Lena als Wirtschaftsfaktor

Düsseldorf will mit dem Eurovision Song Contest im internationalen Standort-Wettbewerb punkten

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Als "eines der größten Ereignisse in der Stadt-Geschichte" bezeichnet Düsseldorf den Eurovision Song Contest und will den Mega-Event nutzen, um sich der Welt als "pulsierende Wirtschaftsmetropole mit einer guten Portion 'Rheinland-Feeling'" zu präsentieren. Die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt hat sogar schon genau ausgerechnet, was der Sanges-Wettbewerb ihr nach den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie einbringt. In der Kalkulation der Rathausspitze steht einer Investition von rund zehn Millionen Euro ein Werbe-Effekt von 200 Millionen Euro gegenüber.

Wer noch vor ein paar Jahren gedacht hätte, so eine Gaga-Gala wie der "Eurovision Song Contest" (ESC) könne einen halbwegs vernünftigen Menschen unmöglich länger als einen Wimpernschlag lang beschäftigen, der sieht sich nun getäuscht. In konzertierter Aktion haben private und öffentliche Sender ihre Event-Maschinerie angeworfen, und am Austragungsort Düsseldorf gibt es bereits seit Monaten kaum ein anderes Thema.

Lena. Bild: Daniel Kruczynski. Lizenz: CC-BY-SA-2.0

Die Stadt hat allerdings auch schon Erfahrungen mit grenzwertigen Veranstaltungen. So richtet sie regelmäßig Weltcup-Rennen im Ski-Langlauf aus. Bei dem "Snow Event" müssen die Profis mit ihren obligatorischen Pudelmützen auf von weit her angekarrtem Kunstschnee dann schwer einen auf Wintersport machen, obwohl es zumeist höchstens zu herbstlichem rheinischen Schmuddelwetter reicht. Auch Renn-Fahrzeuge der "Deutschen Tourenwagen Meisterschaft" ließ Düsseldorf schon über seine Prachtmeile "Königsallee" brettern. Aber zur ganz großen Sause hat es am Rhein bisher nicht gelangt, sowohl die Olympia- als auch die Fußball-WM-Bewerbung scheiterten.

Diese Schmach hat im Oktober letzten Jahres die überraschende Entscheidung, die Stadt zum "Song Contest"-Gastgeber zu erwählen, getilgt. Den Ausschlag dafür gab jedoch nicht der Glamour-Faktor, sondern eine weit profanere logistische Erwägung: Nur in Düsseldorf konnte der Lieder-Zirkus mit der Esprit-Arena eine Halle über einen Zeitraum von sechs Wochen hinweg vollständig in Beschlag nehmen.

"Wir sind Lena" hieß es daraufhin sogleich in einem lokalen Anzeigen-Blatt. Fragen gab es keine. Der Sinn und Zweck des Ganzen stand nie zur Debatte, er erschließt sich aber auch nicht so leicht. Es gehört geradezu zur Definition des Spektakels, in seiner Überdimensioniertheit auf eine Leere zu verweisen. Und die passt nur zu gut zum kapitalistischen Hier und Jetzt.

Die Gesellschaft, auf der die moderne Industrie beruht, ist nicht zufällig oder oberflächig spektakulär, sie ist grundlegend spektakularisch. Im Spektakel, dem Bild der herrschenden Wirtschaft, ist das Endziel nichts, die Entwicklung alles.

Guy Debord in seinem Klassiker Die Gesellschaft des Spektakels (1967).

Betrieb gewerblicher Art

Folgerichtig hatte Düsseldorfs CDU-Oberbürgermeister Dirk Elbers statt des Gebrauchswerts nur den Tauschwert des ESC im Blick. Die mediale Präsenz beschere der Stadt bei 100.000 Besuchern, 2.500 Journalisten und 160 Millionen Fernseh-Zuschauern einen Werbe-Effekt von 200 Millionen Euro, rechnete er vor. Das war dann auch Sinn der Übung. "Um es ganz klar zu sagen: Der Eurovision Song Contest ist vor dem Hintergrund der Wirtschaftsförderung von mir nach Düsseldorf geholt worden", gab der OB im "Rathaus Magazin" zu Protokoll. Als einmalig bezeichnete er die Chance, durch den Song Contest für die Qualität des Standortes werben zu können und so im Wettbewerb der Städte stärker wahrgenommen zu werden.

Und für dieses Unternehmen, für das bei der Finanzverwaltung sinnigerweise eine Umsatzsteuer ersparende Anerkennung als Betrieb gewerblicher Art beantragt wurde, scheute die Stadt weder Kosten noch Mühe.

Esprit-Arena. Bild: Jörg Wiegels. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Weil es sich als nicht ganz so einfach herausstellte, während der ESC-Zeit für den örtlichen Fußball-Club Fortuna Düsseldorf ein Ausweich-Quartier zu finden und Auswärtsspiele etwa in Leverkusen nicht in Frage kamen, baute man einfach direkt neben die Esprit-Arena ein Behelfsstadion. Betriebsdauer: drei Spiele, Kosten: knapp drei Millionen, dafür aber mit Komplettaustattung. Obwohl alle Begegnungen bei Tageslicht stattfinden und Fortuna-Spiele bei TV-Anstalten auf eher geringeres Interesse stoßen, musste noch eine Flutlicht-Anlage her - das verlangen nämlich die DFB-Statuten.

Hauptstadt des Lebensgefühls

Damit steigerten sich die Ausgaben schon einmal auf rund zehn Millionen Euro. Nicht wenig davon fließt in das Rahmenprogramm, mit dem sich die Stadt der Welt als "Hauptstadt des Lebensgefühls" präsentieren und aus dem Schatten von Köln und Berlin heraustreten will. Darüber hinaus haben sich getreu des dekretierten "Wir sind Lena"-Lokalpatriotismus noch viele Bürger und Initiativen berufen gefühlt mitzutun.

Und so gibt es Public Viewings allerorts mit Motti wie "I love Düsseldorf", die Stadt-Hymne "Tanzen (der Rhythmus meiner Stadt)" und ESC-Ausstellungen. Vom Kindergarten über die schwul-lesbische Community bis hin zu den Kirchen ist alles mit dabei. Die AIDS-Hilfe verpasst ihren Awareness-Ansteckschleifen zur Feier des Tages ein Glitzergewand, Schützen und Karnevalisten veranstalten - für rheinische Verhältnisse eine kleine Sensation, für den Rest der Welt sicherlich nicht soo spannend - einen gemeinsamen Umzug und die Kirchen bieten "Oasen der Ruhe" an. Selbst die Generation Bionade macht mit: Designer loben ein Stuhl-Contest mit Beiträgen aus den Teilnehmerländern aus und ein Klamottenladen-Betreiber erbietet sich, "den Gästen vor allem die Besonderheiten der Szene-Viertel wie Flingern" zu zeigen.

Innerhalb der engen Eurovisionsgrenzen darf dann gnädigerweise auch das gute alte Multikulti noch einmal fröhliche Urständ feiern mit Balkanbeat-Partys, "Finnland aus Kindersicht", griechischen Frühlingsfesten, einem internationalen Tanz in den Mai, "Kreuzkirche meets Litauen" und "Kinder malen die Fahnen der ESC-Länder". Beim "Kids-Vision-Song-Contest" konnten sich die Kleinen sogar selbst aussuchen, welche Nation sie vertreten mochten. Und Überraschung: "Viele Kinder mit Migrationshintergrund wollen für Deutschland singen", meldete die Rheinische Post.

Bilderstreit

Aber doch traf das Rahmenprogramm nicht auf ungeteilte Zustimmung. Es "wirkt mehrheitlich nach innen", monierte die Westdeutsche Zeitung mit Blick auf die brav ihre Beiträge abliefernden städtischen Institutionen von Jugendclubs bis Oper. Den Grünen war's hingegen ein bisschen zuviel Brauchtum. Statt Tschingderassabum-Umzüge hätten sie lieber einen Flashmob von Schützen- und Karnevalisten-Vereinen gesehen. Für etwas mehr Hipness wollte auch der zum Kreativ-Direktor des ESC ernannte Werbe-Mann Ralf Zilligen sorgen. Aber für Ideen wie ein Festival mit mehr oder weniger schrägen Cover-Versionen von ehemaligen Siegertiteln konnte sich die Stadtführung nicht erwärmen, und so demissionierte Zilligen.

Über die Grundsätze der Schaufensterpolitik herrscht jedoch Einigkeit. Der Modernisten-Fraktion schwebt bloß eine andere Auslage vor. "Schade, Düsseldorf hätte eine Chance gehabt, wie Deutschland bei der WM 2006 zu überraschen und sein Image zu verbessern. Mit einem Brauchtumsumzug am Finaltag schafft man das Gegenteil", meint Zilligen-Mitarbeiter Philipp Maiburg. Günter Karen-Jungen von den Grünen pflichtet ihm bei. "Soll das tatsächlich das Bild von Düsseldorf sein, das die Besucher vom ESC mit nach Hause nehmen?", sorgt sich der Ratsherr.

Und dann sollten die Besucher dieses Bild irrtümlicherweise auch noch durch eine rosa Brille sehen. Das Programmheft kündigte unter der Überschrift "Unser Herz schlägt für den ESC" einen "Aktionstag der Schwulen" an, wo es doch nur einen der Schulen gab. Süffisant kommentierte die regionale und überregionale Presse diesen Fauxpas - nur die Rheinische Post als größte Lokalzeitung Düsseldorfs schwieg. Sowohl der im Impressum der Broschüre genannte Verlag als auch die Redaktion gehören nach Bildblog-Recherchen nämlich zum eigenen Unternehmen.

Deshalb verdunkelte sich das Bild im Vorfeld des Ereignisses zunehmend. Mit einem höhnischen "Unser Dorf soll schöner werden" qualifizierte der Spiegel die PR-Anstrengungen der Stadt ab. Einzig der Journalist Jan Feddersen bemühte sich in offizieller Funktion als Eurovisionsblogger für den NDR und in inoffizieller Weise als Taz-Schreiber um eine angemessene Würdigung der Rhein-Metropole.

Trotzdem dürfte die Rechnung am Ende aufgehen. Fragt sich nur, für wen. Die Mehrheit der Düsseldorfer profitiert sicherlich nicht von dem Kurzausflug ins "internationale Rampenlicht". Die weniger Gutbetuchten haben unter der zunehmenden Attraktivität der Stadt qua Stadtmarketing jetzt schon genug zu leiden. Sie macht sich nämlich hauptsächlich durch immer höhere Mietpreise, Verdrängungsprozesse in einzelnen Stadtteilen und eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich bemerkbar.

Neuer Zollhof im Medienhafen von Düsseldorf von Frank Gehry. Bild: Fundistephan

Dass eine neoliberale Stadtentwicklungspolitik mit ihren Leuchtturm-Projekten, Großinvestoren, Star-Architekten, Mega-Ereignissen, Standort-Faktoren und der Kultur als "Star-Ware der spektakulären Gesellschaft" (Debord) diese Nebenwirkungen systematisch hervorbringt, hat der Journalist Werner Girgert unlängst an den Prototypen dieser Art von Urbanistik, Bilbao und Glasgow, aufgezeigt.

Darum kann es auch nicht lustig sein, wenn der Event-Kapitalismus feiert. "Diese Epoche, die sich selbst ihre Zeit als im Wesentlichen beschleunigte Wiederkehr vielfältiger Festlichkeiten zeigt, ist ebenso eine Epoche ohne Fest", wusste schon Guy Debord.