Linke Proteste im Lockdown
Für den 31. Dezember planen progressive Gruppen in Berlin und bundesweit Aktionen. "Kalender der Umverteilung" benennt die Gewinner der Pandemie
Im Corona-Frühling 2020 schien es mitunter so, als sei die außerparlamentarische Linke vor allem mit der Einhaltung der Hygieneregeln beschäftigt. Doch das lag auch daran, dass linke und soziale Proteste in dieser Zeit medial kaum wahrgenommen wurden. Denn es gab im Sommer und Herbst unter dem Motto "Wer hat, der gibt" durchaus Aktionen. Zentral dabei war die Frage zu stellen, wer in der Corona-Krise gewinnt und wer verliert.
Daran knüpft auch der "Kalender der Umverteilung" an, den das genannte Bündnis nun veröffentlicht hat. Dort werden von der Schufa über Politiker wie Friedrich Merz (CDU) und Olaf Scholz (SPD) auch die Akteure der kapitalistischen Umverteilung benannt. Der Kalender endet auch nicht mit der Weihnachtbescherung am 24. Dezember, sondern mit einer geplanten Großdemonstration unter dem Motto "Back to the Future: 2021 Solidarisch für Alle", die am 31. Dezember 2020 am Berliner Alexanderplatz starten soll.
Erfreulich ist, dass sich hier Linke nicht an den Querdenken-Aktivitäten abarbeiten und für die Einhaltung der Hygieneregeln streiten, sondern eigene politische Akzente schicken wollen.
Umgang mit dem Versammlungsverbot am 31. Dezember
Es muss sich nun zeigen, ob die Organisatoren auch den politischen und juristischen Kampf gegen die für den 31. Dezember 2020 geplanten Demonstrationsverbote im Zuge des neuen Lockdowns aufnehmen wollen. Der Publizist Rolf Gössner hat bereits für das Frühjahr betont, dass das Durchregieren per Dekret nicht hingenommen werden sollte.
Die dekretierten Versammlungsverboten am 31. Dezember sind ein solches Beispiel für Grundrechtseinschränkungen per Dekret. Betroffen sind eben nicht nur die Querdenken-Aktionen und die Silvesterfeiern, sondern auch geplante linke und soziale Proteste. Es wäre ein fatales Zeichen, wenn die Organisatoren der geplanten Proteste die Aktionen nicht durchsetzen würden.
"Kein Lockdown für unsere Grundrechte - keine Beschneidung von Streiks, Arbeitskämpfen und Demonstrationen", heißt es in dem überarbeiteten Forderungskatalog der Stadtteilinitiative "Hände weg vom Wedding", in der sehr konkrete Reformen des Gesundheitswesens, der Wohnungs- und Sozialpolitik aber auch auf dem Gebiet der Grundrechte gefordert werden. Zugleich grenzen sich die Autoren von rechten und irrationalen Krisenerklärungsmustern ab.
Am vergangenen Samstag demonstrierten in Berlin bereits über 120 Menschen unter dem Motto "Die Reichen sollen zahlen" im Berliner Stadtteil Wedding. Daran beteiligen sich linke Umweltaktivisten von Friday for Future, die ein Transparent mit der Parole "Ökologische Proteste ohne sozialen Widerstand ist Urban Gardening" trugen.
Healthcare not Warefare
Es ist nicht der einzige soziale Protest in diesen Tagen in Berlin. So ist von einer antimilitaristischen Gruppe unter dem Motto Healthcare statt Warefare eine Kundgebung gegen die Einbeziehung der Bundeswehr in die Corona-Nachverfolgung geplant. Stattdessen wird der Ausbau des Gesundheitssystems gefordert.
Es wäre nun sehr sinnvoll, am 31. Dezember die verschiedenen Protestbewegungen zusammenzubringen, wie das in den letzten Tagen schon geschehen ist. Linke Klimaaktivisten, Basisgewerkschafter, Antimilitaristen, wütende Erwerbslose können dann gemeinsam auf die Straße gehen. Aber auch der Kontakt zu den Organisatoren der antirassistischen Proteste, die im Sommer 2020 auch in Deutschland viele Tausend Menschen auf die Straße brachten, sollte gesucht werden.
Dabei gibt es eine besondere Aktualität. Denn während im Lockdown vieles, auch die Grundrechte, heruntergefahren werden, wurden europaweit die Abschiebungen von Geflüchteten wieder aufgenommen. Bereits vor einigen Tagen ging von Österreich ein Flugzeug mit Abgeschobenen nach Kabul.
Heute soll es auch in Deutschland wieder losgehen mit der Abschiebung nach Afghanistan.
Auch die Zwangsräumungen von Menschen aus ihren Wohnungen ist aktuell, anders als noch im Frühjahr, nicht ausgesetzt. Während also die offizielle Devise "Stay at Home" lautet, werden weiter Menschen mitten im Corona-Winter auf die Straße geworfen.
Hier wird auch das Kalkül der Politiker deutlich, den Corona-Lockdown zu nutzen, um Maßnahmen, die sonst viel Protest hervorrufen, möglichst geräusch- und widerstandslos durchzusetzen. Daher ist es völlig berechtigt, wenn am 31. Dezember Menschen auf die Straße gehen und für einen sozialen Ausweg aus der Krise eintreten.