Lilith, Logitech und Pascal. Erfolge und Misserfolge in der Schweizer Informatikgeschichte
Personalcomputer "Made in Switzerland" haben den kommerziellen Durchbruch nie geschafft - Mäuse und Programmiersprachen hingegen schon
Trotz so klangvoller Namen wie Smaky, Lilith oder Ceres hat kein Personalcomputer aus Schweizer Produktion den kommerziellen Durchbruch geschafft. Die in der Schweiz gegründete Firma Logitech hingegen - inzwischen führende Herstellerin von Computermäusen - hat den Sprung geschafft. Die Erfolgs- respektive Misserfolgsstories sind eng miteinander verknüpft, wie eine aktuelle Publikation zeigt.
Informatikgeschichte in einem nationalen Rahmen nachzuzeichnen, stösst zwangsläufig an Grenzen. Kaum ein Industriezweig lebt dermassen stark von internationaler Kooperation, wie die Entwicklung von Hard- und Software. Trotzdem gibt es spezifische Erscheinungen, die nur im Kontext der Geschichte eines Landes verständlich werden. Den Versuch eines Überblicks zu Vergangenheit und Gegenwart helvetischen IT-Schaffens hat das Berner Museum für Kommunikation mit seiner aktuellen Publikation Loading History. Computergeschichte(n) aus der Schweiz gewagt. Zweifellos die grösste Breitenwirkung einer auf Schweizer Boden gemachten Innovation erreichte das World Wide Web. Am CERN in Genf (Europäischer Rat für Nuklearforschung) hat Tim Berners Lee zusammen mit Robert Cailliau jene heute noch gültigen Standars eines User-Interface entwickelt, die den Grundstein legten für die rasante Verbreitung des Internet. Es sind paradoxerweise gerade jene erfolgreichen Innovationen, wie die Entwicklung des WWW oder der inzwischen weltweit führende Hersteller von Input-Devices - die von einem Schweizer gegründete Firma Logitech - die kaum in einem nationalen Kontext wahrgenommen werden, da sie der Erfolg bald über die Landesgrenzen hinaus führte. Es sind indes die Misserfolge, denen der Ruf einer genuin helvetischen Innovation anhaftet.
Vorhandene Innovationen - fehlendes Risikokapital
Im PC-Bereich wurden verschiedentlich Versuche unternommen Produkte auf den Markt zu bringen. Sie sind jedoch allesamt gescheitert; das Scheitern ist allerdings nicht auf die mangelhafte Technologie der Computer zurückzuführen. Gefehlt hat Risikokapital und Risikokapitalisten, die sich um die Vermarktung gekümmert hätten. Die von Pionieren wie Niklaus Wirth entwickelten Workstations erfüllten für damalige Verhältnisse höchste Anforderungen und waren direkte Weiterentwicklungen des ersten Prototypen eines Personal Computers, des Xerox Alto von 1973. In den Jahren 1976/77 hielt sich der Züricher Informatik Professor Niklaus Wirth in Palo Alto bei Xerox auf und lernte dort die Workstation Alto kennen:
Ich empfand es als revolutionär, dass man nicht mehr über ein Terminal und einen dünnen Draht einen fernen Grosscomputer mit anderen Teilen musste, sondern wirklich seinen eigenen Computer unter dem Tisch besass, mit allen eigenen persönlichen Dateien.
Da dieses beeindruckende Gerät für Wirth nicht käuflich zu erwerben war, beschloss der Schweizer Informatiker kurzerhand das Gerät selbst nachzubauen. Die daraus entstandene Lilith verfügte über Features, wie etwa der Fenstertechnik auf der Benutzeroberfläche oder einer Bildschirmauflösung von 592 mal 768 Punkte, die erst rund sechs Jahre später mit dem ersten Macintosh von Apple auf den Markt kamen. Der Versuch auch Lilith zu kommerziellem Erfolg zu verhelfen, war dann allerdings zum Scheitern verurteilt. Vom 1982 lancierten Typ MC1 wurden gerade mal 120 Stück ausgeliefert, was der produzierenden Firma das Überleben nicht sichern konnte.
Logitech - die Erfolgsstory
Anders erging es dem Westschweizer Physiker Daniel Borel, der sich ebenfalls in den 70er Jahren in Kalifornien aufhielt. Wie Niklaus Wirth waren es auch die Workstations von Xerox, die Borel in die Gefilde der Computerpioniere führte. Borel interessierte sich allerdings mehr für die Interfaces, wie Maus, Menus und Fenstertechnik. Zurück in der Schweiz, auf der Suche nach erfolgversprechenden Geschäftsideen, erfuhr er von den Arbeiten Wirths an seiner Lilith und der Entwicklung einer ersten Computermaus "Made in Switzerland". Dies gab schliesslich den Anstoss für die Gründung der Firma Logitech, der inzwischen auf dem Weltmarkt führende Hersteller von Input-Devices aller Art. Den Durchbruch schaffte Borel und seine Logitech mit der frühen Auslagerung der Produktion nach Taiwan. Der Firmensitz von Logitech befindet sich jedoch weiterhin in einem kleinen Dorf in der Westschweiz. Ebenfalls im französischsprachigen Landesteil hat der an der Technischen Hochschule von Lausanne entwickelte Personalcomputer Smaky bis in die Gegenwart eine Verbreitung von rund 5000 tausend Stück erfahren, meist als Lerngeräte an Unis und Schulen, von denen ein Fünftel selbst im Alter von zehn Jahren noch in Betrieb ist, wie sein Erfinder, Professor Jean-Daniel Nicoud stolz erklärt. Es war denn auch Nicoud, der mit Wirth jene Mäuse entwickelte, die den Anstoss zur Gründung von Logitech gaben.
Am Anfang war die Z4
Nicht weiter erstaunlich, dass dieselben Personen, die an den frühen PC-Entwicklungen beteiligt waren auch im Bereich der Programmiersprachen tonangebend waren. Niklaus Wirth etwa hat 1970 Pascal vorgestellt, die als eine der Grundlagen für Java diente. Es folgten die Sprachen und Betriebssysteme Modula und Oberon. Die Anfänge des Programmierens gehen in der Schweiz auf die späten 40er Jahre zurück, als sich Eduard Stiefel, Gründer des Instituts für angewandte Mathematik an der Technischen Hochschule in Zürich, zum Ziel gesetzt hatte das programmgesteuerte Rechnen in der Schweiz einzuführen. Geburtshelferin für dieses ambitiöse Unterfangen war Konrad Zuses Z4, die nach Kriegsende für fünf Jahre von Deutschland nach Zürich ausgeliehen wurde. Damit war die Schweiz Anfang der 50er Jahre neben England das einzige Land, das an einer Hochschule einen Computer stehen hatte. Das wissenschaftliche Rechnen fand jedoch isoliert im Elfenbeinturm der Institute statt. Carl August Zehnder, damals Student in Zürich und späterer Informatik-Professor, meint dazu:
Es gab eine absolute Trennung zwischen der Welt der Büroautomation und dem wissenschaftlichen Rechnen.
Diese fehlende Nutzung vorhandener Synergien, gekoppelt mit der schweizerischen Eigenart mangelnder Risikobereitschaft, waren mitentscheidende Faktoren, weshalb sich die internationalen Erfolge von Schweizer Entwicklungen auf dem Gebiet der Informatik, eher sporadisch einstellten und nicht Resultat einer gezielten Strategie waren.
Alle Zitate aus: "Loading History - Computergeschichte(n) aus der Schweiz", Schriftenreihe Kommunikation und Kultur 1/2001, Bern, Juni 2001, Chronos Verlag, Zürich