"Letzte Generation": Noch gilt die Unschuldsvermutung
Generalstaatsanwaltschaft München ändert Warnhinweis nach Razzia: Bisher nur Anfangsverdacht auf kriminelle Vereinigung. Wer gespendet hat, wird nicht rückwirkend verfolgt.
Ob der Tatbestand einer kriminellen Vereinigung erfüllt ist, entscheiden in Deutschland immer noch Gerichte. Das musste die Generalstaatsanwaltschaft München am Mittwoch klarstellen, nachdem die Behörden im Zuge der Razzia gegen die "Letzte Generation" deren Homepage gesperrt und dort einen Warnhinweis eingestellt hatten, der die Gruppierung bereits als kriminelle Vereinigung einstufte.
In sieben Bundesländern hatten Einsatzkräfte Wohnungen und Büros von Mitgliedern der Klima-Initiative durchsucht und Konten beschlagnahmt. Auch die Internetseite letztegeneration.de war gesperrt worden. Wer sie aufrufen wollte, konnte dort eine Warnung der Generalstaatsanwaltschaft München und des Bayerischen Landeskriminalamts lesen: "Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar! (Achtung: Spenden an die Letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!)"
Ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München erklärte auf Nachfrage von Telepolis, der Hinweis sei "missverständlich" gewesen und daher geändert worden. Es bestehe bisher nur ein Anfangsverdacht auf kriminelle Vereinigung. Wenn sich dieser bestätigte, müssten Spenderinnen und Spender nicht rückwirkend mit Strafverfolgung rechnen, stellte er klar. Die Strafandrohung gelte erst, wenn sie bewusst eine kriminelle Vereinigung unterstützen würden.
In den Abendstunden wurden allerdings Besucher der Seite letztegeneration.de bereits automatisch zum neuen Internetauftritt der Gruppe unter der Domain letztegeneration.org weitergeleitet. Dort ist nun unter anderem zu lesen: "Das staatliche Vorgehen soll einschüchtern, Angst machen. Doch wir können und werden uns nicht erlauben, in dieser Angst zu verharren."
Ermittlungen wegen Spendenkampagne und Pipeline-Sabotage
Im Raum steht der Vorwurf, die "Letzte Generation" habe insgesamt rund 1,4 Millionen Euro an Spenden gesammelt, um dieses Geld gezielt für die Begehung von Straftaten zu nutzen. Wenn einzelne vor Gericht standen, ging es bisher meistens um Nötigung in Form von Blockaden, bei denen sie sich auf Straßenkreuzungen oder Autobahnzubringern festgeklebt hatten. Wegen dieser Form des zivilen Ungehorsams werden sie umgangssprachlich "Klimakleber" genannt.
Allerdings wird der Gruppe auch eine geplante Sabotageaktion an der Ölpipeline Triest-Ingolstadt zur Last gelegt. Die damals 40 und 47 Jahre alten Beschuldigten waren am 27. April 2022 bemerkt worden, als sie an einer Schieberstation der Pipeline im Raum Freising den Zaun überstiegen. Sie waren daraufhin vorübergehend festgenommen worden.
Dass dies unter anderem zur Begründung einer Razzia mehr als ein Jahr später herangezogen wird, ist bemerkenswert, denn die Gruppe hatte Aktionen an Pipelines selbst dokumentiert, wobei die Beteiligten auch ihre Gesichter zeigten, und das Beweismaterial selbst veröffentlicht. Es ist jedoch kein Fall bekannt, in dem eine Pipeline von der Gruppe dauerhaft beschädigt oder Umweltschäden in Kauf genommen wurden. Beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern drehten die Aktiven eine Pipeline zu und klebten sich an ihr fest.
Scharfe Kritik an Behörden
Die ursprüngliche Version des Warnhinweises auf der Homepage wurde von mehreren Seiten scharf kritisiert, die nicht im Verdacht stehen, mit der Gruppe zu sympathisieren.
Das Vorgehen des LKA Bayern sei ein "eklatanter Verstoß gegen die Unschuldsvermutung", die auch für die "Letzte Generation" gelte, schrieb auf Twitter Helge Limburg, rechtspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag. Als eine der Ampel-Regierungsparteien sind auch die Grünen Adressaten der Klimaproteste: Die "Letzte Generation" beruft sich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das im Frühjahr 2021 effektivere und verbindlichere Klimaschutzmaßnahmen angemahnt hatte, weil der Staat laut Grundgesetz Artikel 20a "auch die natürlichen Lebensgrundlagen" schützt.
Kritisiert wurde die Vorverurteilung der Gruppe aber auch durch einen Anwalt der Kanzlei von Ralf Höcker. Letzterer gilt als stramm konservativ und machte sich anlässlich der Razzia in einem Tweet über die Gruppe lustig ("Warum lässt die "letzte Generation" sich ihre Geldstrafen von Spendern bezahlen? Ich dachte, das letzte Hemd hat keine Taschen?").
Rechtsanwalt Christian Conrad, Partner der Kanzlei Höcker, erklärte jedoch gegenüber dem Fachmagazin Legal Tribune Online, die Aussage des LKA und der Generalstaatsanwaltschaft München missachte "alle Vorgaben, die man an amtliche Äußerungen im Ermittlungsverfahren stellt: Sie ist vorverurteilend, unsachlich und verletzt die Unschuldsvermutung." Sie sei daher offensichtlich rechtswidrig.