Libyen am Scheideweg
Seite 2: Hinter den Kulissen: Dynamische Allianzen, neokoloniales Gerangel
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Besonders explosiv wird die Lage nun durch Bewegungen, die von anderen Akteuren in der Libyen-Krise gemeldet werden (Schutzverantwortung: Libyen und Neo-Kolonialismus). Mehrere Berichte zeigen, dass die Türkei und Katar ihre Bemühungen um die Unterstützung von Milizen verstärkt haben, während Haftars Position aufgrund der offenen Unterstützung beispielsweise Ägyptens, Russlands und der Vereinigten Arabischen Emirate gestärkt wird.
Zwar gibt es keine konkreten Beweise für eine militärische Unterstützung durch ein Bündnis mit Ägypten, doch im Februar 2019 ist ein Video von mutmaßlich im Land operierenden ägyptischen Soldaten nach Kämpfen in der im Nordosten Libyens gelegenen Hafenstadt Darna aufgetaucht. Es gilt als sicher, dass sich Haftar auf die volle militärische und geheimdienstliche Unterstützung Ägyptens verlassen kann.
Ägypten scheint mehr als gewillt, die militärische und finanzielle Unterstützung auszuweiten, indem das Land versucht, die eigene Position in Libyen zu stärken und zukünftige Investitionsprojekte zu sichern. Ägyptische Öl- und Gasunternehmen kämpfen bereits seit einiger Zeit um die Pfründe im erwarteten Öl- und Gas-Eldorado. Sowohl Kairo als auch Abu Dhabi sehen in Haftars LNA-Truppen eine Brandmauer gegen die von der Muslimbruderschaft auf Seiten der Übergangsregierung in Tripolis geführten Gruppen. Sie sind auch daran interessiert, jeglichen türkischen und katarischen Einfluss in einem zukünftigen vereinten Libyen abzuschwächen. Beide Parteien haben seit dem arabischen Frühling die Aktivitäten von Gruppen der Muslimbrüder in der Region unterstützt. Tripolis wird zwar von den Vereinten Nationen, den USA und der EU unterstützt - die Zukunftsaussichten der Übergangsregierung sind jedoch alles andere als rosig.
Russlands Absichten treten in dieser komplexen Gemengelage zunächst weniger deutlich hervor. Während sich westliche Medien auf die mutmaßliche Anwesenheit russischer Söldner in Libyen konzentrieren, vermuten andere Beobachter, dass die Russen vor allem den Gesamtzusammenhang vor Augen haben. Moskau setzt auf den Dialog: Die Russen unterstützen Haftar und den Abgeordnetenrat in Tobruk einerseits, doch sie unterhalten gleichzeitig andererseits noch immer einigermaßen gute Beziehungen zur Regierung von as-Sarradsch in Tripolis. Sie hoffen, ihren diplomatischen Einfluss auf beide Parteien nutzbar machen zu können, um zu einer politischen Lösung des Konflikts zu finden. Denn auch russische Unternehmen haben Ölinteressen in Libyen - so etwa Gazprom.
Vor 2011 hatte Russland umfangreiche Investitionen im Ölsektor Libyens getätigt und ist nun bestrebt, so viel wie möglich davon wiederzubeleben. 2017 hatten Rosneft und die NOC eine Vereinbarung unterzeichnet, die vorsieht, gemeinsam libysche Ölfelder zu revitalisieren. Europäische Politiker befürchten seitdem, dass der russische Präsident Wladimir Putin in seine Achse sekulärer autoritärer Herrscher im Nahen Osten nach dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und seinem ägyptischen Amtskollegen Abd al-Fattah as-Sisi nun womöglich auch den Warlord Chalifa Haftar eingliedern könnte.
Weitere Akteure kochen am Feuer des libyschen Bürgerkriegs ihr Süppchen und geraten dabei womöglich auf Konfrontationskurs, Frankreich und Italien beispielsweise. Frankreich nutzt sein regionales "G5 Sahel"-Antiterror-Mandat, um seinen Einfluss in die Nähe der südlibyschen Grenze auszudehnen, indem es Rebellengruppen im Norden des Tschad bombardiert und Haftar stillschweigend Unterstützung gewährt. Ende Januar weilte der französische Präsident Emmanuel Macron zum Staatsbesuch in Ägypten, dem großen Verbündeten Haftars. Die Franzosen setzen auf den General - und darauf, dass französischen Unternehmen wie etwa Total in einem geeinten Libyen privilegierte Rechte in der Energiebranche zugestanden werden.
Italien auf der anderen Seite unterstützt die Regierung in Tripolis. Die Italiener haben mit dem Ölkonzern Eni ebenso ein Energie-Schwergewicht mit Interessen in der Region. Prospektoren hatten hier bereits Anfang der 1930er Jahre mit der Ölerkundung begonnen - Libyen war da noch italienische Kolonie.
Libyens Ölsektor ist für die meisten Beteiligten das Hauptziel. Öl und Gas prägen die Wirtschaft Libyens - sie machen 95 Prozent der Staatseinnahmen des Landes aus. Die derzeit angespannte Situation zwischen der "Regierung der nationalen Übereinkunft" in Tripolis und den Truppen General Haftars steht einer raschen Erhöhung der Ölfördermengen und damit einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Landes jedoch im Wege.