf Mutter Erde niederging. Wahrscheinlich kollidierte ein Planetoid oder Komet vor zirka 16 Millionen Jahren mit dem Roten Planeten und schleuderte dabei große Mengen von Marsgestein in den interplanetaren Raum. Nach einem weiteren Zusammenstoß im All wurde der Meteorit dann vor 13.000 Jahren auf die Erde geschleudert.
Noch beeindruckender als die Ergebnisse der chemischen Analysen waren aber die Bilder der vermeintlichen Mikroben selbst, deren Umrisse dank elektronenmikroskopischer Vergrößerung deutlich zu sehen waren. Heute kann sich jeder, ob Anhänger oder Kritiker der Exo-Mikroben-Theorie, der einen Blick in den Mikrokosmos wagt, via Internet davon überzeugen, dass in dem fossilen Stein tatsächlich zahlreiche bizarre Abdrücke winziger, fadenförmiger Strukturen zu erkennen sind, die stark an eine Kolonie versteinerter irdischer Stäbchenbakterien erinnern, wobei im wahrsten Sinne des Wortes "förmlich" ins Auge fällt, dass die mikroskopisch kleinen Nanostrukturen (d.h. Größe im Nanometerbereich) hundertmal kleiner waren als ihre irdischen "Kollegen".
Natürlich dauerte es seinerzeit nicht lange, bis sich die ersten Kritiker zu Wort meldeten. Dabei fokussierte sich deren Kritik vornehmlich auf die Frage, ob die vermeintlich fadenförmigen Strukturen, die auch in einem weiteren Marsmeteoriten entdeckt wurden, de facto auf irgendwelche Lebensformen zurückzuführen sind oder nichts anderes als kristallähnliche Strukturen waren. Insbesondere die Theorie von den "Magnetofossilien", mit der NASA-Wissenschaftler 1996 an die Öffentlichkeit traten, geriet ins Kreuzfeuer der Kritik. Bis auf den heutigen Tag geht die Diskussion, in der bislang alle denkbaren Pro- und Contra-Argumente angeführt wurden, unaufhörlich weiter. So kam nach einer erneuten Untersuchung des Gesteins im vergangenen November ein Forscherteam um Peter Buseck von der Arizona State University zu dem Ergebnis, dass es "keine ausreichende Hinweise" auf einen organischen Ursprung der Magnetik-Kristalle gäbe.
Kathe L. Thomas-Keprta glaubt an Leben auf dem Mars
Sechs Jahre nach der legendären Pressekonferenz wartet jetzt die US-Raumfahrtbehörde mit einer neuen Meldung auf, die ganz gewiss den Diskurs wieder anheizen wird. Denn ein US-Wissenschaftlerteam hat neue Indizien dafür gefunden, dass in dem legendären Marsmeteoriten doch Spuren von fremdartigen Leben vorhanden sind. Wie die Teamleiterin und NASA-Astrobiologin Kathie L. Thomas-Keprta in der Zeitschrift Applied and Environmental Microbiology in einem Beitrag jüngst explizierte, ergaben langjährige Laboruntersuchungen, dass 25 Prozent des "magnetotaktischen" Materials in ALH84001 durch Bakterien auf dem Mars generiert worden sind.
Um den Nachweis von in dem Marsgestein eingeschlossenen Lebensspuren führen zu können und dabei aufzuschlüsseln, inwieweit die Anwesenheit der Kristalle anorganisch bedingt ist oder auf Bakterien zurückgeht, untersuchten die Wissenschaftler sechs Biosignaturen. Im Gegensatz zu den bisherigen Analysen, bei denen nur einzelne Eigenschaften der Kristalle berücksichtigt wurden, studierten die Forscher dieses Mal erstmals alle sechs physikalischen und chemischen Eigenschaften der Kristalle. Da auch auf der Erde so genannte magnetotaktische Bakterien bei verschiedenen anorganischen Prozessen entstehen und dementsprechend häufig vorkommen, fokussierten sich die Forscher ausschließlich auf das Mineral Magnetit.
Magnetit erzeugende Bakterien fühlen sich auf unserem Planeten insbesondere in wässrigen Umgebungen pudelwohl. Von anorganisch erzeugten Kristallen unterscheiden sich die irdischen Mikroben dadurch, dass sie keine Kristalldefekte aufweisen, also chemisch "rein" sind. Derlei Bakterien weisen zum einen eine charakteristische Größe und Form auf, zum anderen besitzt eine bestimmte Gruppe von ihnen (MV-1) ein Kristallgitter, das eine Kette von etwa zwölf wohlgeordneten Magnetit-Kristallen in den Zellen bildet. Gehen die Bakterien auf Nahrungssuche, dann nutzen sie diese Ketten von Magnetit-Kristallen im Innern ihrer Zellen wie einen Kompass. Alle diese Bakterien stellen nur einen einzigen bestimmten Typ der Kristalle her, die etwa 30 bis 120 Nanometer (Milliardstel Meter) groß sind.
Fanden bereits bei früheren Untersuchungen die Forscher heraus, dass etwa ein Viertel der winzigen Magnetitkristallen in ALH84001 bemerkenswerte physikalische und chemische Ähnlichkeiten mit den von den irdischen Bakterien gebildeten Magnetitpartikeln haben, so konnte Kathie Thomas-Keprta mitsamt ihrem Team diesen Verdacht vollauf bestätigen, ja mehr noch als das: "Keine nichtbiologische Magnetit-Population, die natürlich oder im Labor entstand, hat je unsere Kriterien für eine biologische Signatur erfüllt," erklärt Kathie L. Thomas-Keprta. "Das bedeutet das ein Viertel der Magnetitkristalle, die in den Karbonaten des Marsmeteoriten ALH84001 enthalten sind, einen biologischen Einfluss benötigen, um ihre Gegenwart zu erklären." Nach den neuen Untersuchung könne man die Magnetite in ALH84001 am besten als eine Mischung aus biologischen und anorganischen Prozessen erklären, die auf dem frühen Mars aktiv waren, betont die NASA-Astrobiologin.
Magnetische Kompassnadeln
Bei alledem kommt der Magnetitkristall-These zugute, dass sich die Indizien, die für die Entstehung und Entwicklung von Leben auf dem "archaischen" Mars sprechen, sukzessive mehren. Die bislang vorgefundenen ausgetrockneten Flussläufe auf dem Mars und dort vorhandenen Strömungsspuren an Kratern oder Küstenlinien, die von einem ehemaligen Ozean stammen müssen, belegen eindrucksvoll, dass auf dem Mars früher einmal reichlich Wasser geflossen sein muss. Deshalb gehen viele Experten davon aus, dass an den Marspolen gefrorenes Wasser und in bestimmten dünnen Wolken die gasförmige Variante davon anzutreffen ist.
So vermag es nicht zu verwundern, dass das Gros der Marsforscher auf dem Roten Planeten in tieferen Schichten oder in anderen Regionen primitive Lebensformen oder zumindest Spuren ehemaligen Lebens vermutet. Für den NASA-Wissenschaftler Dr. Irme Friedmann besteht kein Zweifel daran, dass auf dem Mars zumindest in grauer Vorzeit einmal Mikroben gelebt haben. "At the same time that life appeared on Earth, it also appeared on Mars". Auch Frau Dr. Gerda Horneck, die sich seit vielen Jahren als Leiterin des Arbeitsschwerpunktes Strahlenbiologie am Kölner Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin des DLR intensiv mit exobiologischen Fragen auseinandersetzt, übt sich in Optimismus: "Es gibt plausible Gründe dafür, dass Lebensspuren auf dem Mars existieren könnten. Sollten wir tatsächlich welche finden, so wäre klar: Leben gehört zum kosmischen Standard."
Bereits im März dieses Jahres konnte die NASA-Raumsonde 2001 Mars Odyssey nach dem Auftakt ihrer offiziellen Arbeitsphase gleich einen ersten Erfolg für sich verbuchen, als sie mit Hilfe des Gammastrahlen-Spektrometers erstmals in offizieller Mission die Oberfläche des Roten Planeten untersuchte und dabei in der Nähe des Südpols gleich auf Anhieb beträchtliche Mengen Wasserstoff entdeckte, die nach Angaben der Wissenschaftler in einer Eisschicht, also gefrorenem Wasser eingebettet sind. "Die ersten Daten des Gammastrahlen-Spektrometers deuten darauf hin, dass es dort sehr wahrscheinlich Wasserstoff knapp unter der Marsoberfläche gibt", so Dr. Jim Gravin, der leitende Wissenschaftler des MARS Exploration Program im NASA-Hauptquartier in Washington ( D.C.).
Nicht zuletzt scheinen auch die im Juni veröffentlichten Daten der Raumsonden-Missionen Mars Global Surveyor und Mars Odyssey die Theorie der magnetischen "Kompassnadeln" zu bestätigen. Danach besaß der Mars vor 4,5 Milliarden Jahren, als ALH84001 seine Geburt feierte, ein starkes Magnetfeld. Zu diesem Zeitpunkt waren für die archaischen Bakterien die Voraussetzungen und Bedingungen geradezu ideal, um magnetische Materialien erzeugen zu können. "Unsere beste Arbeitshypothese ist die, dass der junge Mars die Entwicklung von Bakterien ermöglichte, die mehrere Eigenschaften mit den Magnetit bildenden Bakterien auf der Erde gemeinsam hatten, insbesondere mit der MV-1-Gruppe", verdeutlicht Simon Clemett vom Johnson Space Center der NASA, der bei der Veröffentlichung als Co-Autor mitwirkte.
Übrigens arbeitete das unter der Leitung von Thomas-Keprtra stehende international besetzte neunköpfige Team insgesamt drei Jahr lang an der Studie. Finanziert wurde das Projekt von dem Astrobiologischen Institut der NASA.
Folgendes Video ist zu empfehlen.