Lettland sperrt Russia Today
Vorgeworfen wird RT, dass er sich im Besitz und unter "alleiniger Kontrolle" von Dmitri Kisseljow befinde und Propaganda-Kampagnen betreibe
Der Wladimir Putin nahestehende Journalist Kisseljow steht seit der Krim-Annexion auf der EU-Sanktionsliste. Der lettische Nationale Rat für elektronische Massenmedien NEPLP hält ihn für "einen der sichtbarsten Verkünder russischer Propaganda-Kampagnen". Die Inhalte, die RT auf Englisch, Spanisch, Arabisch und anderen Sprachen verbreite, entsprächen der offiziellen Position der russischen Regierung. RT habe "ähnlich wie andere Propagandasender des Kremls versucht, Lettland als gescheiterten Staat darzustellen".
Ivars Abolins, dem NEPLP vorsteht, zeigt sich siegesgewiss. Ein halbes Jahr lang habe man die Eigentümerstrukturen des Senders untersucht und Beweise gesammelt. Er glaubt, dass die Entscheidung vor Gericht Bestand haben wird und fordert andere Medienkontrolleure innerhalb der EU auf, es den Letten gleichzutun:
Die Belege, die wir erhielten, sind sehr eindeutig. Wir werden uns an alle Regulierungsbehörden innerhalb der EU wenden, damit sie unserem Beispiel folgen und RT auf ihrem Territorium eindämmen. Für solche Programme gibt es keinen Platz, weder in Lettland noch in der EU.Ivars Abolins
RT reagierte mit einem eigenen Beitrag. Die Letten hätten sich die angeblichen Beweise nur ausgedacht und das nicht besonders gut: "Es war wohl kurz vor Feierabend und alle wollten schnell nach Hause", kommentierte RT-Journalist Murad Gazdiev ironisch.
Laut RT-Darstellung hat NEPLP Russia Today mit Rossija Sewodnja identifiziert, der Nachrichtenagentur, deren Generaldirektor Kisseljow ist und zu der das Webportal Sputnik gehört. Die beiden staatlich finanzierten Medienunternehmen hätten aber nur den Namen in verschiedenen Sprachen gemeinsam, sonst aber nichts miteinander zu tun. Es handele sich um verschiedene Medien mit verschiedenen Führungen. RT zitiert Kisseljow, der über die lettische Entscheidung gelacht haben will. Sie sei ein Zeichen der Dummheit und Ignoranz lettischer Behörden, die blind vor Russophobie seien. Das Verbot habe keinerlei juristische Basis.
Kisseljows Portal Sputnik wertet das RT-Verbot nicht als ersten Fall von "Diskriminierung" russischer Medien. Die eigenen Mitarbeiter sähen sich in Lettland unter Druck gesetzt; Vertreter des Geheimdienstes lüden sie zum "Gespräch" und man verweigere ihnen, ein Bankkonto zu eröffnen. NEPLP versucht zum wiederholten Mal, die Ausstrahlung russischer Sender zu unterbinden. Im November letzten Jahres traf es neun Programme, an denen Milliardär Juri Kuwaltschuk als Miteigentümer ermittelt wurde und der ebenfalls auf der Sanktionsliste steht.
RT thematisiert Rechtsradikalismus und und die lettische Kollaboration unter der NS-Besatzung
Der lettische Informationsraum ist gespalten; Letten informieren sich über transatlantisch orientierte Medien, die russischsprachige Minderheit über russische Sender, denen die lettische Regierung Propaganda vorwirft, vor der die Bevölkerung geschützt werden müsse. Zu den Themen, die RT aufgreift, gehört der lettische Rechtsradikalismus und die lettische Kollaboration unter der NS-Besatzung zwischen 1941 und 1944. Solche Berichte stören das Narrativ nationalkonservativer lettischer Erinnerungskultur, die die eigenen Opfer herausstellt und die Mittäterschaft tabuisiert.
Der RT-Beitrag "Die Renaissance - Erlebt Europa einen nationalistischen Aufschwung?" beschäftigt sich beispielsweise mit den Gesinnungen ukrainischer und lettischer Rechtsradikaler. In ihm werden Bilder gezeigt, die angeblich aus dem NS-Lager Salaspils bei Riga stammen. Allerdings greifen die russischen Journalisten auf fragwürdige Quellen aus stalinistischer Zeit zurück, die lettische Historiker inzwischen bezweifeln. Nach deren Erkenntnissen war Salaspils zwar durchaus ein Ort, an dem die deutschen Besatzer und ihre lettischen Helfer schwere Verbrechen begingen und viele Gefangene ihr Leben einbüßten, aber es war nicht das Vernichtungs- und medizinische Experimentierlager, wie es von sowjetischer Seite zu Propagandazwecken dargestellt wurde.
Aber RT lässt die Einwände lettischer Historiker vom über 90jährigen SS-Legionär Visvaldis Lacis kolportieren, so dass sie als Verharmlosung von NS-Verbrechen erscheinen. RT positioniert sich mit solchen Beiträgen im antifaschistisch-russischen Lager, das im Konflikt mit dem antibolschewistisch-lettischen steht. Die beiderseits betriebenen einseitigen Auseinandersetzungen mit der Geschichte sind Teil des westlich-russischen Zerwürfnisses, das die internationalen Beziehungen belastet.
Der NEPLP ist ein fünfköpfiges Gremium, das von den Saeima-Abgeordneten eingesetzt wird. Es gilt als regierungsnah und politisch abhängig. Im Juli des letzten Jahres schrieb der Lettische Journalistenverband (LZA) der Saeima einen offenen Brief. Beklagt wurde, dass die NEPLP-Mitglieder weder kompetent noch verantwortlich handelten und nicht zur konstruktiven Zusammenarbeit in der Lage seien. Der NEPLP stehe im Konflikt mit den meisten Journalisten der beaufsichtigten Bereiche und es sei nicht absehbar, wann sich die Situation verbessere.
Der LZA kritisierte namentlich Ivars Abolins, der damals noch NEPLP-Stellvertreter war und heute dem umstrittenen Rat vorsteht. Abolins wird ein enges Verhältnis zu Politikern der mitregierenden und russophoben Nationalen Allianz (NA) nachgesagt. Nachdem ein Journalist des öffentlich-rechtlichen Senders Latvijas Radio sich kritisch über einen NA-Bürgermeister geäußert hatte, habe sich Abolins an den Vorstand des lettischen Rundfunks gewandt und eine Erklärung verlangt. "Damit zeigte I. Abolins, dass er nichts von der Bedeutung der Meinungsfreiheit und von redaktioneller Autonomie versteht." LZA forderte damals vergeblich, alle fünf NEPLP-Mitglieder zu entlassen.