Letzte Generation: Ex-Klimakleber zwischen Anklagebank und EU-Wahlkampf

Der Name der Gruppe bezieht sich nicht auf ein Aussterben der Menschheit, sondern auf Kipppunkte zu einem langanhaltenden Elend. Bild: bratispixl, CC BY-NC 2.0

Über eine Anklage wegen krimineller Vereinigung wird demnächst entschieden. Zur Europawahl darf die Gruppe aber vorerst antreten.

Mehr als ein Jahr nach der Razzia gegen die "Letzte Generation" hat die Staatsanwaltschaft Neuruppin zumindest offiziell noch nicht über eine Anklage gegen Mitglieder der Klima-Initiative wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung entschieden.

"Wir sind in der Entscheidungsfindung", sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Cyrill Klement, am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur, ohne Details zu nennen. "Ein Verfahrensabschluss ist zeitnah avisiert."

Am Donnerstag war die Frist zu Ende, in der die Rechtsbeistände der fünf Beschuldigten zu der möglichen Anklage Stellung nehmen konnten. Zwei der Beschuldigten – Mirjam Herrmann und Henning Jeschke – lieferten bei dieser Gelegenheit mit einem Bollerwagen mehr als 2.000 Stellungnahmen aus der Zivilgesellschaft bei der Staatsanwaltschaft ab.

Klimaschutz und Umweltrechte: Darauf beruft sich die Gruppe

Im Rahmen der Kampagne "Menschen gegen Öl" war dazu aufgerufen worden, möglichst viele solcher Statements zu verfassen, die teils online auf deren Homepage nachzulesen sind.

In ihrer eigenen Beschwerde hatten die Beschuldigten der Staatsanwaltschaft Neuruppin und dem Justizministerium Brandenburg vorgeworfen, das Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verstoße gegen Grund- und Menschenrechte und gegen die Aarhus-Konvention, die jeder natürlichen Person Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten einräumt.

Der völkerrechtliche Vertrag sieht außerdem Informationsrechte und eine Öffentlichkeitsbeteiligung bei Vorhaben mit erheblichen Umweltauswirkungen vor. Er wurde 1998 im dänischen Aarhus von 35 Staaten und der Europäischen Union unterzeichnet, von Deutschland aber erst 2007 ratifiziert.

Klimakleber kleben nicht mehr auf der Autobahn

Die "Letzte Generation" hatte sich bei ihren teils mit Sekundenkleber durchgeführten Blockadeaktionen auch auf Artikel 20a des deutschen Grundgesetzes berufen, der den Staat verpflichtet "in Verantwortung für die künftigen Generationen" auch die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2021 bemängelt, dass die bisherigen Klimaschuttbemühungen entscheidende Schritte zu weit nach hinten verschöben, um sie noch einen "freiheitsschonenden Übergang in die Klimaneutralität" zu gewährleisten, bevor die emissionsbedingte Erderwärmung mehr als 1,5 bis zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau erreicht.

Anfang 2022 hatte die "Letzte Generation" mit Aktionen des zivilen Ungehorsams auf Straßen und Autobahn-Zubringern begonnen, die ihr die Bezeichnung "Klimakleber", eine Reihe von Strafverfahren und teilweise Präventivhaft einbrachten. Auf den Einsatz von Klebstoff verzichtet die Gruppe bei ihren "ungehorsamen Versammlungen" inzwischen.

Letzte Generation will Europaparlament als Bühne nutzen

Eine weitere Nachricht betreffend die "Letzte Generation" war in dieser Woche, dass sie zur Europawahl am 9. Juni zugelassen wurde. Neben 34 anderen politischen Parteien und Vereinigungen findet sie sich auf der Liste der Bundeswahlleiterin, die am Freitag veröffentlicht wurde.

Voraussetzung für die Zulassung waren 4.000 Unterschriften von Wahlberechtigten. "Mit über 8.800 gültigen Unterschriften wurden die Erwartungen der Letzten Generation weit übertroffen", teilte die Gruppe am Freitag mit.

Ihre Spitzenkandidatin Lina Johnson sagte allerdings den Zeitungen der Funke Mediengruppe, es gehe ihr nicht um rein "klassische parteipolitische Arbeit". Vielmehr sei das EU-Parlament gegebenenfalls "eine weitere Bühne, die wir uns nehmen" – was für sie aber nicht ausschließt, an Entscheidungsprozessen mitzuwirken.

Weitere Partei mit Klima-Aktivistin im Spitzenteam: Die Linke

Klimabewusste, die von den Grünen enttäuscht sind, haben nun die "Qual der Wahl" – denn auch die Partei Die Linke schreibt Klimaschutz groß, muss seit dem Austritt von Sahra Wagenknecht und Co. nicht mehr darüber streiten und hat mit Carola Rackete eine prominente Klima-Aktivistin auf Platz zwei Ihrer Liste geholt.

Wie einige Mitglieder der "Letzten Generation" engagierte sich auch Rackete im Netzwerk "Extinction Rebellion". Bekannte wurde sie außerdem als Seenotretterin für Geflüchtete.

Rackete warnt allerdings auch davor, beim klimapolitischen Engagement soziale Existenzängste aus dem Blick zu verlieren. Ihr Credo: "Wir brauchen ökologischen Klassenkampf."