Lehman-Urteil und Provisionen

Wie Anleger ihre Bankberater ins Boot holen

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Während der Unmut über die seltsame Symbiose zwischen Politik und Finanzindustrie etwa an der Wall Street weiter wächst, geht beim Schutz von Anlegerinteressen kaum etwas voran. Wer indes mit rechtlichen Mitteln gegen eine irreführende Bankberatung vorgehen möchte, hat meist schlechte Karten. Doch es gibt zumindest einen kleinen Lichtblick.

Die Nachricht, die Spiegel online kürzlich vermeldete, dürfte kaum jemand wirklich überraschen: Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung hat offenbar das Vertrauen in die Bankberater verloren. Hierzulande sei der Vertrauensverlust mit 38 Prozent sogar größer ausgefallen als in anderen Ländern, bilanziert die repräsentative Umfrage vom Finanzdienstleister Fidelity, der 12.000 Privatanlegern in 14 Ländern auf den Zahn fühlte.

Geändert hat sich freilich wenig. Die Mitte der Gesellschaft hält dem System weiterhin die Treue. Es scheint schließlich kaum erprobte und vertrauenswürdige Alternativen zum Mainstream-Banking zu geben. Dennoch hält die rechtliche Aufarbeitung der Finanzkrise weiter an. So verhandelte der Bundesgerichtshof etwa über die Klagen der "Lehmann-Omas" und prüfte, ob hier eine Falschberatung vorgelegen hat.

Die höchstrichterliche Entscheidung fiel wie erwartet als Niederlage aus. Die Kläger gingen am Ende gegenüber der Hamburger Sparkasse leer aus. Schwere Niederlage für Lehman-Opfer titelte denn auch die Welt. Die geschätzt rund 30.000 bis 50.000 Betroffenen dürften nun nicht einmal auf eine Teilwiedergutmachung hoffen.

Bilanzieren wir also zunächst wie folgt: So wie es aussieht, dürfte es auch künftig keine Aussicht auf Erfolg bei derartigen Klagen gegen Banken geben, die quasi Opfer einer "systemischen", oder man könnte auch sagen: einer "strukturellen" Krise geworden sind, mit zahlreichen offensichtlichen Missständen, die der Finanzindustrie mindestens seit zwei bis drei Dekaden innewohnen.

Die Defizite der Finanzindustrie sind der Weltöffentlichkeit zwar kaum mehr verborgen. Der Kunde sitzt jedoch immer am schwachen Schalthebel. Ein Zeichen dafür sind die jüngsten Proteste an der Wall Street, bei der sich manche Beobachter bemühen, diese als eine Bewegung an den politischen Rändern abzutun.

Widmen wir uns hier aber vor allem der rechtlichen Bewertung des Lehman-Urteils. Das Wichtigste: Margen sind keine Rückvergütungen. Deshalb besteht auch keine Aufklärungspflicht. Und genau darum ging es bei dem Lehman-Urteil unter anderem. Wie andere Unternehmen auch, kann also eine Bank ihre Gewinnspannen für sich behalten. Gefragt ist folglich der differenzierte Blick, an dem es in unzähligen Medienberichten freilich mangelt.

Die Gier der Anleger und die bankenfreundlichen Gerichte?

Man sollte das Lehman-Urteil im Wortlaut vor der Berichterstattung genauer studieren, etwa via Presseinformation des Bundesgerichtshofes: Das Berufungsgericht habe jeweils rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Anleger über das Risiko, bei einer Lehman-Insolvenz die Anlagesummen vollständig zu verlieren, hinreichend belehrt worden seien. Nicht mehr und nicht weniger. In einem Kommentar der Stuttgarter Zeitung zu dem Lehman-Urteil ist nun die Rede davon, dass es die "Gier der Anleger" war, die viele in derartige Anlagen hineintrieb. Es gehört längst zum guten Ton eines Teils der Mittelschicht, gerade die Kleinanleger für Missstände zu diffamieren - und so von den systematischen Fehlentwicklungen auf dem großen Reißbrett abzulenken. Aus der Anlegersicht betrachtet dürfte jedoch jedem Kunden einigermaßen klar sein, dass Beratungsprotokolle oder Kundenbeiräte bei der Hausbank das Problem der dem System innewohnenden Interessenkonflikte nicht im Ansatz werden lösen können. Aber auch eine Klage ist eine langwierige und schwierige Sache. Eher Erfolg verspricht es, sofern die Fakten klar auf dem Tisch liegen, eine außergerichtliche Einigung anzustreben. Nicht jede Bank liebt es mehr, in der Presse zu erscheinen, die gleichgültige Haltung kann sich nicht jedes Institut mehr leisten. "Die Signalwirkung der Urteile halte ich daher für begrenzt und nicht übermäßig überraschend. Letztlich sagen die Urteile meiner Auffassung nach nur, dass mit Gewinnmargen - anders als mit Rückvergütungen - nicht argumentiert werden kann", betont die Düsseldorfer Rechtsanwältin Nicole Mutschke. Fokussieren sollten sich Geschädigte deshalb genau auf eben jenen Aspekt der Rückvergütungen, im Fachjargon als "Kick-Backs" bezeichnet. "Genau mit diesem Argument wurde bei Rückvergütungen schließlich die Aufklärungspflicht bejaht. Der BGH argumentiert aber mit seinen bisherigen Entscheidungen und verweist darauf, dass über Gewinne nie aufgeklärt werden musste. Es bleibt somit eigentlich bei der bisherigen Rechtsprechung", so die Rechtsanwältin weiter. Somit bedeutet das Urteil zu den "Lehman-Omas" einerseits nichts anderes, als dass die Gerichte auch künftig überwiegend bankenfreundlich argumentieren. Und nachfolgende Instanzen halten sich in der Regel an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Der kleine Hoffnungsschimmer besteht lediglich darin, dass dieser präzise festgelegt hat, was die Banken ihren Kunden offen legen müssen und was nicht.

Bankkunden sind besser informiert, Gerichte entscheiden häufiger anlegerfreundlich

Kürzlich gab es noch ein weiteres Urteil seitens des BGH, dass Banken ihre Kunden beim Verkauf von Anlageprodukten über ihre Provisionen aufklären müssen - und zwar auch über deren Höhe. Ansonsten können die Anleger möglicherweise Schadensersatz geltend machen. Ist dies wirklich so einfach möglich?

Nicole Mutschke: Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 9. März 2011 (Az. XI ZR 191/10) hat die Chancen der Anleger entscheidend verbessert, weil sie so präzise ist: Zum ersten Mal definieren die Richter ganz exakt, was aufklärungspflichtige Rückvergütungen sind. Bei geschlossenen Fonds reicht danach ein Blick in den Fondsprospekt in der Regel aus, um die Chancen zu beurteilen: Wenn dort das betreffende Kreditinstitut nicht als Empfänger von Provisionen explizit genannt wird, hat der Anleger gute Chancen. Dies ist übrigens meistens der Fall, da bei allen Prospekten, die vor 2009 erstellt wurden, die Pflicht zur Aufklärung über Vergütungen in der Form noch nicht bekannt war und daher natürlich auch noch nicht in den Prospekten berücksichtigt ist.

Wie nehmen Sie den aktuellen Trend wahr? Sind die Bankkunden aufmüpfiger als früher, nehmen sie ihre Rechte entschlossener wahr und protestieren sie auch mit juristischen Schritten gegen eine Fehlberatung?

Nicole Mutschke: Meiner Ansicht nach sind Bankkunden heute deutlich besser informiert als früher - auch durch die Medien. Verbraucher sind daher heute kritischer. Außerdem ist auch die Rechtsprechung in den letzten Jahren deutlich anlegerfreundlicher geworden. Zunächst hat der BGH 2006 (Az. XI ZR 6/04) entschieden, dass auch Banken, wenn sie mit den Verkäufern oder Vermittlern von Schrottimmobilien institutionalisiert zusammenwirken, haftbar gemacht werden können. Danach wurde 2009 die Verjährungsfrist des Wertpapierhandelsgesetzes verlängert. Und schließlich kam im März 2011 die oben genannte Entscheidung des BGH (Az. XI ZR 191/10) in Sachen Rückvergütung hinzu. Diese Rechtslage in Verbindung mit der Information durch die Medien führt dazu, dass immer mehr geschädigte Anleger ihre Ansprüche erkennen und dann auch geltend machen.

Welche Erfolge erzielen denn die Anleger, wenn sie juristisch gegen ihre Hausbank vorgehen?

Nicole Mutschke: Es ist natürlich immer der Einzelfall zu beurteilen. Gerade wenn Anleger aber gegen "ihre" Bank vorgehen, streben sie oft gar keine Klage an, sondern verhandeln lieber außergerichtlich. Aufgrund der rechtlichen Ausgangssituation kann man momentan auch häufig innerhalb kurzer Zeit sehr gute Vergleiche erzielen und die Kunden erhalten oft Kompensationszahlungen in großer Höhe. Klagen sind langwieriger. Im Erfolgsfall wird ein Anleger dann aber so gestellt werden, als hätte er das Investment nie getätigt und alle Schäden werden ersetzt.

Wie definieren Sie denn eine fehlerhafte oder gar irreführende Bankberatung?

Nicole Mutschke: Fehlerhaft sind Beratungen zum einen, wenn die Beratung nicht anlegergerecht war, also nicht dem persönlichen Anforderungsprofil des Anlegers entsprach. Zum anderen sind Beratungen fehlerhaft, die nicht anlagegerecht waren. Das heißt zum Beispiel, dass über bestehende Risiken nicht aufgeklärt wurde oder falsche Angaben zur möglichen Rendite, zur steuerlichen Behandlung oder zum Wiederverkauf der Fondsanteile gemacht wurden. Hier darf der Berater natürlich nicht abweichend von den Angaben im Prospekt die Risiken verharmlosen, denn die Kunden sollen sich auf das gesprochene Wort verlassen können.

Beratungsprotokolle können den Kunden auch schaden

Sind Beratungsprotokolle ein Weg zu mehr Transparenz in der provisionsorientierten Bankberatung? Falls ja, wie müsste denn ein ideales Regelwerk aussehen?

Nicole Mutschke: Auf den ersten Blick könnte man das meinen. Sicher kann man Protokollen immer wieder auch für den Anleger vorteilhafte Informationen entnehmen. Aber man muss auch die Frage stellen: Wer erstellt die Formulare dieser Protokolle? Das ist immer der Berater beziehungsweise die Bank. Entsprechend sind die Formulierungen häufig für Anleger schwer zu verstehen und es fehlt an klaren Definitionen. Oft unterschreiben die Kunden das Protokoll sogar, ohne es zu lesen - im Vertrauen auf den Berater. Insgesamt ist meine Erfahrung deshalb, dass Protokolle den Kunden auch schaden können und nicht zwingend von Nutzen sind.

Welches sind denn für Sie alle maßgeblichen Kosten, die Banken künftig offen legen müssten, dies aber noch nicht tun?

Nicole Mutschke: Der BGH definiert aufklärungspflichtige Rückvergütungen als "regelmäßig umsatzabhängige Provisionen, die im Gegensatz zu Innenprovisionen nicht aus dem Anlagevermögen, sondern aus offen ausgewiesenen Provisionen wie zum Beispiel Ausgabeaufschlägen und Verwaltungsvergütungen gezahlt werden, sodass beim Anleger zwar keine Fehlvorstellung über die Werthaltigkeit der Anlage entstehen kann, deren Rückfluss an die beratende Bank aber nicht offenbart wird, sondern hinter dem Rücken des Anlegers erfolgt, sodass der Anleger das besondere Interesse der beratenden Bank an der Empfehlung gerade dieser Anlage nicht erkennen kann". Maßgeblich für die Aufklärungspflicht ist, "dass der Anleger ohne diese Aufklärung nicht das besondere Interesse der beratenden Bank erkennen kann, gerade diese Anlage zu empfehlen". Mit einem Beschluss aus 2009 (Az. XI ZR 510/07) erklärte der BGH erstmals in aller Deutlichkeit, dass ein Beratungsvertrag bei der Vermittlung einer Kapitalanlage grundsätzlich zu einer Aufklärung über Rückvergütungen verpflichte und zwar unabhängig von der Rückvergütungshöhe. Diese Rechtsprechung überraschte vor allem die Banken, von denen in der weiteren Folge regelmäßig argumentiert wurde, dass diese "neue" Pflicht jedenfalls nicht für "Altfälle" von vor 2009 gelten könne. Mit Beschluss aus 2010 (Az. XI ZR 308/09) stellte der BGH aber klar, dass diese Pflicht bereits seit dem Jahr 1990 bestand. Seit 2009 sollten die Banken daher über ihre Vergütungen genauestens aufklären. Angesichts der Tatsache, dass die entsprechenden Provisionen der Banken nicht selten bei 10 Prozent und mehr der Anlagesumme lagen beziehungsweise liegen, dürfte diese Summe viele Anleger aber doch nochmals die eigene Anlageentscheidung überdenken lassen. Aus diesem Grund wird sich zeigen, ob und wie die Banken zukünftig tatsächlich ihrer Pflicht ordnungsgemäß nachkommen werden.

Zum Autor: Lothar Lochmaier arbeitet als Freier Fach- und Wirtschaftsjournalist in Berlin. Zu seinen Schwerpunkten gehören Umwelttechnik, Informationstechnologie und Managementthemen. Mit Kommunikationsabläufen und neuen Organisationsformen in der Bankenszene hat sich der Autor in zahlreichen Aufsätzen beschäftigt. Im Mai 2010 erschien von Lothar Lochmaier das Telepolis-Buch: lDie Bank sind wir - Chancen und Zukunftsperspektiven von Social Banking. Er betreibt außerdem das Weblog Social Banking 2.0..