Libyen: Kandidat Haftar für die Wahlen 2018?

Khalifa Haftar, Screenshot seiner Erklärung (17.12.17), YouTube-Video.

Der General erklärt die Einheitsregierung für "erledigt". Einzig Wahlen würden echte Legitimität verschaffen

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Es sagt viel über den Zustand Libyen, dass man vor dem gestrigen Sonntag einen Staatstreich und Unruhen für möglich hielt.

Unter denen, die den 17. Dezember als "potentiell explosiv" einstuften, befand sich der Le-Monde-Korrespondent Frédéric Bobin, der sich als Kenner Nordafrikas einen Namen gemacht hat. Auch der ehemalige österreichische Militärattaché für Libyen, Wolfgang Pusztai, deutete in seinem Ausblick an, dass es zu gewalttätigen Unruhen in der Hauptstadt und zu Versuchen einer Machtübernahme kommen könnte. Pusztai ist ein oft befragter Libyen-Experte.

Zum Glück täuschten sich beide in ihren schlimmeren Ausblicken für den gestrigen Tag. Es stellte sich heraus, dass das Auslaufen des sogenannten Skhirat-Abkommens keine Gewaltaktionen auslöste. Pusztai verweist aber in seiner lesenswerten Analyse darauf, dass die Verhältnisse vornehmlich in der Region bei der Hauptstadt Tripolis schwieriger werden.

Als wahrscheinlichstes Szenario gibt er an, dass die ohnehin schwach fundierte Legitimität der Einheitsregierung nach dem 17. Dezember noch weiter schwindet, was zu einer zunehmenden Destabilisierung des Landes führen werde, selbst wenn Khalifa Al-Ghwell, der (offiziell nicht anerkannte) Premierminister des Parlaments in Tripolis (GNC), oder General Haftar sich mit "Aktionen" zurückhalten. Solche Aktionen würden die zentrifugalen Kräfte weiter intensivieren, was zu einem gewaltsamen Auseinanderbrechen Libyens führen könnte.

Dass gestern der Bürgermeister von Misrata von unbekannten Mördern erschossen wurde, zeigt an, dass in Libyen immer auch mit Finsterem zu rechnen ist. Libyen bleibt diesbezüglich sehr fluid, wie sich in den Geschehnissen rund um das Datum bestätigt.

Migration: Europa wartet auf einen "verlässlichen Partner"

Vor genau zwei Jahren, 17. Dezember 2015, wurde das unter UN-Vermittlung zustande gekommene "libysche politische Abkommen" (LPA) unterzeichnet, das, um es kurz zu machen, eine Einheitsregierung zur Folge hatte, die zwar international anerkannt ist, aber nicht vom international anerkannten Parlament in Libyen (einen Überblick kann man sich hier verschaffen)

Darüber hinaus hat die Einheitsregierung keinen sicheren Stand in der Bevölkerung, es fehlt ihr an Legitimität wie auch an Durchsetzungskraft gegenüber Milizen. Wie so vieles andere ist auch undurchsichtig, wie sich die Einheitsregierung vom Präsidentenrat abgrenzt. Der neue UN-Sonderbeauftragte für Libyen, Ghassan Salamé, bezeichnet die beiden Institutionen als "siamesische Zwillinge".

Bekanntlich aber wartet der Libyen gegenüberliegende Kontinent und besonders das nächstliegende Italien auf geordnete Verhältnisse in dem Land, um die Migration aus Afrika, wofür Libyen das zuletzt wichtigste Durchgangsland war, besser zu regeln. Dafür muss die Machtfrage in Libyen geklärt sein. Die hat derzeit zwei Gravitationszentren: Wahlen und Khalifa Haftar (auch: Hafter, Hifter oder Hefter geschrieben).

Haftar: Das libysche politische Abkommen ist "tot"

Haftar erklärte gestern das in Shirkat getroffene "libysche politische Abkommen" (LPA) für tot. Mit dem 17. Dezember 2017 laufe die Gültigkeit des Abkommens aus und damit sei auch die Legitimität aller Organe, die sich daraus ableiten, automatisch erloschen.

In seiner Erklärung fallen zwei Passagen auf, beides Mitteilungen, die für Wahlen plädieren und deutlich erkennen lassen, dass Haftar sich keiner anderen Regierung unterordnen will als derjenigen, die aus Wahlen hervorgeht. Experten lesen daraus, dass er damit seine Kandidatur angemeldet hat.

Unmissverständlich erklärt Haftar die "absolute Ablehnung jeder Unterordnung der Libyschen Nationalarmee (LNA) unter die Kontrolle jedweder Einheit, woher auch immer deren Legitimität stamme - außer diese Einheit wurde vom libyschen Volk gewählt".

Einzig dem "freien libyschen Volk und nur diesem" würde er sich unterordnen, das sei die einzige Quelle aller Macht im Land, so Haftar: "(…) we declare, very clearly, that our complete obedience is under the orders of the free Libyan people, and nobody else."

UN-Beauftragter für eine "letzte Übergangsregierung"

Der Hintergrund zu dieser Erklärung sind Aktivitäten, die Haftar offensichtlich nicht gut heißt. So hat der UN-Beauftragte Ghassan Salamé einen Plan verfolgt, für die Monate bis zur Wahl eine neue Interimsregierung zu bilden. Wie Salamé in einem Interview darlegt wollte er angesichts der vielen Vorwürfe, die gegen die aktuelle "eher mediokre" Regierung erhoben werden, für die Zeit bis zur Wahl eine "letzte Übergangsregierung" schaffen oder diese Schaffung "ermutigen".

"Versuchen wir die Bildung einer solchen Regierung, die die letzte in dieser Phase des Übergangs sein soll, zu ermutigen", sagte Salamé Le Monde. Und darin zeigt sich schon viel von der Misere, mit der auch dieser UN-Abgeordnete, der anders als seine Vorgänger arabisch spricht, zu kämpfen hat. Seine Vorgänger, der Deutsche Martin Kobler und der Spanier Bernadino Leon, hatten sich gar nicht erst groß auf Kontakt mit der Bevölkerung eingelassen. Der ehemalige Kulturminister im Libanon, Salamé, dagegen schon und das Ergebnis ist, dass er einen Satz sagt und ihn im nächsten zurück nimmt. Mit Machtpolitik kommt er offensichtlich schlecht zurecht.

So sehr er die Idee einer letzten Interimsregierung vor den Wahlen rühmt, so sah er sich augenscheinlich mit Widerständen und Interessen konfrontiert, so dass er diese Möglichkeit, die ohnehin bemerkenswert zaghaft formuliert ist ("versuchen wir zu ermutigen"), dann im Gespräch selbst wieder relativiert oder fallen lässt. Wichtiger seien dann doch die Wahlen und damit einhergehend ein Versöhnungsprozess im Land und eine neue Verfassung.

Anscheinend haben die politischen Vertreter, mit denen Salamé sprach, einen libyschen Realitätssinn gezeigt, die den UN-Sonderbeauftragten in Schwierigkeiten brachte. Sie gingen davon aus, dass sich die vorläufige Lösung als dauerhaft herausstellen könnte, so dass sie mit all ihrem Einfluss darum kämpften, ihre Leute für eine neue Regierung möglichst gut zu positionieren.