Legen Sie sich Pharma-Aktien zu

Günter Amendt stellt sein Buch "No Drugs - No Future" vor

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Streitbar ist er geblieben: Günter Amendt, der wohl bekannteste Sexualaufklärer der 68-er Generation und ausgewiesene Bob-Dylan-Experte. Nun war der mittlerweile 64-jährige Hamburger zu Gast im Literarischen Salon der Uni Hannover, um sein neues Buch "No Drugs ­ No Future" (Europa Verlag, 320 S. 17,90 Euro) vorzustellen. Ein, wie Moderator Alexander Perrey zu Recht anmerkte, engagiertes Manifest und gleichzeitig ein Rückblick von Amendt auf seine jahrzehntelange Auseinandersetzung mit der offiziellen Drogenpolitik.

Angesichts der zunehmenden Beschleunigung unseres Alltags, des Hochleistungs- und Dauerstresses des Subjekts im Zeitalter des neoliberalistischen Turbo-Kapitalismus ist Amendts Meinung nach der Gebrauch von Drogen aller Art längst schier unabwendbar geworden: In den oberen und mittleren Etagen der Unternehmen hielten viele Führungskräfte ohne Psychopharmaka nicht mehr durch. Leistungssport sei ohne Doping nicht mehr denkbar (Militante Mittel für Medaillenspiegel). US-Kampfpiloten putschten sich während ihrer Kampfeinsätze sogar mit Wissen ihrer Vorgesetzten auf mit Amphetaminen (US-Kampfpiloten auf Speed). Und in der gesamten Bevölkerung nehme der Trend, die Stimmung mit legalen oder illegalen Präparaten gleichsam zu designen, gewaltig zu.

So greifen beispielsweise mittlerweile etwa 28 Millionen US-Amerikaner zu dem Anti-Depressivum Prozac. Was aber, so Amendt, nicht bedeute, dass 28 Millionen depressiv sein. Oft werde das Mittel nämlich benutzt als "Smart Drug", die helfe, die Welt mit einer rosaroten Brille zu sehen. Auch die acht Millionen Kinder in den USA, die gegen ihre vermeintliche Hyperaktivität regelmäßig Ritalin schluckten, seien keineswegs alle pathologisch hyperaktiv. Sondern ihre normale kindliche Aktivität könnten ihre (oft mit drei Jobs) beruflich überforderten Eltern einfach nicht verkraften: "Zudem gibt es keine genaue wissenschaftliche Definition, was hyperaktiv überhaupt ist."

Um den Griff zur Psychodroge bei den Bürgern noch zu bescheunigen, versuche die Pharmaindustrie inzwischen, den Mitteln das negative Image eines Medikaments zu nehmen, und spreche inzwischen lieber von Produkten aus dem "Lifestyle Segment". Und da das Geschäft mit den Psychopillen so boomt und eine Flaute auch nicht in Sicht ist, fügte Amendt ironisch hinzu: "Ich kann nur jedem raten: Legen Sie sich Pharma-Aktien zu."

Drogen sind Genussmittel, wenn sie mäßig und kontrolliert genossen werden. Drogen sind medizinisch indizierte Hilfsmittel zur Bewältigung psychischer Probleme, Drogen sind Betäubungsmittel zur Linderung von körperlichem Schmerz, Drogen sind Suchtmittel, wenn der Konsum außer Kontrolle gerät; Drogen sind Zahlungsmittel im Netzwerk der organisierten Kriminalität, Drogen sind Druckmittel zur Durchsetzung autoritärer 'law and order'-Strategien.

Günter Amendt

Bei aller gebotenen Nüchternheit, mit der der Autor an diesem Abend seine Bestandsaufnahme äußerst ausführlich vortrug, blitzte zwischendurch immer mal wieder der alte rebellische 68er-Geist bei ihm auf. Statt mit Drogen die Symptome zu bekämpfen, hieß es dann, sollten die Menschen lieber über "die Art, wie wir leben, nachdenken". Und wenn das "krankmachende System", das unter dem Diktat des Neoliberalismus stünde, nicht geändert werden könne, dann müsse wenigstens die Drogenpolitik radikal verändert werden.

Dazu ist aus seiner Sicht endlich ein realistischer Blick auf das Drogenproblem notwendig. So seien in Deutschland nach offiziellen Schätzungen 1,2 bis 1,4 Millionen Bürger von Psychopharmaka abhängig, während gleichzeitig "nur" 150.000 süchtig nach harten Drogen wie Heroin sein. Bei solchen Zahlen, so Amendt, müsse man sich fragen, warum die politischen Verantwortlichen ausgerechnet bei bestimmten Drogen scharf protektionistisch und militant prohibitionistisch denken. Und wer davon eigentlich profitiere, dass bestimmte Drogen illegal blieben.

Fragen, die Amendt in seinem Buch versucht ausführlich zu beantworten ­ übrigens auch mit Blick auf den von den USA propagierten "War on Drugs" (Der Werbekrieg gegen terroristische Kiffer). Ein eher kurioses Beispiel nannte er aber an diesem Abend: Da in den USA 50 bis 60 Prozent der Gefängnisinsassen wegen Drogendelikte verurteilt sind und die zunehmend privatisierten Gefängnisse gleichzeitig dabei seien, sich zu Profitcenter zu entwickeln, bestünde bei den Eigentümern natürlich ein großer Bedarf nach billigen Arbeitskräften: "Wer beispielsweise in den USA bei IKEA anruft, der landet oft direkt bei einem Call-Center im Knast."

Aber letztlich setzt der Systemkritiker Amendt dann doch auf das System und fordert die Übernahme des Drogenmonopols durch den Staat, der den Vertrieb und den Verkauf übernehmen soll. Das schafft zwar nicht die Drogen aus der Welt, sorgt aber seiner Meinung nach zumindest für eine wesentliche Entschärfung des Drogenproblems.